«Nachts ist es leise in Teheran»: Die traurigen Kinder der Revolution

Nr. 12 –

Wenn die Wut der Jugend erstickt wird: Shida Bazyar hat einen vielstimmigen Roman über eine iranische Familie im deutschen Exil geschrieben.

Nichts ist gegeben, nichts ist selbstverständlich: Die deutsch-iranische Schriftstellerin Shida Bazyar. Foto: Joachim Gern

Eigentlich sind die Regeln ganz einfach: Die Sachen, die Spass machen, sind verboten. Das begreift die junge Laleh schnell, als sie 1999 zum ersten Mal nach Teheran reist, zusammen mit ihrer Mutter und ihrer kleinen Schwester Tara. Zwanzig Jahre davor sind ihre Eltern im Iran auf die Strasse gegangen, haben demonstriert, Flugblätter gedruckt und verteilt, Kasernen besetzt, den Umgang mit Waffen geübt und sich in anonym gemieteten Wohnungen versteckt. Sie träumten von einer besseren Welt, befreit von Schah Rezah Pahlavi, dem Geheimdienst, den Verhaftungen, den Folterkellern, der Armut. Befreit auch vom Joch der US-Amerikaner und der Briten. Nur der kleine Amin aus dem Nachbarhaus fand seine Aufgabe in der Religion und mauserte sich zum grausamen Vollstrecker der aufstrebenden Diktatur des Ajatollah Chomeini.

In der Geschichte um Lalehs Eltern Behsad und Nahid, die der kommunistischen Bewegung angehörten und am Aufstieg der religiösen Fundamentalisten scheiterten, zeigt sich exemplarisch, was sich dreissig Jahre nach der Islamischen Revolution im Jahr 1979 in vielen Ländern der arabischen Welt wiederholen sollte: Der politische Aufbruch einer urbanen, modernen, selbstbewussten, wütenden Jugend wird von religiösen oder konservativen Kräften geschluckt und gewalttätig erstickt. Im Roman fahren Behsad und Nahid schliesslich in einen Urlaub nach Deutschland, aus dem sie nie wieder zurückkehren.

Selbst Furzen war politisch

Auch die Eltern der 1988 in der Kleinstadt Hermeskeil in Rheinland-Pfalz geborenen Autorin Shida Bazyar sind in den Jahren nach der iranischen Revolution nach Deutschland geflohen. So ist denn auch ihr neuer Roman «Nachts ist es leise in Teheran» eine Hommage an die Generation ihrer Eltern, die unter Lebensgefahr für ihre Ideen gekämpft und viele FreundInnen unter schlimmsten Umständen verloren hat, um im deutschen Exil in einen nicht enden wollenden Wartemodus zu verfallen.

Ohne die alten Ideale jemals aufzugeben, fügen sich die Eltern in die Normalität eines Alltags, der ihnen fremd bleibt. Klein werden sie, dünn, grau, die Abende verbringen sie vor dem Fernseher. Tochter Laleh kann es nicht fassen, als sie in Teheran vom früheren und eigentlichen Leben ihrer Eltern erfährt, von dieser Zeit, in der man keine Witze machen und sich nicht gegenseitig aufziehen durfte, denn alles, alles, alles diente immerzu der Revolution, selbst Furzen war politisch.

In fünf Kapiteln lässt Shida Bazyar im Abstand von jeweils zehn Jahren den Vater Behsad, die Mutter Nahid und die drei Kinder Laleh, Morad und Tara zu Wort kommen. All diese Menschen haben ihre eigene Sicht auf die Ereignisse der Vergangenheit und ihre Gegenwart in Deutschland. Eindrücklich erzählt die Autorin aus der Perspektive ihrer ProtagonistInnen in einer Sprache, die in mäandernden, assoziativen Sätzen voraneilt, von den kleinen Ereignissen, den ungewollten Gesten und heimlichen Blicken, dem Flüstern am Telefon, von Autofahrten am Sonntag, Lachen am Mittagstisch, dem Bemühen, eine normale Familie zu sein.

Aus der Perspektive des Vaters erfahren wir die Geschichte der Iranischen Revolution, die Mutter berichtet von den Bemühungen um Ankunft und Integration in Deutschland, die ältere Tochter Laleh schliesslich kehrt nach Teheran zurück, wo sie auf eine exotisch-magische, ihr bereits fremd gewordene Welt trifft. Morad, der einzige Sohn, hängt in versifften studentischen Wohngemeinschaften ab und lässt sich ziellos treiben, die jüngste Tochter Tara entwickelt sich zum kahl geschorenen, wütenden Punk.

US-Nasen in Teheran

Die unbewältigten Traumata der Eltern haben sich in den Seelen der Kinder eingenistet. Laleh versucht, die schweren, drückenden Momente zu vergessen, die nach dem Auflegen des Telefonhörers die Eltern lähmten, Morad will den Schuldgefühlen entfliehen, da es ihm auch nicht gelingt, die Eltern glücklich zu machen und ihren verlorenen Traum zu retten. Und als im Jahr 2009 aufgrund der Wiederwahl von Mahmud Ahmadinedschad die Grüne Revolution ausbricht, werden sie alle von der Vergangenheit eingeholt.

Was bedeutet es, wenn deutsche Kids demonstrieren, während iranische Jugendliche spurlos in Gefängnissen verschwinden? Warum lassen Frauen in Teheran ihre Nasen zu amerikanischen Stupsnasen umoperieren? Warum läuft eine Deutschiranerin anders durch die Strassen als eine Iranerin? Ist Laleh nun in Deutschland eine Iranerin oder im Iran eine Deutsche? Wollen die Nachbarinnen von Nahid eine neue Freundin oder bloss eine geheimnisvolle Fremde, der sie unter die Arme greifen können? Permanent verhandelt Bazyar die Frage nach der überempfindsamen Wahrnehmung. Nichts ist gegeben, nichts ist selbstverständlich, Identität wird ständig ausgehandelt, denn alles war einst aus den Fugen geraten, und nur die Kraft, die gegen die Zumutung des Schmerzes und der Hoffnungslosigkeit aufgewendet werden musste, hielt einen auf dem Boden.

Eigentlich sind die Regeln ganz einfach. Die Sachen, die Spass machen, sind verboten. Was die Ajatollahs in Teheran politisch durchzusetzen versuchen, findet sein Pendant in der inneren Lustlosigkeit und Orientierungslosigkeit von Behsads und Nahids Kindern.

Shida Bazyar: Nachts ist es leise in Teheran. Kiepenheuer & Witsch. Köln 2016. 288 Seiten. 28 Franken