Bildungspolitik: Integration zwischen Stuhl und Bank

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«Sparen», tönt es von der einen Seite, «Integrieren», von der anderen. In der aktuellen Bildungspolitik gilt vor allem Ersteres. Exemplarisch zeigt sich das in der Stadt Luzern: Insbesondere bei den Integrationsfächern wird kräftig gekürzt. Das dürfte langfristig teuer werden.

Sprachlehre ist auch Kulturkunde: Lehrerin Stefanie Sager unterrichtet Deutsch als Zweitsprache.

«Reis, Fisch …» Adhipa sucht nach dem nächsten Wort. «Linsen», springt ihre Banknachbarin Zarina ein. «Linsen sind ebenfalls typisches sri-lankisches Essen.» Die beiden Mädchen sitzen zusammen mit drei KlassenkollegInnen an kleinen Schulpulten und schreiben konzentriert ab, was Lehrerin Stefanie Sager in grossen Buchstaben auf der Wandtafel festhält. «Sri Lanka. Hauptstadt: Colombo, Sprache: Tamilisch.» Es ist Donnerstagnachmittag, kurz nach dem Läuten der Pausenglocke, im Stadtluzerner Schulhaus Maihof. Das Unterrichtsfach: Deutsch als Zweitsprache (DaZ).

Was nach Ergänzungsfach oder Zusatzkurs klingt, ist für den Schulerfolg und die Integration von Adhipa, Zarina und ihren drei MitschülerInnen zentral. «Die Schule ist enorm sprachlastig. Und Deutsch ist Voraussetzung für so gut wie jedes Fach», sagt DaZ-Lehrerin Stefanie Sager. Sie breitet in der kurzen Pause eine grosse Weltkarte auf dem Boden aus. «Die Bedeutung der Sprache geht aber weit über die Schule hinaus. Ihre Beherrschung ist essenziell, um überhaupt an der Gesellschaft teilhaben zu können.»

Gerade im Kindergarten und in den ersten Schuljahren, möglichst früh also, sei diese Förderung sehr wichtig, damit die SchülerInnen am Regelunterricht teilnehmen könnten. «Das bestehende Angebot ist eher mager», ergänzt Sager. Deshalb seien viele DaZ-Kinder zusätzlich auf das Angebot der integrativen Förderung (IF) angewiesen.

Der Bedarf nach Förderangeboten ist tendenziell steigend. Die Anzahl fremdsprachiger Kinder und Jugendlichen in Stadtluzerner Kindergärten und Primarschulen beläuft sich auf rund 1800 SchülerInnen pro Jahr. Das entspricht zirka einem Drittel aller schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen. Das Schulhaus Maihof zählt dabei mit einer relativ heterogenen Klassendurchmischung unterdessen zum oberen Durchschnitt. Das früher vorwiegend wohlhabende Quartier hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt, seit mehr und mehr Familien mit tiefem Einkommen und hohem MigrantInnenanteil in die Gegend um die verkehrsreiche Kreuzung Zürcherstrasse/Maihofstrasse gezogen sind. «Ungefähr ein Viertel aller Schüler unseres Primarschulhauses sind auf den DaZ-Unterricht angewiesen», stellt Sager fest.

«Kürzen mit der Excel-Tabelle»

Anstatt dem wachsenden Förderanspruch nachzukommen und die DaZ-Lektionen aufzustocken, setzt die Luzerner Stadtregierung nun aber den Rotstift an. Ab diesem Jahr werden die Kinder in den DaZ-Kursen nicht mehr einzeln oder in Dreiergruppen unterrichtet, sondern in grösseren Gruppen (drei bis fünf Kinder).

Diese Abbaumassnahmen sind Folge des neuen Budgetprojekts mit dem klingenden Namen «Haushalt im Gleichgewicht». Ein Hauptgrund für die fehlenden Gelder: die Tiefsteuerpolitik des bürgerlichen Kantonsrates mit Unternehmenssteuern, die zu den tiefsten des Landes zählen.

«Dieser Sparkurs ist verheerend», sagt Martin Wyss, Luzerner Geschäftsstellenleiter des Verbands des Personals öffentlicher Dienste (VPOD). «Was die Stadtluzerner Regierung momentan macht, ist kürzen mit der Excel-Tabelle.» Die Bildung treffe es jetzt besonders hart, weil vieles andere in den letzten Jahren bereits ausgelagert worden sei: Im Bereich der Sicherheit und der Gesundheit ist mittlerweile vieles über Leistungsverträge geregelt.

Leidtragende sind Lehrpersonen und die SchülerInnen – und zwar alle. «Bei Kürzungen trifft es nicht nur die Kinder mit Förderbedarf, sondern auch alle anderen», heisst es in einem Brief, den das LehrerInnenkollegium des Schulhauses Maihof im Oktober 2015 aufgrund der anstehenden Sparmassnahmen an den Grossrat verschickte. Ähnliche Schreiben verfassten auch weitere Luzerner LehrerInnenteams. Dies stiess auf Widerstand. Nachdem die VolksschullehrerInnen an fünf Luzerner Schulen mit Transparenten gegen die Sparmassnahmen protestiert hatten, erhielten die Beteiligten postwendend eine Abmahnung von der Stadt – mit einem Kommentar der linken Vorsteherin des Bildungsdepartements, Ursula Stämmer, das städtische Lehrerpersonal müsse gegenüber der Stadt loyal sein.

Die Sparwut der Kantone

Das Beispiel der Stadt Luzern steht exemplarisch dafür, was in vielen Kantonen zurzeit Programm ist. Gespart wird wie verrückt, wobei es den Bildungsbereich oft am härtesten trifft. Neuste Zahlen des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) zeigen, dass in Deutschschweizer Kantonen in den nächsten drei Jahren allein bei der Bildung Einsparungen von über einer halben Milliarde Schweizer Franken vorgesehen sind. An vorderster Sparfront stehen in Sachen Integrationsfächer unter anderem die Kantone Aargau und Thurgau, wobei der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind: Beide Kantone überlegen sich zurzeit, einen Teil der Kosten für das Fach Deutsch als Zweitsprache auf die Eltern abzuwälzen.

Die Frage stellt sich, ob sich diese Sparpolitik langfristig auszahlt. Dies gilt gerade angesichts der verstärkten Immigration, die in den kommenden Jahren auch die Schulen vor neue Herausforderungen stellen wird. Massive Kürzungen bei den Förderangeboten bringen zwar kurzfristig den Haushalt ins Gleichgewicht, dürften langfristig aber unter anderem bei der Arbeitsmarktintegration zu grossen Problemen führen. Das aus diesem Abbau resultierende schulische Defizit lasse sich bei den SchülerInnen kaum aufholen und zeige sich spätestens bei der Lehrstellensuche, meint auch DaZ-Lehrerin Sager. Das sei ein Teufelskreis. Die Deutschkenntnisse würden abnehmen, während die Anforderungen der Arbeitgeber gleichzeitig stiegen.

Mittlerweile ist Lucia aus dem Tessin an der Reihe, den MitschülerInnen ihren Heimatort vorzustellen. Sie hat einen Fotoband mit Darstellungen von Tessiner Landschaften mitgebracht. Die Kinder bestaunen Berglandschaften, gesäumt von farbigen Blumenmatten. «Da ist es ja fast so schön wie in der Schweiz», stellt Zarina fest.