Plastilin: So lasset uns kneten

Nr. 16 –

Von Pingu bis Frank Zappa: Das Gewerbemuseum Winterthur zeigt Wunderwelten aus Plastilin und anderen Knetstoffen.

Die Knetgestalt, die aus dem Urwald kam: Allison Schulniks «Forest», Musikvideo für die Indie-Rockband Grizzly Bear, USA 2009. Foto: Allison Schulnik / Courtesy of the Artist and Zieher Smith & Horton, New York, NY

Erst mal die Augen schliessen und tief durchatmen. Da liegt was in der Luft. Es ist der Geruch von Kindheit und handfestem Spieltrieb, das strenge Aroma von Anarchie: Plastilin!

Dabei sind wir gar nicht im Kinderzimmer, sondern im Museum. Aber der Unterschied ist fliessend in der Ausstellung «Plot in Plastilin», und manchmal implodiert er ganz, wie bei drei kleinen Objekten des Schweizer Künstlers Beni Bischof. Gewerbsmässiger Kindskopf, der er ist, hat Bischof berühmte Plattencover mit Knetfratzen verunstaltet. Art Garfunkel in seiner Pose der Empfindsamkeit, die verstrahlte Visage von Iggy Pop: Beide bringt Bischof hinter grinsenden Gnomen aus Plastilin zum Verschwinden. Die längst geadelte Popkultur wird so durch profane Knete wieder abgewertet, also auch: in den Rang der Subkultur zurückversetzt.

Bis das Hirn schmilzt

Man kann darin auch einen Seitenhieb gegen die Musealisierung von Plattencovers sehen, wie sie in Winterthur dieser Tage im Fotomuseum betrieben wird. Und doch ist es mehr als ein Gag aus dem Bastelraum, wenn Bischof alte Popstars mit Knete entstellt. Plastilin und Popmusik: Das ist schliesslich eine lange und innige Liaison, die mit Frank Zappas langjähriger Zusammenarbeit mit dem Trickfilmpsychedeliker Bruce Bickford einsetzt – und die 1981 nochmals neu entflammt, als MTV auf Sendung geht.

Gerade in seinen Anfangsjahren wird der Musiksender zur Spielwiese für alle erdenklichen experimentellen Filmtechniken, vom altgedienten Stopptrick bis zu frühen Digitaleffekten auf Video. Dabei wird auch fleissig geknetet, und zwar nicht nur für spektakuläre Musikvideos wie «Sledgehammer» von Peter Gabriel. Selbst das MTV-Logo wird teils aus Plastilin animiert, von Leuten wie David Daniels, dem Erfinder der sogenannten Strata-Cut-Technik. Diese muss man sich als eine Art künstlerische Salamitaktik vorstellen: Verschiedenfarbige Knetstränge werden zu einem Block ineinander verwurstet und dann scheibchenweise abgetrennt und abfotografiert. Zum Film montiert, fährt dieser Bilderreigen manchmal wirklich so ein, wie Daniels einen Querschnitt durch seine Experimente betitelt hat: «Journey Through a Melting Brain» heisst dieses Video – Reise durch ein schmelzendes Gehirn.

Erfunden wurde das Plastilin – eine Mischung aus Wasser, Öl, Stärke und Kaolin – im Jahr 1890 von einem Münchner Apotheker namens Franz Kolb. Ob er ahnte, was für ein anarchistisches Unwesen mit seiner Erfindung dereinst getrieben würde? Die Schau in Winterthur jedenfalls entfaltet oft dort ihren grössten Zauber, wo sich das Material in schwindelerregenden Metamorphosen permanent zu verselbstständigen scheint.

Zuallererst natürlich bei Jan Svankmajer, dem grossen Surrealisten der Animationskunst, von dem zwei Teile aus «Möglichkeiten des Dialogs» (1982) zu sehen sind. Da sind zwei Liebende, für die sich der alte Traum vom Verschmelzen buchstäblich erfüllt – aber wie sie eins werden in ihren Liebkosungen, lösen sich ihre schönen Körper in einer wuchernden, indifferenten Masse auf. Das hat man davon, wenn man die Mythen romantischer Liebe allzu wörtlich nimmt: ein schmatzendes Schlamassel. Das andere Kapitel zeigt den stummen Dialog zwischen zwei gekneteten Kahlköpfen, denen die Ordnung der Dinge, die ihnen aus dem Mund fahren, abhandenkommt. Man kann sie sich in etwa vorstellen wie einen wahnwitzigen filmischen Bastard aus Salvador Dalí und Peter Bichsel.

Stänkern im Museum

Neben solchem Irrsinn kommt selbstverständlich auch das einschlägige Personal aus alten und neueren Kinderfilmen zu Ehren, darunter «Wallace & Gromit» aus den britischen Aardman Studios und der Schweizer Exportschlager «Pingu». Ein lehrreicher Parcours zeigt die einzelnen Arbeitsschritte vom Knetblock für Profis («Monster Clay», mit einem gekneteten Abraham Lincoln auf der Verpackung) bis zur eigentlichen Animation der Figuren. Der Werkstoff mag preiswert und unkompliziert sein, kostet aber einen wahnsinnigen Aufwand an Arbeitsstunden: Das ist die doppelte Ökonomie bei Animationsfilmen mit Plastilin.

Mit der Aufwertung des billigen Materials spielt auch der Schweizer Künstler Camillo Paravicini, der Knetfiguren in exquisitem Schwarzweiss fotografiert. In seinen gerahmten «Untitled Portraits» lässt er sackartige Fabelwesen auf teuren Designerstühlen posieren – eine surreale High Society aus Plastilin. Und den ironischen Kommentar zur musealen Würdigung der Knete liefert die Ausstellung auch gleich mit: Im Oscar-gekrönten Kurztrickfilm «Closed Mondays» (1974) torkelt ein besoffener alter Stänkerer nachts durch eine Galerie mit moderner Kunst, für die er nur Gelächter übrig hat. Dabei trifft er auf eine seltsame Maschine, die sich unter mechanischen Parolen («Mutations! Mutations!») selbst zerstört – und als der taumelnde Kunstverächter das Weite sucht, erstarrt er selbst zu einer Skulptur.

Dass übrigens die Liaison zwischen Plastilin und Musikvideo noch lange nicht am Ende ist, zeigt die grossartige Allison Schulnik mit ihrem Stop-Motion-Clip zum Song «Ready, Able» (2009) von Grizzly Bear. Da erblickt ein Knetmonster von trauriger Gestalt einen Doppelgänger am anderen Ufer eines Flusses – so bezaubernd, dass das Herz weich wie Plastilin wird. Noch magischer ist nur ein anderes Werk von Allison Schulnik: «Mound» heisst ihr tagheller Totentanz zu einem Song von Scott Walker. In die Ausstellung hat es der Kurzfilm leider nicht geschafft, man findet ihn aber im Netz bei Vimeo. Den Duft der Kindheit aber gibts nur im Museum.

«Plot in Plastilin» in: Winterthur, Gewerbemuseum, bis 18. September 2016. www.gewerbemuseum.ch