Von oben herab: Freie Arbeit

Nr. 17 –

Stefan Gärtner über das Fischen, Jagen und Nichtstun

Der Sinnspruch «Mit Arbeit versaut man sich den ganzen Tag» hing, in eine handtellergrosse, gebeizte Baumscheibe gebrannt, im Haus meiner (selbstredend fleissigen) Grosseltern, und wenn wir den Kommunismus einmal haben, wird das nicht die kleinste der Fragen sein: wie wir es mit der Arbeit halten.

Vor die Wahl gestellt, heute Fischer und morgen Jäger zu sein, bliebe ich lieber der Textarbeiter, der ich bin, wie es am Abend kaum bessere Laune gibt als die, die sich einem erfolgreichen Tag am Schreibtisch verdankt. Es ist kein neuer Streit auf der Linken, ob es eher ums Recht auf Arbeit oder um Paul Lafargues Recht auf Faulheit gehen müsse, und wie immer hat der verehrte Kollege Dietmar Dath recht, wenn Kommunismus für ihn da beginnt, wo niemand mehr erpressbar ist und also jeder das Leben führen kann, das er mag – ob als Fischer, Jäger oder Tunichtgut –, und nicht das, das er muss.

Bis dahin ist es noch ein bisschen Weg. Das Schweizer Stimmvolk hat mit deutlicher Mehrheit gegen den Mindestlohn und die Verlängerung des Jahresurlaubs aufs deutsche Mass von sechs Wochen gestimmt. Wieder die Frage, wessen Interesse das Interesse ist, das hier für das eigene gehalten wird, denn so gern ich arbeite, gegen Urlaub habe ich nichts, und ich hab nicht mal einen Chef. Es ist dies natürlich eine Entscheidung für den Standort Schweiz; aber selbst bei einem garantierten Grundeinkommen würden neunzig Prozent der Schweizer Werktätigen schlicht weiterarbeiten, und das sind ja nicht alles solche zwanglos Beschäftigten wie ich. Von Calvin, einem Erben Zwinglis, und dem Himmelreich, das sauer verdient werden will, war an dieser Stelle schon die Rede, wie der bekannte 90. Psalm weiss, dass unser Leben vielleicht achtzig Jahre dauert, «und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen». Mit totaler Freizeit kämen die allermeisten so wenig zurecht wie ich.

Kein Wunder also, dass mein Arbeitsmodell «Arbeiten ja, aber nach Gusto» als Modell der näheren Zukunft gilt. «Der 100-Prozent-Job ist ein Auslaufmodell», lese ich auf 20min.ch, denn Teilzeit sei «Trumpf»: «In manchen Verwaltungen haben sechs von zehn Angestellten an mindestens einem Tag pro Woche frei. Vollzeit könnte bald ausgedient haben.» Natürlich auch, damit Beruf und Familie unter einen Hut gehen und nämlich der Partner – eher: die Partnerin – ebenfalls arbeiten kann. Darf. Muss?

Es lässt sich, jenseits meines Schreibtischs, nicht immer leicht bestimmen, wo der Spass an der Arbeit aufhört und (protestantischer) Masochismus anfängt, wo der Spass, wenn es ihn gibt, ein anthropologisch wurzelnder ist und wo von der «Leistungsgesellschaft» (Winfried Kretschmann, CDU) mit der Kindergartenmilch ausgegeben. Ohne das klären zu müssen, sind die klaren Entscheidungen gegen den Mindestlohn und mehr Urlaub aber so wenig Ergebnis von freier, die Bedingtheiten kapitalistischen Wirtschaftens zur Kenntnis nehmender Reflexion wie die genauso deutliche Ablehnung eines Gehaltslimits («1 : 12»), die womöglich am deutlichsten protestantisches Erbe ist. In meiner Grundschule gab es jeden Tag (und gibt es garantiert nicht mehr) eine Stunde «freie Arbeit»; zu sehen, dass das mehr sein kann als digitales Lumpenproletariat bei der Selbstausbeutung, wäre ein zweiter Schritt. Der erste, dass keiner und keine mehr in eine Fabrik muss, die ihm oder ihr nicht gehört.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.