Geld und Politik: Die gekaufte Demokratie

Nr. 18 –

Alte Rollen verschmelzen, der Einfluss der Wirtschaft wächst: In Politik, Wissenschaft und Journalismus hat sich ein unübersichtliches Karussell der Interessen etabliert. Kann Transparenz allein Abhilfe schaffen?

Die UBS boykottiert derzeit die «Finanz und Wirtschaft»: Die Grossbank schaltet keine Inserate mehr, weil das Blatt wiederholt nach strengeren Regeln für Banken rief. Diese Meldung der «Schweiz am Sonntag» fügt sich ein in die jüngste Debatte um Käuflichkeit im Journalismus, nachdem Verlegerpräsident Hanspeter Lebrument erst kürzlich gesagt hatte, dass die redaktionelle Unabhängigkeit nicht mehr über allem stehen könne.

Der Inseratestopp der UBS ist unschön. Doch sind solche Boykotte neu?

Es gibt nichts zu idealisieren: Unternehmen haben schon immer versucht, in die publizistische Linie von Zeitungen einzugreifen – mit mehr oder weniger Erfolg. Doch das Problem geht darüber hinaus: Kritische Zeitungen wie die WOZ kommen etwa für die UBS als Inserentin von jeher nicht infrage. Und was ist mit jenen kritischen Medien, die eingegangen sind? Oder jenen, die mangels Finanzierung gar nicht erst lanciert wurden? Unabhängiger Journalismus war schon immer schwer zu finanzieren.

Doch das Problem verschärft sich: Unternehmen haben immer mehr Einfluss auf den Journalismus, dabei sollte er kritisch über jene berichten. Ähnlich greift die Wirtschaft in Wissenschaft und Politik ein. Hier ereignet sich gerade ein schleichender Angriff auf die Demokratie.

Erstens stecken Zeitungen in Geldnot, weil die Werbung ins Netz abwandert. Damit steigt ihre Käuflichkeit. Zweitens: Die Wirtschaft wird von immer weniger Reichen und Konzernen beherrscht, deren Macht entsprechend zunimmt. Als Grosskunde hat die UBS der «Finanz und Wirtschaft» mit ihrem Boykott einen herben Schlag verpasst, wie aus dem Innern der Zeitung zu vernehmen ist. Drittens: Die Einflussnahme erfolgt seit einigen Jahren direkter, wie etwa der Inserateakquisiteur Kilian Gasser bestätigt. Inserenten erkundigten sich heute offen nach der Möglichkeit von PR-Artikeln oder lieferten fertige Interviews. Viertens gerät derzeit das Prinzip der redaktionellen Unabhängigkeit selbst unter Beschuss, wie Lebruments Boykottaufruf zeigt. Der Verlegerpräsident sekundierte mit seiner Aussage Markus Somm, den Mitbesitzer der «Basler Zeitung», der meinte, Inserenten sollten sich nicht «auf der Nase herumtanzen lassen».

Wie bei jedem rechten Tabubruch stellt sich die Frage: Wie reagieren? Es ist wie mit einem Kleinkind, das lachend sein Glas auf dem Tisch ausleert: Ignoriert man es, hat es gewonnen; schimpft man, ermächtigt man es, die Tischregeln neu zu verhandeln.

Wie stark das Prinzip der journalistischen Unabhängigkeit bereits verblasst ist, zeigte kürzlich ein Video, in dem Michael Fleischhacker, Chefredaktor der «NZZ Österreich», Werbung für einen BWM-Wagen machte: Fleischhacker in der Redaktionsstube, kurz darauf am Steuer eines BMW i3. Bedenklich ist nicht nur, dass der NZZ-Chef Werbung für den Autohersteller macht, sondern, dass er nach eigenen Angaben kein Problem darin erkannte. Die NZZ hat ihn inzwischen zurückgepfiffen, das Video wurde vom Netz genommen.

Gekaufte Wissenschaft …

Auch die Wissenschaft ist in Geldnot und sieht sich einer zunehmend konzentrierten Wirtschaftsmacht gegenüber. Der Steuerwettbewerb im Dienst der Konzerne reisst Löcher in die Staatskassen, öffentliche Mittel fehlen, dafür bieten Konzerne den Universitäten die direkte Finanzierung von Lehrstühlen an. Wie das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) kürzlich aufdeckte, existieren an den Unis bereits 300 Kooperationen mit Firmen. Hinzu kommen 1300 Mandate, die ProfessorInnen innehaben.

Ist der Lehrstuhl eines Finanzprofessors von einer Grossbank gesponsert, wird er kaum für eine strenge Bankenregulierung plädieren. Die Unternehmen versuchen zudem, gleich direkt in die Forschung zu reden: Wie die WOZ publik machte, entscheidet Nestlé bei den Lehrstühlen mit, die der Konzern an der ETH Lausanne finanziert, sowohl bei der Berufung von ProfessorInnen wie auch bei der Wahl von Forschungsprojekten (siehe WOZ Nr. 19/2014 ).

Die Universitäten dienen so dazu, Wirtschaftsinteressen weisszuwaschen. Am Ende gelangen die interessengeleiteten Erkenntnisse über die Medien an die Öffentlichkeit, verkauft als unabhängige Wissenschaft.

… und Politik

Gegen den zunehmenden Einfluss der Wirtschaft auf die Politik hat nun ein Komitee rund um die SP eine Initiative lanciert, die Licht in die Finanzierung von Parteien und Kampagnen bringen soll. Insbesondere der Mitgliederschwund führt auch die Parteien stärker in die Abhängigkeit der Wirtschaft. In der SP ist derzeit ein Streit im Gang, ob die Partei Spenden von Banken wie etwa der Credit Suisse annehmen soll. Wird die Partei gleich stark für strengere Bankenregeln kämpfen, wenn sie damit rechnen muss, dass die Bank ihr das Geld wieder entzieht? Bei den bürgerlichen Parteien sorgt diese Abhängigkeit schon gar nicht mehr für Diskussionen.

Mit wie viel Geld die Wirtschaft ihre Interessen in der Politik vorantreibt, zeigte etwa die Abstimmung über die Unternehmenssteuerreform II im Jahr 2008, mit der InvestorInnen steuerlich begünstigt wurden: Das Ja-Lager verfügte im Abstimmungskampf über 4,3 Millionen Franken, das Nein-Lager über 200 000 Franken.

Hinzu kommen unzählige LobbyistInnen, die die Wirtschaft vertreten, sowie Interessenbindungen der ParlamentarierInnen. SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher ist eine treibende Kraft hinter der Unternehmenssteuerreform III, von der sie als Ems-Chefin wiederum profitieren wird.

So wie die Wirtschaft im Journalismus und in der Wissenschaft die Aufklärung untergräbt, so zerschlägt sie in der Politik die Idee des Gemeinwohls. An die Stelle des französischen tritt das angelsächsische Demokratiemodell, in dem Politiker Interessen vertreten und eine unsichtbare Hand dafür sorgt, dass am Ende aus den verschiedenen Interessen Gemeinwohl entsteht. Doch so wenig das am Markt klappt, so wenig taugt es für die Demokratie: Während Banken an Gesetzestexten mitschreiben, haben Arbeitslose oder Sans-Papiers kaum eine Stimme.

Die jüngste Entwicklung in diesem immer unübersichtlicheren Karussell der Interessen besteht darin, dass die Politik nun auch die Medien übernimmt. Die SVP, eine jener Parteien, die am meisten Geld aus der Wirtschaft erhält, versucht nach der Übernahme der «Basler Zeitung» und der «Weltwoche», weiter an medialem Einfluss zu gewinnen. Es ist die Entstehung eines Kartells aus Wirtschaft, Politik und Medien, wie man es von autoritären Regimes kennt. Keiner verkörpert dies klarer als Roger Köppel: Gestern tritt er an der Generalversammlung des Chemiekonzerns Sika auf, heute poltert er im Nationalrat gegen die Asylpolitik, morgen würdigt er in der Redaktionsstube seinen heldenhaften Kampf.

Wo bleibt die Aufklärung?

Die SP liefert mit ihrer Initiative eine mögliche Antwort auf die Übermacht des Geldes: Transparenz. Dasselbe wird auch in Wissenschaft und Journalismus gefordert: Die Interessen, die sich im Mantel des Gemeinwohls und der Aufklärung präsentieren, sollen zumindest offengelegt werden.

Transparenz ist wichtig. Doch auch sie vermag nicht alle Probleme zu lösen. Den Menschen fehlt es heute weniger an Transparenz als an Einordnung und Deutung. Jeder weiss um die Interessen von Martullo-Blocher. Und doch schafft sie es, den Leuten Steuerprivilegien auf Dividenden als Arbeitsplatzbeschaffungsmassnahme zu verkaufen. Zudem: Selbst wenn die Lügen in Politik, Wissenschaft und Journalismus entlarvt werden, bleibt die Frage: Wer macht in Zukunft unbestechlich Politik, Wissenschaft und Journalismus? Wer sorgt für Aufklärung?

Eine andere Antwort auf die Übermacht des Geldes bestünde darin, das Prinzip der Unabhängigkeit hochzuhalten. So wie einst die Kirche gilt es heute, das Kapital in die Schranken zu weisen. Mit einer Art Wirtschaftslaizismus. Die entscheidende Frage bleibt: Wie können Politik, Wissenschaft und Journalismus künftig finanziert werden? Das ist die Debatte, die geführt werden muss.