RebellInnenrätsel: Die Freiheit als gigantische, weltweite Verschwulung

Nr. 18 –

Ein harter Anfang: Geboren 1935 in Brandenburg als uneheliches Kind, der Vater ist Jude und flieht wenig später nach Schweden. Der Junge lebt zeitweise im Kinderheim, 1943 kommt er zurück zur Mutter, nach Hamburg – und muss gleich in den Luftschutzkeller; die Alliierten bombardieren flächendeckend. Nach dem Krieg wird er schon als Elfjähriger Schauspieler an Hamburger Theatern, wo auch seine Mutter arbeitet. Eine prägende, aber zwiespältige Freundschaft mit dem Schriftsteller Hans Henny Jahnn beginnt.

Früh entdeckt der Junge sein schwules Begehren – zu einer Zeit, als «Unzucht unter Männern» noch ins Zuchthaus führen kann. In einer fast zwanzig Jahre älteren Fotografin findet er eine Freundin fürs Leben. Er bricht aus, per Autostopp in die Provence, wo er Schafe hütet, und zu den Beatniks, Prostituierten und Kleinkriminellen in Hamburg-St. Pauli. Dort spielt auch sein zweiter Roman, voller Rhythmus und Slang, der 1968 erscheint: Jetzt hat auch Deutschland eine Popliteratur.

Die eigene Biografie liefert den Rohstoff für weitere Romane, seine Sprache entwickelt einen grossen Sog, oft sehr düster, mit beklemmend präzisen Assoziationen. Die Entgrenzung fasziniert ihn, doch er bleibt ein genauer, analytischer Beobachter. Das kommt ihm zugute, als er zusammen mit der Fotografin in der Karibik, in Brasilien und Afrika religiöse Rituale zu erforschen beginnt. Die beiden kommen so nah heran wie wohl noch keine EuropäerInnen vor ihnen. Aber sie verlieren sich nie in der Faszination – die Politik, die Widersprüche, das Elend der postkolonialen Staaten sind ein entscheidender Teil ihrer Berichte. Sex auch. Schon 1971 hatte er sein Alter Ego Jäcki sagen lassen: «Ich kann mir die Freiheit, wenn ich ehrlich bin, nur als eine gigantische, weltweite Verschwulung vorstellen.»

Er beginnt eine monumentale, neunzehnbändige «Geschichte der Empfindlichkeit», in der viele Themen aus früheren Romanen wieder auftauchen. Teil davon ist der Roman «Explosion». «Geschüttelt von den Aidsartikeln der Weltpresse, schreibe ich einen wahnsinnigen Roman über ebendas, was uns nun wohl demnächst verboten werden soll: homosexuelle Orgien», hält er während der Arbeit dazu fest. Er schafft nur noch die Rohfassung. Über seine eigene Erkrankung spricht er nicht. Als er 1986 stirbt, ist die Hetze gegen seinesgleichen in vollem Gang.

Wir haben den Schriftsteller Hubert Fichte (1935–1986) – und die Fotografin Leonore Mau (1916–2013) – gesucht. Fichtes Gesamtwerk ist im Verlag S. Fischer erfreulicherweise fast vollständig erhältlich.