Kost und Logis: Was esst ihr eigentlich?

Nr. 23 –

Bettina Dyttrich über ärgerliche Debatten

Jetzt haben wir neun Jahre lang geredet. 2007, als plötzlich die Grundnahrungsmittelpreise stiegen und die Armen revoltierten, kam das Thema Landwirtschaft mit Getöse zurück in die internationale Diskussion – nachdem es zuvor jahrelang fast niemanden interessiert hatte. Wir hatten neun Jahre Zeit, schlauer zu werden. Und zum Beispiel zu verstehen, dass die alte Behauptung, die Liberalisierung der Agrarmärkte diene den Armen, auf wackligen Füssen steht. Oder zu lernen, dass die Ackerböden weltweit knapp und bedroht sind, es also überall BäuerInnen braucht, auch im reichen Norden.

Hat es etwas gebracht? Leider nein, muss ich sagen, wenn ich sehe, was in den Wochen nach dem Parmelin-Baulanddeal über «die Bauern» so geredet und geschrieben wird. Onlinekommentare triefen vor Häme und Hass, fordern «freien Markt» und ein Ende jeder staatlichen Stützung. Der linksliberale Historiker Philipp Sarasin äussert sich im «Blick» auch nicht viel differenzierter: Er schimpft, in der Schweiz sei das Fleisch zu teuer.

Man muss bei diesem Thema immer wieder bei null anfangen: Was esst ihr eigentlich, Leute? Ist euch bewusst, dass das Lebewesen waren? Wenn man die «Produktion» von Lebewesen industrialisiert, damit sie immer billiger wird, hat das Nebenwirkungen: Tierquälhaltung, Pestizid im Brot, Dioxin im Ei. Oder das, was der «freie Markt» gerade in der EU anrichtet: Die LandwirtInnen melken immer mehr, können immer weniger davon leben, und der Export ruiniert ihre KollegInnen in Afrika.

Auch wenn es um Pestizide geht, klingen die Diskussionen oft, als hätten die KonsumentInnen mit den bösen giftspritzenden Bauern rein gar nichts zu tun. Die EU hat die Frage, ob das wahrscheinlich krebserregende Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat weiterhin zugelassen werden soll, wieder einmal vertagt. Laut einer Umfrage des Onlineportals Yougov unterstützen zwei Drittel der WesteuropäerInnen ein Verbot. Die sollten eigentlich alle Bioprodukte kaufen, das wäre die beste Strategie für eine giftfreie Landwirtschaft. Tun sie aber nicht.

Kürzlich war ich in Frankreich und habe einen Film über eine Gruppe BäuerInnen gesehen, die sich im Departement Aveyron zusammengeschlossen haben, um ihre Produkte gemeinsam zu vertreiben: «Des locaux très motivés» (Sehr motivierte Einheimische, 2015) von Oliver Dickinson. Da sieht man den Freilandschweinehalter, der sein Holz mit dem Pferd aus dem Wald holt, die Gemüsegärtnerin, die vom Glück auf dem Feld erzählt. Alles ein bisschen zu idyllisch, dachte ich zuerst. Aber der Film beeindruckt trotzdem, weil man sich unweigerlich zu fragen beginnt: Warum organisieren wir nicht die ganze Produktion so, auf der Basis würdiger Arbeit? Warum schauen wir nicht, welchen Preis die ProduzentInnen brauchen, um diese Arbeit gut machen zu können? In kaum einem Bereich lässt sich das so gut umsetzen wie bei der Nahrung.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin.