Fussball und andere Randsportarten: In Sumo we trust

Nr. 26 –

Etrit Hasler über ChristInnen, die Sumo für eine Religion halten

In St. Gallen geistert derzeit eine etwas kuriose Geschichte durch die Medien: Ein lokaler Judolehrer, Oliver Paganini, unterrichtet an einer städtischen Primarschule Kinder in Sumo. Dabei bringt er die Kinder spielerisch mit den Ritualen des Sports in Berührung: dem Werfen des Salzes, um den Ring zu reinigen; dem lauten Klatschen, um ablenkende Gedanken zu vertreiben und sich auf das Hier und Jetzt zu fokussieren; dem Zeigen der Hände als Beweis, dass man unbewaffnet ist; und nicht zuletzt mit dem Gruss nach dem Kampf, der – analog dem Sägemehlabwischen beim Schwingen – signalisiert, dass es nicht ums Gewinnen, sondern um den gegenseitigen Respekt geht.

Natürlich freue ich mich immer wieder darüber, wenn ich feststelle, dass ich nicht der einzige Mensch in diesem Land bin, der eine Faszination für dicke Männer in Unterhosen verspürt, die sich gegenseitig durch den Ring schieben. Weniger gefreut hat sich der St. Galler EVP-Stadtparlamentarier Markus Knaus, der erbost eine Anfrage an die Stadtregierung richtete, in der er unter anderem schrieb: «In Japan wurden früher nichtorganisierte Sumo-Ringkämpfe immer wieder verboten und man liess nur noch den organisierten, professionalisierten Sumo-Kampf bei Schreinen und Tempeln zu. Man sah den Ring als heiligen Kampfplatz an.» Weiter fragte Knaus die Stadtregierung, ob «das Einüben von Praktiken wie die Rituale beim Sumo-Ringen nicht auch eine Art von Missionieren» sei und «in unseren Schulen jede Religion praktiziert werden (dürfe), nur nicht die christliche?».

Wie dies häufig bei parlamentarischen Vorstössen der Fall ist, besteht die Anfrage aus einer Mischung aus religiösem «Mimimi» und gefährlichem Halbwissen – nicht unähnlich jener von SVP-Nationalrätin Sylvia Flückiger, die tanzende Heuballen an der Gottharderöffnung mit islamischen Derwischen verwechselte.

Sumo wird vermutlich seit den prähistorischen Frühzeiten Japans im 8. Jahrhundert betrieben – der Legende nach soll die Insel selbst den Naturgöttern in einem Sumokampf abgerungen worden sein. Verboten wurde der Sport nach den Wirren des japanischen Bürgerkriegs im 17. Jahrhundert, als herrenlose Samurai vermehrt Sumokämpfe in den Strassen abhielten, wobei sie wohl auch in rauen Mengen dem Sake frönten. Diese Kämpfe mündeten regelmässig in wüste Strassenschlägereien, weswegen das Shogunat Sumo ausserhalb von Shintoschreinen verbot – nicht aus religiösen Gründen, sondern eher als frühzeitliche Antihooliganmassnahme. Die Einführung shintoistischer Rituale in den Sport entstammt dieser Zeit – als Resultat des Verbots, nicht als dessen Begründung.

Damit hat das moderne Sumo nicht mehr viel zu tun. Auch wenn die erwähnten Rituale einen religiösen Hintergrund haben, sind sie heute Teil einer inszeniert traditionalistischen Show. Wobei ein religiöses Element leider bis heute überlebt hat: So erachtet der Shintoismus (wie das Alte Testament auch) Frauen als «unrein» während ihrer Periode, weswegen ihnen bis heute der Zutritt zum Ring verboten bleibt.

Im St. Galler Sumokurs ist das natürlich nicht der Fall – der wird für beide Geschlechter angeboten. In diesem Sinn praktiziert Oliver Paganini also eine zutiefst christliche Tugend: Er nimmt «heidnische» Elemente und verleibt sie unserer Kultur ein. Genau so haben einst der Christbaum (keltisch) und das Bild von Jesus als gutem Hirten (Orpheus-Kult) ihren Weg in die christliche Tradition gefunden. Sich über Sumo aufzuregen, scheint also etwas kleinlich, vor allem wenn eine viel grössere Gefahr für die christlichen Werte an unseren Schulen alltäglich ist. Wie sagte Sepp Blatter vor einem Jahr? «Die Fifa ist durch die positiven Emotionen, die der Fussball auslöst, einflussreicher als jedes Land der Erde und jede Religion.» Vielleicht sollte Markus Knaus dazu mal einen Vorstoss machen.

Etrit Hasler ist ebenfalls Mitglied im Stadtparlament St. Gallen. Leider wird eine einfache Anfrage nur schriftlich vom Stadtrat beantwortet, ansonsten hätte er dieses Plädoyer gerne im Parlament gehalten.