Fluchthilfe: Illegal zum Recht verholfen

Nr. 36 –

Vergangenen Donnerstag verhaftete die Tessiner Kantonspolizei die SP-Kantonsrätin Lisa Bosia Mirra. Sie hatte gemeinsam mit einem Mann versucht, vier eritreische Minderjährige in einem Lieferwagen über die Grenze in die Schweiz zu fahren. Sie wurde noch am selben Tag wieder freigelassen. Ihr droht jedoch – wegen Beihilfe zu illegaler Einreise – eine Geldstrafe oder Gefängnis bis zu einem Jahr. Keinen halben Tag später tauchte bereits die erste UnterstützerInnengruppe auf Facebook auf: «Fluchthilfe ist kein Verbrechen» und «Straffreiheit für Lisa Bosia Mirra!» heisst es dort. Seither haben knapp 2000 Menschen eine Unterstützungspetition unterschrieben.

Jenseits dieser Welle von Unterstützung wird vor allem in den Meinungsspalten von Zeitungen diskutiert, inwiefern eine gewählte Politikerin gegen Gesetze verstossen darf, die doch von der Politik selber beschlossen wurden. Doch im Fall der mutmasslichen Fluchthelferin Lisa Bosia Mirra verfehlt diese Diskussion den Kern des Problems (vgl. «Nicht zu früh, um mit dem Auto an die Grenze zu fahren» ).

Vergangenen Mittwoch – einen Tag vor ihrer Verhaftung – kritisierte Bosia Mirra an einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Amnesty International und anderen Organisationen die Arbeit des Grenzwachtkorps. Dieses habe, so Bosia Mirras Vorwurf, zahlreiche Flüchtlinge an der Grenze nach Italien zurückgeschickt, die in der Schweiz hätten Asyl beantragen wollen, darunter viele Minderjährige. Es verstosse damit gegen die Genfer Konventionen, die jedem Menschen das Recht auf einen Asylantrag zugestehen.

Über mehrere Wochen hatte Lisa Bosia Mirra in Como solche Fälle dokumentiert. Von hundert Geflüchteten, für die ihre Organisation Firdaus Kontakte von Verwandten in der Schweiz ausfindig gemacht und sie damit wieder an die Grenze geschickt hatte, landeten rund die Hälfte wieder in Italien. Insofern ging es bei Bosia Mirras mutmasslicher Fluchthilfe nicht darum, geltende Gesetze zu umgehen – sondern darum, dafür zu sorgen, dass die minderjährigen Eritreer, die sich im Lieferwagen mit dem Berner Kennzeichen befanden, zu ihrem Recht auf einen Asylantrag in der Schweiz kommen sollten.