Fussball und andere Randsportarten: De oppresso liber

Nr. 36 –

Etrit Hasler über einen Hymnenstreit

Wer sich die Polemik um den Quarterback der San Francisco 49ers, Colin Kaepernick, ansieht, den überkommt kurz das Gefühl, der junge Afroamerikaner hätte mit einer brennenden US-Flagge seine Unterstützung für den Islamischen Staat verkündet, während er nackt ein halbes Dutzend Polizisten, Soldaten und republikanische Senatoren verprügelte und sich den Hintern mit der Verfassung abwischte. Tatsächlich war Kaepernicks Sakrileg zumindest in unseren Augen eher harmlos: Er weigerte sich, vor einem Footballspiel für die Nationalhymne aufzustehen.

Seinen Beweggrund formulierte er kurz danach für die aufgeregten US-Medien: «Ich stehe nicht auf, um Stolz für die Flagge eines Landes zu zeigen, das schwarze und farbige Menschen unterdrückt. (…) Es wäre egoistisch von mir, einfach wegzusehen, wenn Leichen in den Strassen liegen.» Eine dramatische Anklage, sicherlich, aber durchaus argumentierbar in einer Nation, in der es neben der Frage, ob ein irrer weisser Betrüger Präsident wird, vor allem darum geht, wie viele Stunden es dauern wird, bevor der oder die nächste AfroamerikanerIn niedergeschossen wird – sei es, weil Schwarze aufgrund ihrer Hautfarbe grundsätzlich verdächtig sind oder weil sie weissen Frauen im McDonald’s die Tür nicht aufhalten.

Kein Wunder, wurde der Fall in den symbolverliebten USA zum Skandal der Woche – Fox News, die republikanischen Twitter-Trolle, ja selbst die Verantwortlichen der Footballliga NFL beschimpften Kaepernick als «Verräter» und warfen ihm mangelnden Respekt vor den US-Truppen vor. Und überhaupt sei er als überbezahlter Sportstar wohl kaum in der Position, sich mit den vermeintlich Unterdrückten zu solidarisieren. Und wäre Colin Kaepernick ein durchschnittlicher Footballspieler, wäre seine Karriere wahrscheinlich sofort beendet gewesen.

Kaepernick jedoch drehte erst richtig auf: Er wies darauf hin, dass die Hymne ein Kriegsgedicht sei, das (gesungen zur Melodie eines britischen Trinklieds) unter anderem in der heute kaum mehr gesungenen dritten Strophe das Abschlachten von Sklaven glorifiziere. Er betonte seinen Respekt vor den Menschen, die «für Freiheit und Gerechtigkeit für alle kämpfen», aber dass gerade MilitärveteranInnen von den USA im Stich gelassen würden. Und nicht zuletzt machte er klar, dass der Rassismus in den USA auch nicht vor TopathletInnen haltmache – womit er unter anderem auf den Fall des Schweizer Basketballstars Thabo Sefolosha anspielte, dem von der New Yorker Polizei in einem Nachtclub das Wadenbein gebrochen wurde und der derzeit eine Schadenersatzklage gegen das NYPD führt.

Kaepernicks durchdachte Argumentation brachte ihm noch mehr Häme, aber auch Solidarität ein – US-VeteranInnen stürzten sich in die sozialen Medien, um ihre Unterstützung kundzutun mit Sätzen wie: «Ich diene für dein Recht zu protestieren. Ich diene nicht für Polizeigewalt.» Und die «Huffington Post» reagierte mit einem Artikel über Veteranen, die Opfer von Polizeigewalt geworden seien.

Als sich Kaepernick beim zweiten Vorbereitungsspiel der 49ers wieder nicht für die Hymne erhob, wurde er zwar von einigen Fans ausgebuht, aber er war nicht mehr alleine. Einer seiner Mitspieler, Eric Reid, blieb neben ihm auf der Bank sitzen, ein zweiter, Nate Boyer, stellte sich demonstrativ neben ihn, sang jedoch mit. Nate Boyer ist ein ehemaliges Mitglied der Spezialeinheit Green Berets. Wenige Tage vor dem Spiel hatte er in einem offenen Brief seine gemischten Gefühle zu Colin Kaepernicks Protest erläutert: «Ich werde dir weiter zuhören, ohne Vorurteile. Ich freue mich auf den Tag, an dem du inspiriert sein wirst, wieder für unsere Hymne aufzustehen. Ich werde neben dir stehen.» Und sein Brief endete mit dem Motto der US Special Forces: «De oppresso liber» – von Unterdrückung befreit.

Etrit Hasler hat nicht so einen Hymnenfetisch, findet das «Star-Spangled Banner» aber ziemlich eingängig. Und gefror vor Grauen, als er das erste Mal die dritte Strophe hörte.