Kommentar zu den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern: Die Partei der kleinen Männer

Nr. 36 –

In Mecklenburg-Vorpommern gibt es keine «Flüchtlingskrise». Schaut man genau hin, ist aber auch nicht die soziale Krise für den Erfolg der AfD verantwortlich.

Gewöhnlich spielt Mecklenburg-Vorpommern mit seinen gerade einmal 1,6 Millionen Menschen in der deutschen Politik nur eine marginale Rolle. Diesmal allerdings ist alles anders: Die Wahlen am vergangenen Sonntag haben die politische Lage in Deutschland auf den Kopf gestellt. Die offen rassistisch auftretende Alternative für Deutschland (AfD) setzte ihren Triumphzug fort und holte aus dem Stand 20,8 Prozent der Stimmen. Im neuen Schweriner Landtag wird sie damit zweitstärkste Partei sein – noch vor der CDU. Nach dieser Schlappe ist es unwahrscheinlich, dass Angela Merkel, die selbst aus Mecklenburg-Vorpommern stammt, noch einmal als Kanzlerkandidatin der Union antreten und Erfolg haben kann.

Der Aufstieg der AfD ist auch deshalb erstaunlich, weil die Partei nach ihrer Spaltung Mitte letzten Jahres erledigt schien. Die AfD war 2013 geprägt von Personen, denen die Austeritätspolitik von Finanzminister Schäuble zu griechenlandfreundlich war. Athen sollte nicht nur durch ein EU-Spardiktat in die Knie gezwungen, sondern sofort privatisiert werden. Die «Bild» debattierte damals über eine Zwangsversteigerung griechischer Inseln.

In diesem aggressiv austeritätschauvinistischen Klima propagierte die AfD die Wiedereinführung der D-Mark. Angeführt wurde sie dabei von Bestverdienern: einerseits dem neoliberalen Wirtschaftswissenschaftler Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel, dem langjährigen Präsidenten des deutschen Unternehmerverbands, und andererseits dem CDU-Funktionär Alexander Gauland, der zum rechten Flügel der Union gehört hatte.

Die Verbindung zwischen diesen Flügeln erwies sich allerdings schnell als prekär. Die Neoliberalen sorgten sich in erster Linie um ihre Sparguthaben, waren aber nicht grundsätzlich gegen Migration – solange diese der deutschen Wirtschaft nutzte. Die CDU-Rechten, denen Angela Merkels Liberalisierung der Union schon lange ein Dorn im Auge war, wünschten sich eine konservative Gegenrevolution in der Geschlechter- und Familienpolitik. Und für viele RassistInnen bot die AfD die Gelegenheit, eine rechte Sammelbewegung aufzubauen.

Als vor allem ostdeutsche Landesverbände sich daran machten, die AfD als rechtsextreme Partei zu positionieren, kam es schliesslich Mitte 2015 zum Bruch: Lucke und Henkel traten aus der AfD aus. Doch dank des geschärft rassistischen Profils kam der AfD-Siegeszug erst richtig in Gang. Im März erhielt die Partei bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg 15,1, in Sachsen-Anhalt 24,3 Prozent der Stimmen.

Die Ergebnisse von Mecklenburg-Vorpommern zeigen erneut, dass es der AfD gelingt, sehr unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen zu mobilisieren. Den Meinungsforschungsinstituten zufolge gewann die Partei jeweils etwa 20 000 Stimmen von CDU, NPD, SPD und der Linken. Der mit Abstand grösste Zustrom kommt jedoch aus dem Lager der NichtwählerInnen.

Als Begründung ihres Votums verweisen die meisten AfD-WählerInnen auf den Flüchtlingszuzug. Die zweitwichtigste Begründung ist der Wunsch, den etablierten Parteien einen Denkzettel zu verpassen, und dies wiederum hat offensichtlich auch mit der wirtschaftlichen Situation zu tun. So sind sechzig Prozent der AfD-WählerInnen der Ansicht, die Lage habe sich seit dem Ende der DDR «nur für die wenigsten» verbessert. Unter den Grün-WählerInnen stimmten nur achtzehn Prozent dieser Aussage zu.

Auch wenn längst nicht alle, die von Abstiegsängsten geplagt werden, tatsächlich auch von Armut betroffen sind, scheint der AfD-Erfolg durchaus mit der sozialen Krise zu tun zu haben. Diese Annahme allerdings ist bei genauerer Betrachtung ziemlich erstaunlich. Bei den hessischen Kommunalwahlen im Frühjahr hatte die AfD noch in den Reichenvierteln besonders gut abgeschnitten. Jetzt erscheint sie als soziale Protestpartei: So war sie in Mecklenburg-Vorpommern unter den ArbeiterInnen mit 33 Prozent stärkste Partei, und dies mit einem militant neoliberalen Programm – die AfD will die Steuersätze für Reiche senken und den Mindestlohn abschaffen.

Eigentlich müsste so eine Partei von inneren Widersprüchen zerrissen werden. Doch offensichtlich sorgt der Rassismus dafür, dass diese Widersprüche nicht zum Tragen kommen. Trotz interner Machtkämpfe und eines eher farblosen Auftritts scheint sich die AfD als «Partei der kleinen Leute» oder, richtiger, des organisierten Ressentiments der kleinen Leute erst einmal festsetzen zu können.

Erstaunlich wenig wird in Deutschland allerdings über einen anderen Aspekt gesprochen, der noch sehr viel mehr über die AfD aussagt: Nur 16 Prozent der Frauen, hingegen 25 Prozent der Männer haben die Partei gewählt.