Kommentar zu Afrika und dem Internationalen Strafgerichtshof: Im Zeitalter der Vertragsflucht

Nr. 43 –

Immer mehr afrikanische Staaten wollen sich vom Den Haager Strafgerichtshof zurückziehen. Der Prozess steht für eine Auflösung internationaler Grundprinzipien.

Burundis Präsident Pierre Nkurunziza liess sein Parlament abstimmen, bevor er mit seiner Unterschrift den Rückzug vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC) offiziell machte. In einem Jahr ist er rechtsgültig. Gegen Nkurunziza ermittelt das Den Haager Gericht, weil er jede kritische Stimme im zentralafrikanischen Land brutal zum Schweigen bringt und dabei glaubhaften Berichten zufolge auch vor schweren Menschenrechtsverletzungen nicht zurückschreckt.

Im Parlament hat Nkurunziza eine sehr grosse Mehrheit, die Abstimmung war eigentlich sinnlos. Doch der Deckmantel der Demokratie gehört in Burundi dazu, wo Nkurunziza erst wählen liess, nachdem er die Verfassung zu seinen Gunsten geändert, die Opposition niedergeknüppelt und damit seinen Sieg gesichert hatte. Vielerorts auf der Welt blühen solche Regimes, die vorgeblich nach den Regeln parlamentarischer Demokratien spielen, in Wirklichkeit aber Despotien sind, die Grund- und Menschenrechte pervertieren.

Der ICC wurde 1998 durch das multilaterale Römische Statut geschaffen, um solche Machtkonstrukte zu verhindern und die Universalität von Menschenrechten zu verteidigen. Seit Juli 2002 verhandelt der Strafgerichtshof in Den Haag die schlimmsten Verbrechen des Völkerstrafrechts: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Er verspricht, selbst die Mächtigsten zu bestrafen, wenn sie gegen Menschenrechte verstossen. Niemand soll über Leichen an die Macht gelangen, keine Volksgruppe Angst vor der Auslöschung haben.

Nicht nur der Rückzug Burundis zeigt, dass dieses Versprechen gescheitert ist. Letzte Woche hat auch Südafrika angekündigt, den ICC zu verlassen. Der umstrittene Staatschef Jacob Zuma war im Sommer dafür gescholten worden, dass er den vom ICC mit Haftbefehl gesuchten Präsidenten des Sudan, Umar al-Baschir, bei einem Staatsbesuch in Südafrika nicht hatte verhaften lassen.

Erst an diesem Dienstag kam aus Gambia die Meldung, das Land werde aus dem ICC austreten. Dasselbe hat auch Kenia im Sinn: Präsident Uhuru Kenyatta und sein Vize William Ruto standen selbst in Den Haag vor Gericht, weil sie für die Gewaltwelle nach den Wahlen von 2007 mitverantwortlich waren. Aber keiner von beiden konnte verurteilt werden – auch weil Zeugen verschwanden, umgebracht wurden oder im Lauf des Verfahrens ihre Aussagen änderten. Die Hoffnung der meisten KenianerInnen, die den ICC zunächst für die Verfolgung der von Kenias Justiz unantastbaren Politiker feierten, schlug in Angst vor einer erneuten Gewaltwelle um. Je länger der Prozess sich hinzog, desto mehr fachten die Regierenden Proteste gegen den ICC an.

Die afrikanischen Austritte markieren den Anfang vom Ende des Internationalen Strafgerichtshofs. Denn Nkurunziza und Zuma haben eine wichtige Hemmschwelle überschritten: Als ein mühsam ausgehandelter internationaler Vertrag ihnen Schwierigkeiten bereitete, wählten sie den Exit. Bald werden weitere Staaten folgen, wie etwa der Tschad. An Despoten mangelt es nicht.

Wenn diese Haltung um sich greift, ist mehr als nur das Fortbestehen des ICC in Gefahr. Denn damit werden essenzielle internationale Grundprinzipien unterwandert: Wozu noch über einen Klimavertrag verhandeln, wenn kurz vor der Sanktionierung jeder Staat austreten kann, der seine Ziele nicht erreicht hat? Warum Abrüstungsziele beschliessen, wenn sich der Vertragspartner womöglich nicht daran hält? Wieso Flüchtlingsquoten vereinbaren, wenn Regierungen spontan die Beschlüsse kassieren können?

Die drei Beispiele sind bezeichnend, weil alle drei nicht Theorie, sondern längst Praxis sind. Afrikas Despoten muss man vorwerfen, dass sie mit dem ICC-Austritt ihre eigene Straflosigkeit sichern wollen. Doch die meisten afrikanischen Staaten sind dem ICC wenigstens beigetreten, während Länder wie Syrien, die USA oder Russland gar nie Mitglied wurden. Für sie könnte einzig der Sicherheitsrat der Uno den Weg für Strafverfolgung frei machen – eine Illusion, wie der Syrienkrieg zeigt.

Der afrikanische Exit aus dem ICC zeigt, dass es keine allmächtige Weltjustiz gibt, die das Gute auf dem Planeten verfechten wird. Völkerrechtliche Erfolge können einzig mit politischen Mitteln errungen werden: Wer will, dass in Burundi und Südafrika grundlegende Menschenrechte eingehalten werden, muss eine intelligente Aussenpolitik betreiben. Denn erst wenn Despoten wie Nkurunziza politische Konsequenzen fürchten, werden sie ihre eigene Politik ändern. Die Zeit, in der sich ausländische Regierungen hinter einem Weltgericht verstecken konnten, sind hingegen vorbei.