Deutschland: Rot-Rot-Grün: Lebenszeichen aus dem linken Lager

Nr. 47 –

In den vergangenen Wochen haben sich Sozialdemokraten, Grüne und Linkspartei einander genähert. Kommt es nach der Bundestagswahl 2017 zu einem Politikwechsel?

Das Gespenst einer «Linksfront» geistert durch Deutschland – und zumindest in der CSU schrillen bereits die Alarmglocken. Grund für die Aufregung bei den Konservativen sind neue Annäherungsversuche zwischen SPD, Grünen und Linkspartei auf Bundesebene. Seine Partei werde verhindern, dass eine linke Regierung «Deutschland schwer schade», polterte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer kürzlich, sodass man fast meinen könnte, SPD-Chef Sigmar Gabriel hätte schon mit der Linkspopulistin Sahra Wagenknecht eine Wohngemeinschaft im Kanzleramt bezogen. Zugleich warf Scheuer der SPD – derzeit die Koalitionspartnerin seiner Partei in Berlin – Prinzipienlosigkeit und Geschichtsvergessenheit vor; schliesslich sei die Linkspartei die Nachfolgeorganisation der SED, der Einheitspartei in der staatssozialistischen DDR.

Mitte Oktober hatten sich rund hundert Bundestagsabgeordnete der drei Parteien in Berlin getroffen. Die Stimmung bei den Gesprächen soll gut gewesen sein, allerdings blieben heikle Themen ausgespart: Verbindendes sollte im Vordergrund stehen. Auch Gabriel schaute vorbei.

Kurz darauf erinnerte Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken, in einem Interview daran, dass bereits das gegenwärtige Kräfteverhältnis im Bundestag eine linke Mehrheit hergeben würde – und Gabriel, würde er sich zu einem Koalitionsbruch durchringen, in Wochenfrist als Kanzler Angela Merkel (CDU) ersetzen könnte. Denn schon die Wahl 2013 hatte eine linke Mehrheit in Deutschland gezeitigt. Damals allerdings waren die drei Parteien noch so weit voneinander entfernt, dass es nicht einmal zu Sondierungsgesprächen kam. Offenbar gibt es nicht wenige in den drei Parteien, die verhindern wollen, dass sich dieses Szenario 2017 wiederholt.

Die «nationalistische Herausforderung»

Zu ihnen gehört Axel Schäfer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag. In der Wochenzeitung «Zeit» schrieb Schäfer, das Land sei reif für «eine neue Perspektive» – auch wegen des Erstarkens des Rechtspopulismus. Die «nationalistische Herausforderung» sei eine Verpflichtung für die «progressiven Kräfte». Schäfer wird dabei auch an Österreich gedacht haben: Dort wurde die rechte FPÖ im Schatten einer schier ewigen grossen Koalition von ÖVP und SPÖ immer stärker. Solche Verhältnisse drohen auch in Deutschland, denn wegen des Dauertiefs der SPD in den Umfragen ist es mehr als unwahrscheinlich, dass es bald zu einer Neuauflage der rot-grünen Koalition kommt. Eine parlamentarische Mehrheit links der Mitte gibt es mittelfristig nur mit der Linkspartei.

Dass sich die besagte «nationalistische Herausforderung» nicht einfach von selbst erledigen wird, hat zuletzt der Rechtsruck in den USA mit dem überraschenden Wahlsieg Donald Trumps vor Augen geführt. Tatsächlich ist es höchste Zeit für linke Regierungsprojekte, die eine solidarische Politik als Alternative zu den allerorten reüssierenden NationalistInnen anböten. Käme es zu einem Wechsel in Deutschland, hätte dies Auswirkungen auf die ganze EU: Schliesslich waren es vor allem Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble, die alle Bemühungen, den wirtschaftspolitischen Austeritätskurs zu beenden, im Keim erstickten.

Das weiss man nirgendwo besser als bei Syriza in Griechenland. Der Versuch der Linksregierung unter Alexis Tsipras, sich im Sommer 2015 dem verordneten Sparkurs zu widersetzen, war spektakulär gescheitert. Die Niederlage von Syriza hat belegt, wie klein der Spielraum für Alternativen in Europa ist, solange im Herzen des Kontinents Anhänger des Marktradikalismus den Ton angeben. Eine linke Regierung in Berlin könnte indes neue Perspektiven eröffnen.

Allerdings ist fraglich, wie wahrscheinlich das Zustandekommen eines rot-rot-grünen Bündnisses tatsächlich ist. So ist das Verhältnis zwischen SPD und Linkspartei traditionell schlecht: Nicht wenige LinkspolitikerInnen sind ehemalige SozialdemokratInnen, die die Partei einst im Streit verliessen. Gerade die HardlinerInnen um Sahra Wagenknecht und ihren Ehemann Oskar Lafontaine, der zeitweilig als Finanzminister unter Gerhard Schröder amtierte, scheinen nach wie vor auf Oppositionskurs eingeschworen.

Bei den Grünen wiederum bringt der rechte Flügel eine Koalition mit der CDU ins Spiel. Andererseits können die Beschlüsse, die die Grünen auf ihrem Parteitag Mitte November gefasst haben – unter anderem sollen Vermögende stärker besteuert werden –, durchaus so gedeutet werden, als wäre eine Mehrheit der Basis bereit, ein rot-rot-grünes Bündnis in Erwägung zu ziehen.

Ein konkretes Programm fehlt bislang

Ein solches Bündnis allein ist allerdings noch kein Garant für eine soziale Politik. So war 1998 eine rot-grüne Koalition angetreten, um einen «Dritten Weg» jenseits von Marktradikalismus und Staatssozialismus zu beschreiten: Man wollte Politik machen für eine «neue Mitte» und nach Jahren konservativer Vorherrschaft einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel vorantreiben. Am Ende blieben davon vor allem neoliberale Reformen, die dafür verantwortlich sind, dass die soziale Spaltung der Bundesrepublik heute so tief ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Damit sich diese Geschichte nicht wiederholt, ist ein ausgearbeitetes Programm notwendig, das formuliert, wie eine linke Regierung auf die Verwerfungen der Gegenwart reagieren könnte. Aus für sich genommen vernünftigen Einzelforderungen nach einer höheren Besteuerung der Reichen ergibt sich in der Summe noch kein schlüssiges Regierungsprojekt. So weisen auch des Neoliberalismus unverdächtige WissenschaftlerInnen darauf hin, dass ein einfaches Zurück zum Wohlfahrtsstaat der Nachkriegszeit angesichts der internationalen Verflechtung der Märkte nicht mehr zu haben ist.

Wie aber könnte eine konkrete Alternative zu kapitalistischer Globalisierung einerseits und zu nationalstaatlicher Abschottung andererseits genau aussehen? Bis es Antworten auf diese Frage gibt, bleibt noch viel zu tun für die Linke, nicht nur in Deutschland.

Die Chancen für eine Mehrheit : «Wir müssen jetzt für ein linkes Bündnis kämpfen»

Thomas Seibert, Vorstandssprecher des Instituts Solidarische Moderne (ISM), über den Rechtsruck in Deutschland – und die Möglichkeiten einer rot-rot-grünen Regierung.

WOZ: Thomas Seibert, die Grünen haben zuletzt wieder die Frage der Verteilungsgerechtigkeit in den Vordergrund gerückt. Wie bewerten Sie dies mit Blick auf ein mögliches rot-rot-grünes Bündnis?
Thomas Seibert: Die Beschlüsse belegen zunächst einmal, dass die Grünen noch eine lebendige Parteikultur haben und die Fähigkeit besitzen, offen zu diskutieren. Vergleicht man das mit der Linkspartei, so ist diese viel eher von hierarchischen Strukturen geprägt.

Wie erklärt sich das?
In der Linkspartei dominieren traditionslinke Fraktionen, die fast reflexartig gegen jeden Kurswechsel aufbegehren. Das liegt daran, dass viele in der Partei früher in autoritären Organisationen aktiv waren – das Spektrum reicht hier von trotzkistischen Zusammenhängen bis hin zur SED. Die Grünen sind dagegen beweglicher, obgleich natürlich auch bei ihnen eine Vermachtung der Parteistruktur existiert.

Trotzdem gibt es doch auch bei den Grünen einen starken rechten Flügel.
Dieser Flügel ist weniger auf inhaltlicher Ebene rechts, sondern vielmehr in dem Sinn, dass er eine bedingungslose Unterwerfung unter realpolitische Zwänge fordert. Dort herrscht eine Dogmatik des Pragmatischen, die alles verwirft, was irgendwie utopisch zu sein scheint. Genau das ist es, was die Grünen immer wieder nach rechts abdriften lässt. Bemerkenswert ist auch, dass die Wähler der Grünen oft rechts von der Partei stehen – diese Einschätzung hört man immer wieder, wenn man sich mit Grünen-Mitgliedern unterhält.

Die Debatte um eine mögliche rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene hat zuletzt wieder Fahrt aufgenommen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Was die Berliner Akteure derzeit tun, sollte man nicht überbewerten – ich denke, dass vieles auch reines Machtgeplänkel ist. Man darf nicht vergessen, dass SPD-Chef Sigmar Gabriel ein strategisch denkender Kopf ist. Trotzdem gibt es in Deutschland tendenziell sowohl eine parlamentarische als auch eine gesellschaftliche Mehrheit für ein rot-rot-grünes Projekt. Und darunter sind viele überdurchschnittlich gebildete und junge Menschen.

Aber erleben wir derzeit nicht eher einen Rechtsruck – gerade auch in Deutschland?
Ich wäre vorsichtig mit diesem Urteil. Offenkundig ist die neoliberale Hegemonie in eine Krise geraten – und jetzt werden rassistische und nationalchauvinistische Ressentiments lautstark artikuliert. Aber der Eindruck, dass die Gesellschaft insgesamt nach rechts gerückt ist, täuscht. Rechte Kräfte gab es in Deutschland schon immer, nur waren diese jahrzehntelang stillgestellt, was jetzt offenkundig nicht mehr der Fall ist.

Also kein Grund zur Panik?
Wir haben es mit einer Spaltung der Gesellschaft zu tun, und dadurch gibt es zumindest eine neue Offenheit der Kräfteverhältnisse. Insgesamt gibt es zudem einen wachsenden antikapitalistischen Pol. Aber natürlich hat die Rechte einen fatalen Vorsprung in der Artikulation, während der gesellschaftlichen Linken bislang eine gemeinsame Stimme fehlt.

Wie sollte man auf diese Situation reagieren?
Wir müssen jetzt erst einmal darum kämpfen, dass die rot-rot-grüne Regierung zustande kommt – auch wenn ich nicht allzu hohe Erwartungen an eine solche Regierung hätte. Aber es wäre ein Zeichen des Wandels und ein Anfang, der neue Möglichkeiten eröffnen und beweisen würde, dass man tatsächlich etwas ändern kann.

Interview: Daniel Hackbarth