Linke Opposition auf der Krim: Tausend Rubel Strafe als Vorwarnung

Nr. 47 –

Sie stehen zwischen allen Fronten: linke AktivistInnen auf der Krim, die weder zu den alten ukrainischen Machthabern halten noch die neue russische Herrschaft akzeptieren wollen.

Sergei Wasiltschenko wirkt völlig verstört und apathisch. Seine WeggefährtInnen erkennen den linken Aktivisten nicht wieder. Er gehört in Eupatoria, einer Küstenstadt auf der Halbinsel Krim, zur anarchistischen Szene. Mitte November ist er aus zehntägiger Haft entlassen worden.

Im August hatte sich Wasiltschenko zusammen mit sechs Gleichgesinnten vor das Gebäude des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB in seiner Heimatstadt gestellt, um für die Freilassung des politischen Gefangenen Oleksandr Koltschenko zu demonstrieren. Koltschenko war in der antifaschistischen Szene auf der Krim aktiv. Im August 2015 wurde er wegen Brandstiftung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung von einem russischen Gericht zu zehn Jahren Haft verurteilt. Menschenrechtsorganisationen kritisierten das Verfahren vehement und sprachen von einem Schauprozess.

Schnellverfahren noch am selben Tag

Wenige Tage nach der Demonstration erhielt Wasiltschenko Besuch von der Polizei. Unter Androhung von Gewalt musste er gestehen, dass er mit Graffiti zum Wahlboykott aufgerufen hatte. Aus Angst vor einer Verhaftung tauchte Wasiltschenko unter. Doch am 3. November wurde er wieder verhaftet: Drei Polizeiwagen fuhren vor dem Wohnhaus seines Vaters vor. Die Beamten erzwangen sich mit gezogener Pistole Zutritt zur Wohnung und entdecken dort Sergei Wasiltschenko. Erneut sei er in der Abteilung «Extremismusbekämpfung» mit Folter bedroht worden. Man beschuldigte ihn der Verbreitung von «extremistischem Material» – sagte aber nicht, was damit konkret gemeint ist. Schliesslich wurde er noch am gleichen Tag einem Richter vorgeführt und in einem Schnellverfahren zu zehn Tagen Arrest verurteilt.

Der Anarchist Alexei Schestakowitsch aus Simferopol ist ein Weggefährte von Wasiltschenko. Auch er hat Ärger mit den russischen Behörden. Am 20. September wurde er wegen einer extremistischen Äusserung, die er vor sechs Jahren im Internet gemacht haben soll, zu einer Busse von tausend Rubel (rund sechzehn Franken) verurteilt. «Die Strafe scheint nicht hoch zu sein», erklärt Igor Panjuta, Sprecher des marxistischen Diskussionszirkels Alterra 21 aus Sewastopol. «Doch die Botschaft der Behörden ist eindeutig: Wer aktiv ist, muss für seine Aktivitäten bezahlen. Zuerst mit Geld, und wenn das nicht genug abschreckt, dann auch mit einer Freiheitsstrafe.» Panjuta befürchtet weitere Repressionen gegen die Linke: Wasiltschenko sind von der Polizei sogar Kontakte zum Islamischen Staat vorgeworfen worden.

Zwischen den Blöcken

Die russische Annexion der Krim von 2014 hat die Linke auf der Halbinsel gespalten. Ein kleiner «internationalistischer Teil», zu der sich einige anarchistische und kommunistische Gruppen zählen, sieht sich doppelt isoliert. In einer Erklärung von Anfang November bezeichnet diese «Konföderation der Linken» ehemalige Weggefährten als «Sozialchauvinisten», weil sie entweder die ehemaligen ukrainischen Machthaber (und ihre westlichen Verbündeten) oder die russischen Invasoren unterstützen würden. Die Annexion der Krim lehnen die Linken ab, auch wenn nicht von der Hand zu weisen sei, «dass die überwiegende Mehrheit der Werktätigen auf der Krim im russischen Imperialismus eine Lösung für ihre sozialen und wirtschaftlichen Probleme sieht».

Seit der Annexion habe sich im Alltag der Menschen nicht viel geändert, so Igor Panjuta, der in Simferopol lebt, sich aber auch mehrmals im Jahr in Kiew aufhält. Doch es gebe inzwischen weniger Korruption, und die medizinische Versorgung der älteren Generation sei besser geworden. Seine Mutter sei vor kurzem sogar kostenlos operiert worden. Zugleich seien die bürgerlichen Freiheiten deutlich eingeschränkt. Unter russischer Herrschaft gebe es weniger Pressefreiheit und keine Versammlungsfreiheit. Ende November will die Konföderation der Linken in Eupatoria gegen die Willkür der russischen Behörden demonstrieren. Ein Konflikt mit den Machthabern ist programmiert.

Es sind aber nicht nur Aktionen für politische Gefangene oder gegen polizeiliche Willkür, die die Linken in einen Konflikt mit den russischen Behörden bringen. Hinzu kämen Konflikte mit russischen Oligarchen, die zahlreiche Firmen auf der Krim in Beschlag nehmen, so Panjuta. «Und dabei gehen in der Regel Arbeitsplätze verloren.» Protesten von linken AktivistInnen sei es immerhin zu verdanken, dass fünfzig entlassene ArbeiterInnen einer Milchfabrik in Simferopol zumindest eine Abfindung erhalten hätten.