Nationalliga B: Blos en chliine Klub

Nr. 47 –

Kurz vor der Eröffnung des neuen Stadions, des Vermächtnisses des langjährigen Präsidenten Aniello Fontana, steht der FC Schaffhausen vor einer ungewissen Zukunft. Eine Momentaufnahme.

  • Stadion Breite, Montag, 21. November: Impressionen des Fotografen Milad Ahmadvand rund um das Spiel des FC Schaffhausen gegen den FC Aarau.

Daniel F. Koch hat schon viel erlebt. Doch so was? Im September stand der FC Schaffhausen noch an der Spitze. Und seither? Ein Pünktchen aus elf Spielen. Schlusslicht.

Drei Tage vor dem Spiel gegen den FC Aarau sitzt der Sportredaktor der «Schaffhauser Nachrichten» in einem Café in der Altstadt. «Ein spezieller Moment», sagt er gleich am Anfang. Am selben Abend noch soll der an Krebs erkrankte Vereinspräsident Aniello Fontana an der Schaffhauser Sportlergala für sein Lebenswerk gewürdigt werden. Fontana, der Mann, der 1956 als Neunjähriger aus Italien in die Schweiz kam, als Häusermakler reich wurde und sich mit der Immobilien- und Treuhandfirma Fontana Invest ein kleines Imperium aufgebaut hat.

Seit 25 Jahren regiert Fontana den FC Schaffhausen. Nun plant er seinen Abgang. Die Firma hat er bereits seinen Kindern überschrieben. Seine Tochter leitet die Geschäftsstelle des Vereins. Und zum neuen Präsidenten wird wohl ihr Mann, Marco Truckenbrod-Fontana, der derzeitige Geschäftsführer.

Am Scheideweg

Beim FC Schaffhausen hoffen alle, dass Fontana den Einzug in den Lipo-Park in Herblingen – laut Koch «das grösste Bauprojekt in Schaffhausen seit dem Munot» – nach seiner Operation miterleben kann. Dabei ist noch nicht einmal klar, ob der FCS dort wie geplant zum Rückrundenstart im Februar einlaufen wird. Ein Bundesamt schickte das Sicherheitskonzept unlängst mit Auflagen zurück.

Doch wie Fontanas Vermächtnis weiterführen, wenn gar ein Abstieg droht? Und der Patron nicht mehr das Defizit übernimmt – für einen Verein, der pro Heimspiel nur 1500 ZuschauerInnen anzieht?

«Schaffhausen ist eher eine Handballstadt», erklärt Koch. «Und das noch mehr, seit der Unternehmer Giorgio Behr die Kadetten Schaffhausen übernommen und in die Champions League geführt hat.» Zwei Millionen Franken beträgt das Jahresbudget der Kadetten – genug, um in der europäischen Handballelite mitzuhalten. Dem FC Schaffhausen reicht dasselbe Budget höchstens für ein mässiges Nati-B-Team.

«Ganz z usserscht usse und äne am Rhy / do liit e chlises Stuck Wält», lokalisierte der Liedermacher Dieter Wiesmann in seinem Lied «Blos e chliini Stadt» seine Heimatstadt. Das kleine Einzugsgebiet ist mit ein Grund dafür, dass der Klub seit jeher von Grenzgängern geprägt ist. Auch Koch ist einer, er wurde in Singen geboren. «Weil im deutschen Grenzgebiet kein grösserer Klub existiert, kommen viele Talente aus diesem Raum hierher», sagt er. Und weiter: «Phänomenal, was dieser kleine Verein immer wieder für Spieler und Trainer hervorgebracht hat.»

Joachim Löw zum Beispiel, der heutige deutsche Bundestrainer, galt in den späten achtziger Jahren als der Flankengott vom Munot – hauptsächlich bediente er mit seinen Bällen Axel Thoma, einen weiteren Grenzgänger. Beide wohnten sie in der deutschen Enklave Büsingen; Thoma, aktueller FCS-Trainer, noch heute – und auch Koch. «Wir haben uns beide um einen Platz im Gemeinderat beworben», verrät er. «Axel wurde auf der Liste der Selbstständigen gewählt. Ich – auf der Liste der Angestellten – habe es nicht geschafft.»

Noch immer sitzen wir im schönen altmodischen Café in dieser kleinen Stadt, «wo ein de ander kännt» (Wiesmann). Und wo sich der Mann am Nebentisch als weiterer Insider herausstellt. «Erwin Künzi, pensionierter Journalist», stellt er sich vor. Und ob er eine Anekdote erzählen dürfe. Aber natürlich. «Also», sagt Künzi, «Mitte neunziger Jahre, als Roy Pagno keinen Stammplatz hatte, ging er zu den Fans in der Ostkurve und verkündete: ‹Ich spendier euch ein Bier – wenn ihr meinen Namen ruft.› Nachdem es im nächsten Spiel ‹Pagno! Pagno!› aus der Kurve geschallt hatte, kam er wieder regelmässig zum Einsatz. In unseren Liveübertragungen auf Radio Munot hat sich darauf die Bezeichnung ‹Bierkurve› eingebürgert.»

Abschied von der Breite

Drei Tage nach dem Treffen mit Koch ist die Ostkurve auch eine Viertelstunde vor dem Anpfiff des Spiels gegen den FC Aarau noch immer fast leer. Und auch das Personal hinter dem Falkenbier-Stand hat nicht allzu viel zu tun an diesem Montagabend. Erst wenige Minuten vor Spielbeginn tauchen ein paar «Bierkürvler» auf und rollen gehetzt die Transparente auf. Doch schon als der Trommler zum ersten Schlag ansetzt, wirken die Gesänge wie die Pflichtübung eines frühzeitig erschöpften Männerchors. Selbst das Führungstor des Heimteams kann die Schwermut nicht verscheuchen. Zu sehr haben sich die Fans seit Wochen verausgabt. Vergeblich.

Die Kurvenordnung ist klar: hinter dem Tor die Fans aus dem harten Kern, einige darunter von der Fangruppe Abarticus. Links davon der «Chutte-Block», bestehend aus Männern um die fünfzig aus der einst bewegten Alternativszene. Und noch ein paar Schritte weiter: die «Chläggi-Gruppe» aus Leuten, die im Klettgau aufgewachsen sind. Darunter auch Marcel Gray, der seit seiner Kindheit an die Spiele auf der Breite geht. Gerade eben ist er in eine Wohnung im Breite-Quartier gezogen – kurz vor dem Auszug des FCS aus dem Kleinstadion im grünen Wohngebiet in die Industriezone.

«Jawoll!», schreit Gray nach dem Führungstor und ballt die Faust. Doch auch in seine Stimme mischt sich die Ironie spätestens ab dem Moment, in dem der FC Aarau den Spiess umdreht. Allzu viel Wehmut ob des Abschieds von der Breite will er nicht aufkommen lassen.

2 : 3 verliert der FCS. Schon zwei Minuten vor dem Abpfiff reissen die Bierkürvler die Transparente vom Gitter. Der Trommler hat den Stock längst schon eingepackt, dreht sich eine Zigarette und schüttelt immer wieder den Kopf. Als die Spieler mit hängenden Schultern zur Kurve trotten und ein paar Fans die Hände abklatschen, ist es still in der Ostkurve. Kollektive Kondolenz. «Nicht aufgeben! Weiterkämpfen!», ruft ein älterer Herr. Doch als er mit ein paar Kollegen gar noch zu klatschen wagt, winkt der Mann aus dem Trainerstab, der die Spieler wie ein Feldweibel zur Kurve eskortiert, unwirsch ab.

«Jetzt kommen richtig schwere Zeiten», titelt Daniel F. Koch am nächsten Tag.