Wichtig zu wissen: Verlöcherte Kunst

Nr. 47 –

Ruedi Widmer über Kunst und Gepfusch

In den neunziger Jahren stellte der amerikanische Künstler Donald Judd drei Betonbrunnen in ovaler Trogform in die Winterthurer Steinberggasse, die trotz ihres Betonminimalismus sofort die Herzen der Menschen erreichten, weil man in ihnen auch baden darf.

In der Vorweihnachtsszeit hatten die Geschäftsinhaber der Gasse jeweils auf die hölzerne Winterabdeckung der Brunnen grosse hölzerne Krippenfiguren gestellt, die sich ebenfalls grosser Beliebtheit in der Bevölkerung erfreuten.

Letztes Jahr wurden die Brunnen vom Stadtwerk, der lokalen Wasserbehörde, mit dichteren Leichtmetalldeckeln zugedeckt, da der Winterschmutz und Fasnachtskonfetti die Tröge angegriffen und die Abflüsse verstopft hatten. Doch diese Deckel boten keine Möglichkeit mehr, die Krippenfiguren darauf zu befestigen, und so wurde letztes Jahr zum Unmut der Bevölkerung auf das Aufstellen der Figuren verzichtet.

Um sie wieder zeigen zu können, haben die GeschäftsbesitzerInnen einen Metallbauer damit beauftragt zu prüfen, wie man die Krippefiguren auf die Leichtmetalldeckel schrauben könnte. Die Stadtwerk-Männer haben die Deckel zusätzlich sauber mit dem Brunnentrog verbolzt, damit die Figuren sicher stehen. Die Winterthurer Kunstkommission zeigte sich schockiert über das Ausmass der Kunstzerstörung. Verbolzen bedeutet nämlich naturgemäss auch bohren.

Als gelernter Gestalter und gleichzeitig Verorter von Lächerlichkeiten habe ich zwei Herzen in meiner Brust.

Es ist verständlich, dass der Handwerker eine gute Lösung sucht, und es ist ebenso verständlich, dass die Kunstkommission keine Freude hat, wenn man ein Kunstwerk eines namhaften Künstlers verlöchert, aber es ist auch etwas lustig. Es ist der Zusammenprall der Antipoden Obi-Baumarkt und Zürcher Hochschule der Künste.

Gerade die Schweiz hat ein sehr hohes gestalterisches Niveau in der öffentlichen und auch privaten Architektur. Es ginge oft fantasievoller, aber das meiste ist grundsolide. Das ist ein eigentliches Wunder. Auch hier bestimmt eine «Elite», wie etwas zu sein hat. Zum Glück hat das das Wutbürgertum noch nicht mitbekommen.

Für den Bauherrn lohnt sich nämlich der grosse Name des Architekten oder der Künstlerin allenfalls aus Imagegründen. Ist das Bauwerk nicht mehr neu, bekommt er nur Probleme: Der Denkmalschutz lehnt jegliche Änderungen ab. Der Architekt kann auch nach Jahren noch gegen den Bauherrn klagen.

Natürlich gibt es eine ganze Menge geschmackloser Architektinnen und Architekten im Land, die aber ihre eigenen Schöpfungen nicht als hässlich erkennen, sondern es einfach nicht besser können. Auch da kann es Rechtsstreit geben, wenn der Bauherr am Gebäude etwas ändern will.

Ich würde mit dem zweiten Herz in der Brust ein Büro gründen, das aktiv und aggressiv damit hausiert, Gebäude zu planen, die ganz bewusst nie in den Fokus der Denkmalpflege geraten. «Wir bauen nur für Sie. Nicht für uns oder die Bevölkerung oder den Denkmalschutz.» Ich würde die schlechtesten Gestalter und aber zwangsläufig die besten Statiker einstellen. Letztere sorgen dafür, dass das Gepfusch nicht zusammenfällt. Die besten Hobbyheimwerker dürfen für ein gutes Entgelt lustvoll und frei Verschläge anbringen, Schindeln, etwas mit Ziegeln, eine verrückte Beleuchtung.

Die Bauherren wären hell begeistert, weil sie das Gebäude in fünf Jahren niederreissen dürften, ohne dass ich oder irgendwelche Kunstleute intervenierten. Ich würde sogar jubeln, wenn die Bagger aufführen.

Der Bauherr geniesst seinen Vorteil in dem Moment, wenn bei seinem Kollegen, der mit Diener & Diener oder Botta gebaut hat, die Gerichtstermine beginnen. Ich gehe mich mit dem Bauherrn in der Rheinfelder Bierhalle betrinken und zeichne ihm schon auf den Bierdeckel sein nächstes Gebäude, das im Rausch noch krummer wird als alles, was Frank O. Gehry je gebaut hat.

So erreiche ich Volksnähe und habe trotzdem Spass dabei.

Ruedi Widmer ist Humorarchitekt in Winterthur.