Hundert Jahre SVP Zürich: Blocher auf die Banknote!

Nr. 12 –

Wie feiert eine Partei, die in den letzten dreissig Jahren mit einem rechtsnationalistischen Programm Erfolg hatte, ihren 100. Geburtstag? Zu Besuch am Jubiläumsanlass der Zürcher SVP.

Die Stimmung rund ums Kongresshaus mitten in Zürich erinnerte am letzten Sonntagnachmittag eher an den 1. Mai als an die Geburtstagsfeier der wählerstärksten Schweizer Kantonalpartei. An jeder Ecke ZivilpolizistInnen, in der Luft kreiste ein Polizeihelikopter, ein Wasserwerfer stand bereit. Schon seit Monaten war bekannt, dass verschiedene linke Gruppierungen die Hundertjahrfeier der Kantonalzürcher SVP stören wollten. Eine kleine Demonstration am Bellevue hatte die Polizei mit einem Grossaufgebot verhindertt.

Das Kongresshaus glich einer Festung. Der Vorplatz war nur durch eine schmale Schneise zwischen den Gitterwagen hindurch erreichbar. Einige Jungfreisinnige sammelten dort eifrig Unterschriften für ihre Initiative «Weniger Steuerbelastung für alle». Erst nach einer gründlichen Leibesvisitation, der sich selbst die SVP-Parteikader unterziehen mussten, gelangte man in die Eingangshalle. Ein älterer Mann in der Schlange beruhigte seine Frau: «Wenn sie uns nicht reinlassen, rufe ich den Gregor persönlich an.» Im Eingangsbereich lagen Gratisexemplare der «Weltwoche» auf, in der Luft ein Geruch, der an Erbrochenes erinnerte. Militante Linke hatten tags zuvor übel riechende Buttersäure verschüttet.

Alte Männer, grosse Erzählungen

Trotz Hochsicherheitsstimmung und Kotzgeruch: Die Zürcher Parteibasis liess sich ihr Fest nicht nehmen. Der grosse Saal war schon eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn gut gefüllt. Die mit Blumen dekorierte Bühne wurde links und rechts von Flaggen der Bezirke des Kantons Zürichs flankiert, die «Superländlerkapelle Carlo Brunner» spielte, auf einer Grossleinwand wurden Bilder aus der «Heimat» gezeigt (vorzugsweise ländliche Dörfer mit Riegelhäusern). Deutlich mehr Männer als Frauen hatten an diesem Sonntagnachmittag den Weg ins Zürcher Kongresshaus gefunden, im Durchschnitt älter als sechzig. Fast schon verhalten sassen sie da und unterhielten sich mit leiser Stimme. Wenn eine Politgrösse wie Andreas Glarner durch die Sitzreihen lief, ging jeweils ein ehrfürchtiges Raunen durch die Menge.

Wie es sich für eine Partei, die klassische Rollenbilder pflegt, gehört, waren, abgesehen von Corinne Merk, Präsidentin der Jungen SVP Winterthur, alle Festredner so wie ihr Publikum: alt und männlich. Inhaltlich sagten sie wenig Überraschendes, offenbarten jedoch eine gewisse Neigung zu grossen Erzählungen.

So versuchte Eröffnungsredner Konrad Langhart, Präsident der Zürcher SVP, die Geschichte des Zerfalls der eidgenössischen Werte anhand der Sujets auf den Banknoten zu deuten. An diesen sei «der leider von gewissen Kreisen angestrebte Wertewandel sehr konkret zu erkennen». Mit abstrakten Skizzen auf den neuen Banknoten wolle die Nationalbank eine offene Schweiz darstellen, «und ich denke, dass wir uns hier in diesem Saal einig sind, wer auf dieser Note abgebildet sein müsste». Man war sich nicht nur einig, sondern wusste auch, wer gemeint war. «Eine solche Note würde heute für grosse Empörung bei den Eliten sorgen – welche ich und wir alle hier im Saal herzhaft geniessen würden», sagte Langhart. Diese Vorstellung sorgte für strahlende Gesichter.

Zwischen den Reden sang ein SolistInnenensemble Arien von Beethoven, Verdi und Rossini. Schliesslich betrat Christoph Mörgeli die Bühne. In seiner Rede «Von der Bauernpartei zur Volksbewegung» hob er den Rümlanger Bauern Jakob Gujer als bedeutenden Pionier hervor. Bei Gujer hätten die Kinder noch auf dem Boden essen müssen, erklärte er dem Publikum. «Seine Devise war: Wer nicht arbeitet, soll nicht am Tisch sitzen. Heute würden viele am Boden sitzen, die keine Kinder sind.» Gelächter und Applaus.

Und dann endlich der Höhepunkt der Veranstaltung: Christoph Blocher mit seiner Ansprache «Unser Auftrag ist die Schweiz». In den letzten 700 Jahren seien die Freiheit und die Sicherheit der Schweiz immer wieder aufs Neue bedroht gewesen, und gerade heute würden diese von den politischen Eliten wieder aufs Spiel gesetzt. «Obwohl Volk und Stände der Masseneinwanderungsinitiative zugestimmt haben, versucht man heute an entscheidender Stelle, dies alles zu umgehen, zu missachten und gar in rechtswidriger Weise in das Gegenteil zu verkehren. Das darf und wird die hundert Jahre junge SVP nicht zulassen», versicherte der Übervater seinen ZuhörerInnen. Sie dankten es ihm mit Standing Ovations und tobendem Applaus.

Nach den drei Reden mit den üblichen Seitenhieben gegen fremde Richter und linke Eliten kam SP-Regierungsratspräsident Mario Fehr, der sich beim SVP-Publikum sichtlich wohlzufühlen schien. Er war zum Scherzen aufgelegt und bemängelte, dass die SVP-Regierungsräte beim alle vier Jahre stattfindenden Ratsschiessen immer sehr schlecht abschnitten. Dies sei für eine Partei von Militärfans ungebührlich. Er selber schiesse aus Mitleid mit den SVP-Magistraten jeweils absichtlich schlechter. Den Regierungsräten Markus Kägi und Ernst Stocker überreichte er – zur Begeisterung des Publikums – einen Gutschein für einen Schiesskurs.

Die Partei der «Chrampfer»

Wie üblich inszenierte sich die von Milliardären gelenkte Partei auch an ihrer Geburtstagsfeier als Vertreterin des kleinen Mannes. Die Redner gaben sich volkstümlich, stets bemüht, eine Kontinuität zu den bäuerlichen Wurzeln aufzuzeigen. Christoph Mörgeli hatte in seiner Rede etwa erklärt, die Partei habe schon immer gegen eine abgehobene wirtschaftliche und politische Elite gekämpft: «Seit ihrer Gründung handelte es sich auch um eine Partei der materiell wenig Begünstigten, der einfachen Leute, ja der Aussenseiter und der Peripherie.» Und Nationalratspräsident Jürg Stahl, der als Lobbyist des Versicherungskonzerns Groupe Mutuel die Politik im Sinne der grossen Krankenversicherer vorantreibt, erklärte: «Die Chrampferinnen und Chrampfer machen das Land aus und nicht die Politiker in Bern.»

Von allen Ansprachen hatte die Abschlussrede von Roger Bartholdi, Gemeinderatspräsident der Stadt Zürich, mit Abstand den grössten Unterhaltungswert. Als wäre er auf Speed, erklärte der adrette Banker mit nach hinten gegelten Haaren, schwitzend und mit lauter, aggressiver Stimme: «Ich habe neulich im ‹Tages-Anzeiger› gelesen, wir seien gegen alle. Ich würde eher sagen, alle sind gegen uns.» Ausserdem dürfe das besetzte Koch-Areal nicht mehr geduldet werden. Das Publikum nickte vor sich hin. Den Schlussapplaus nahm Bartholdi mit breitem Grinsen entgegen, ballte kämpferisch die Faust und schrie mehr, als dass er sprach: «Auch die nächsten hundert Jahre braucht es mehr SVP!»

Nach zwei Stunden endete der formelle Teil des Anlasses mit dem gemeinsamen Singen der Landeshymne. In der Eingangshalle wartete der Apéro riche, die Ländlerkapelle spielte noch einmal auf. Vor dem Kongresshaus war die Polizei zwar noch mit einem Grossaufgebot vor Ort, die Lage hatte sich aber beruhigt. Insgesamt waren an diesem Tag 130 Personen verhaftet worden.