… sich feministisch engagieren: Pinke Demos, rote Brunnen

Nr. 12 –

Das Jahr begann mit Frauenprotesten gegen Donald Trump. Am 18. März waren auch in Zürich Tausende auf der Strasse. Was tun als Feministin? Drei junge Frauen berichten.

Illustration: Marcel Bamert

«Der Übergriff hat mich politisiert»

«Der Zürcher Women’s March war wirklich riesig. 15 000 Leute! Ich bin immer noch daran, die Bilder von all den bunten Transparenten anzuschauen. Ich hoffe, das ist erst der Anfang. Viele junge Leute waren am Samstag zum ersten Mal an einer Demo. Sie werden gerade politisiert. Ich vertraue darauf, dass sie sich langfristig engagieren werden.

Ich habe mit sechzehn die Juso-Sektion in Zug gegründet. Zur Feministin wurde ich allerdings erst später – durch einen sexuellen Übergriff. Zuerst gab ich mir selber die Schuld daran. Es hat sehr lange gedauert, bis ich den Vorfall einordnen konnte und verstand, dass sexuelle Gewalt strukturelle Ursachen hat. Das war die nachhaltigste Politisierung für mich.

Am March kamen viele zu uns Jusos und sagten: ‹Ich will mitmachen. Ich will mich feministisch engagieren und komme darum zu euch.› Die Juso wird heute feministisch wahrgenommen – aber dahinter steckt viel Arbeit. Vor einigen Jahren waren es ja auch bei uns vor allem Männer, die im Rampenlicht standen. Heute, mit Tamara Funiciello als Präsidentin und einer aktiven feministischen Diskussion, hat sich das geändert. Es ist ein selbstverstärkender Prozess: Die Leute, die wegen unserer feministischen Positionen zu uns kommen, machen uns feministischer. Wir bereiten unsere neue Initiative für die Besteuerung von Kapitalvermögen vor, und auch da werden wir versuchen, eine feministische Argumentationslinie zu entwickeln.

Auch die SP möchten wir beeinflussen. Sie hat das Frauenrentenalter geopfert, um die AHV-Reform durchzubringen. Aber wir Frauen leisten einen grossen Teil der unbezahlten Care-Arbeit, verdienen weniger, arbeiten mehr Teilzeit. Es ist schwierig, als Frau auf eine gute Rente zu kommen. Bei der Berechnung der Teilzeitarbeit gibt es mit der Reform zwar eine Verbesserung, aber die Erhöhung des Rentenalters ist ein Affront. Auch ökonomisch hat sie keinen Sinn: Wir sollten das Rentenalter für alle senken, auch für die Männer! So könnte ein Teil der Produktivitätssteigerung an die Menschen zurückverteilt werden: in Form von Zeit.

Wir müssen den Samstag nun erst mal verarbeiten, dann werden wir eine Sitzung machen, zu der wir alle interessierten Frauen – vielleicht auch Männer – einladen. Dann können wir schauen, auf welche Themen wir setzen wollen, wo wir uns engagieren werden. Diese Bewegung wird weiterbestehen.»

Virginia Köpfli (22) hat den Zürcher Women’s March am 18. März mitorganisiert. Sie studiert Geschichte und Islamwissenschaften, sitzt in der Geschäftsleitung der Juso (Ressort Gleichstellung) und ist Mitglied der SP-Frauen*.

«Frauen in Kaderpositionen? Gar keine Kaderpositionen!»

«Wir leben in schwierigen, unsicheren Zeiten. Gerade gibt es wahnsinnig viele Rückschritte, während Repression und Überwachung zunehmen. Auf parlamentarischer Ebene sehe ich keine Möglichkeit zu wirklicher Veränderung. Das ist bürgerliche Politik, die bürgerliches Recht formt. Das lehne ich aus anarchistischer Perspektive prinzipiell ab. Das politische System ist patriarchal geprägt und stützt den Kapitalismus. Es geht mir nicht nur darum, die Hierarchie zwischen Männern und Frauen zu überwinden – sondern jegliche Hierarchien.

Klar, es gibt auch wichtige Forderungen. Das Recht auf Abtreibung zum Beispiel oder Lohngleichheit. Aber letztlich wäre es schöner, würden wir nicht mehr zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit unterscheiden und uns ganz ohne Löhne organisieren. Unabhängig von parlamentarischer Politik gibt es viele Möglichkeiten zur Selbstermächtigung: Sei es, Flugblätter zu schreiben und Magazine zu veröffentlichen; sei es, Räume in Anspruch zu nehmen und Safe Spaces zu schaffen – Schutzräume frei von Diskriminierung, wo man sich ungestört austauschen kann; sei es, miteinander zu diskutieren und im Alltag auf Sexismus aufmerksam zu machen; oder sei es, Plakate an die Wände zu kleistern und unsere Kämpfe auf die Strasse zu tragen.

Je nach Lebenssituation ist unser Handlungsspielraum unterschiedlich. Diversität ist wichtig, wir sollten unterschiedliche Widerstandsformen nicht gegeneinander ausspielen, schliesslich ist unsere stärkste Waffe die Solidarität. Verschiedene Formen haben durchaus eine feministische Tradition – vom Schweizer Frauenstreik 1991 bis hin zu den militanten Angriffen der Suffragetten Anfang des 20. Jahrhunderts in England. Die Feministin Emmeline Pankhurst hat das damals praktisch gepredigt: Das Kapital werde von Männern beherrscht, also gehe es darum, dieses anzugreifen.

Mir ist eine intersektionale Perspektive wichtig, die auch andere Unterdrückungsmechanismen wie Klasse und Ethnizität einschliesst. Ich komme aus einem linksliberalen Elternhaus. Da wurde mir sozusagen mit der Muttermilch mitgegeben, dass jegliche Diskriminierungsformen nicht in Ordnung sind. Solidarisch zu sein mit anderen Kämpfen, in anderen Kontexten und anderen Ländern, finde ich elementar. Dass Feminismus gerade in der Popkultur in Mode ist, sehe ich sehr kritisch. Das grosse Ganze wird nicht infrage gestellt, was letztlich dem Kapitalismus zugutekommt. Wenn die Luxusmarke Dior ‹Everybody Should Be Feminist›-T-Shirts entwirft, dann wird Feminismus zum Marketinglabel und ausverkauft.

Gleichzeitig macht sich das kapitalistische System feministische Forderungen zu eigen. Aus einer anarchistischen Perspektive teile ich gewisse Forderungen daher nicht. Zum Beispiel, dass es mehr Frauen in Kaderpositionen geben soll. Nein – es soll gar keine Kaderpositionen geben. Gerade bei der Klassenfrage hört meine Solidarität auf. Hillary Clinton zum Beispiel ist eine weisse, reiche und privilegierte Frau und mitverantwortlich für ekelhafte, imperialistische Kriegsführung – weshalb sollte ich so jemanden im Namen des Feminismus unterstützen?»

Sheila Kägi (27) möchte ihren richtigen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen.

«… dass ein Girl-Gang-Feeling entsteht»

«Feminismus ist ein politischer Kampf, der auf vielen Ebenen stattfinden sollte: In der Parteipolitik und in der Wissenschaft, es braucht Medien, die feministischen Themen eine Plattform bieten, und eine gezielte Frauenförderung in der Wirtschaft. Und es braucht Kulturschaffende, die Filme und Bücher produzieren, die die Geschichten von Frauen erzählen.

Ich komme aus einer gleichberechtigten, feministischen Familie, weshalb ich Gleichberechtigung erst mal als etwas Selbstverständliches sah. Doch je mehr man sich mit der Gesellschaft auseinandersetzt, desto klarer zeigt sich, dass dem nicht so ist. Ich höre die Geschichten von anderen Frauen, jede ist anders, aber zugleich ähnlich. Ich denke, jede Frau erfährt in ihrem Leben einmal Sexismus oder sexuelle Belästigung – aber nicht jeder Mann. Was es braucht, ist ein Umdenken der ganzen Gesellschaft.

Mit dem feministischen Kollektiv aktivistin.ch wollen wir die Öffentlichkeit aufrütteln – auf feministische Themen aufmerksam und Sexismus sichtbar machen. So haben wir etwa für die Enttabuisierung der Menstruation das Wasser in Zürcher Brunnen rot gefärbt. Ans Grossmünster haben wir ein Transparent gehängt: ‹Gott ist eine Frau›. Am 8. März haben wir einen offenen Brief an die Spielwarenkette Franz Carl Weber geschickt – wegen der sexistischen Rollenbilder, die mit den Spielzeugen reproduziert werden. Es geht uns darum, die Diskussion in der Gesellschaft anzuregen.

Gleichberechtigung mag auf dem Papier vorhanden sein, aber in der Gesellschaft ist sie noch nicht angekommen – es gibt nach wie vor diskriminierende Gesetze, sexistische Rollenbilder und Alltagssexismus. Das sind strukturelle Probleme. Für mich geht Feminismus zudem mit Antikapitalismus einher. Damit es zu einer tatsächlichen Gleichberechtigung kommen kann, müssen sich die globalen Machtverhältnisse und die Verteilung von Ressourcen ändern.

Eines unserer grossen Ziele ist es, uns mit anderen Gruppen zu vernetzen, zum Beispiel mit der Plattform Grossmütterrevolution, mit migrantischen Frauen und Transgendergruppen. Denn es geht uns nicht nur um eine Gleichberechtigung aus Sicht von weissen Schweizer Frauen, wir müssen gemeinsam kämpfen – egal welche sexuelle Orientierung, Religion oder welchen Aufenthaltsstatus jemand hat.

Für unser Kollektiv ist es wichtig, dass die Sache Spass macht – dass ein Girl-Gang-Feeling entsteht. Und es geht nicht nur darum, für politische Ziele zu kämpfen, sondern auch darum, einander zuzuhören, sich umeinander zu kümmern und Sorge zu tragen. Das Patriarchat haben wir vermutlich morgen noch nicht abgeschafft. Aber wenn der Effekt von aktivistin.ch ist, dass die zwanzig Frauen im Kernkomitee sich gegenseitig ausgetauscht und unterstützt haben, dann hat das uns zwanzig schon mal geholfen. Auch das ist ein feministischer und somit politischer Akt.»

Jessica Sigerist (30) ist Teil des feministischen Kollektivs aktivistin.ch. Sie arbeitet als Jugendarbeiterin und studiert Soziale Arbeit. Davor hat sie ihren Master in Ethnologie abgeschlossen.