Kommentar zum Bildungsbericht: Die Karriereleiter in die Luft sprengen

Nr. 26 –

Der jüngste Bildungsbericht schiebt die Lohnungleichheit den jungen Frauen in die Schuhe. Die hingegen wissen, was sie nicht wollen.

«Junge Frauen meiden Wettbewerb in Schule und Beruf», prangerte der «Tages-Anzeiger» letzte Woche in grossen Lettern auf der Front an. Das erkläre die fortbestehende Lohnungleichheit sowie den Umstand, dass Frauen in den Chefetagen noch immer kaum präsent sind. Schluss also mit Quoten und anderen Formen der Frauenförderung – Frauen sind selber schuld, dass sie schlechter verdienen und weniger Karriere machen. Sie «hätten es in der Hand, ihr Los zu verbessern», schreibt Inlandredaktor Christoph Aebischer. Denn eines «kann den Mädchen auch die beste Lehrerin nicht abnehmen: Auf den Wettbewerb muss sich jedes selber einlassen.»

Basis für diese Behauptungen ist der jüngste Bildungsbericht der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung (SKBF), der die «Leistungsfähigkeit» des Schweizer Bildungswesens überwacht. Im Fokus stehen genau drei Kriterien: «Effektivität, Effizienz, Equity.» Letzteres bedeutet laut Wörterbuch übrigens Eigenkapital oder Marktwert.

Genau genommen kapriziert sich der «Tages-Anzeiger» auf eine im Bericht integrierte Studie eines Bildungsforschers – pardon, Bildungsökonomen. Dieser liess 1500 AchtklässlerInnen ein Computergame spielen, bei dem es darum ging, Geld zu verdienen, wobei umso höhere Gewinne lockten, je wettbewerbs- und risikofreudiger sich die SchülerInnen verhielten. Während die Jungs dabei durchs Band obenaus schwangen, zeigten sich die jungen Frauen mit steigenden Schulnoten immer weniger wettbewerbsbereit. Das bietet erst einmal Stoff zum Nachdenken.

Ausser natürlich, man stört sich wie der «Tagi»-Mann daran, dass junge Frauen ihr «Potenzial für eine Karriere» in der Wirtschaft zu wenig nutzen. Was wiederum, wie die NZZ im Kontext des Bildungsberichts weiss, hohe wirtschaftliche und gesellschaftliche Kosten verursacht. Eigentlich, und das kann man wahrscheinlich demnächst in der «Weltwoche» so nachlesen, gehörten Frauen dafür bestraft – zum Beispiel, indem sie ihre Ausbildungskosten zurückzahlen müssen. Da versucht die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner (CVP) doch zumindest, Frauen den Rücken zu stärken, indem sie sich für Quoten in Führungspositionen ausspricht. Doch auch sie verharrt damit in der Systemlogik des Kapitalismus.

Wahre Emanzipation sieht anders aus. Sie verweigert sich dem Karriereimperativ dort, wo er nur darauf hinausläuft, die zerstörerische und ausbeuterische Politik der männlichen Wirtschaftselite fortzuführen – und zu reproduzieren, indem frau zu Hause prekarisierte Frauen beschäftigt, die sich um Haushalt und Kinder kümmern. Wahre Emanzipation verweigert sich einem Wettbewerb, der auf primitivem Ellbogeneinsatz statt auf fachlicher Kompetenz beruht. Viel zu lange schon müssen Frauen doppelt so gut (lies: doppelt so kompetent) wie Männer sein, um sich überhaupt am Wettbewerb beteiligen zu dürfen. Und seien wir ehrlich: Wer den Ellbogen ausfährt, verweist doch letztlich nur auf seine eigene unzulängliche Kompetenz.

Wahre Emanzipation setzt nicht auf Konkurrenz, sondern auf Kooperation. Sie hat nicht mehr Geld und mehr Macht im Visier, für sie steht die soziale und gesellschaftliche Relevanz und damit die Sinnhaftigkeit der beruflichen Tätigkeit im Zentrum. Wo sich Kooperation gegenüber dem ökonomischen Wettbewerbszwang ausbreiten kann, entfaltet sie eine subversive Kraft, die die Sprossen der Karriereleiter sprengt und letztlich die Chefetage abschafft. «Equity» bedeutet nämlich auch: Gleichheit, Fairness.

Und das sind ganz offensichtlich Werte, für die sich intelligente junge Frauen lieber engagieren, als sich dem ständigen kapitalistischen Konkurrenzkampf zu unterwerfen. So gesehen ist die Tatsache, dass sie sich dem Wettbewerb verweigern, Anlass zur Hoffnung. Stärken wir ihren Widerstand und geben ihm eine Perspektive: Fordern wir Quoten für kooperative Projekte in Ausbildung und Beruf.