Wef in Davos: Schwabs autoritärer Geist

Nr. 3 –

Nach dem letztjährigen Besuch von US-Präsident Donald Trump wird Wef-Gründer Klaus Schwab nächste Woche den rechtsextremen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro in Davos empfangen. Reiner Opportunismus? Das Problem liegt tiefer.

Dank Jair Bolsonaro versteht man besser, wie sich die liberale Geschäftswelt in den 1930er Jahren mit dem Rechtsextremismus arrangieren konnte. Brasiliens neuer Präsident beschimpft Frauen als zu hässlich, als dass er sie vergewaltigen möchte, wünscht sich seinen Sohn lieber tot als schwul, lobt die einstige Militärdiktatur und droht den Linken mit «Säuberungen». Und was macht Wef-Chef Klaus Schwab? Er rollt dem Exmilitär in Davos den Teppich aus. Genau wie letztes Jahr Donald Trump, der diesmal absagte.

Schwab sagt, er wolle lediglich vermitteln. Besser, die Führer würden miteinander reden als sich bekriegen. Tönt schön. Doch zum Reden gibt es die demokratisch legitimierte Uno. Schwab verschafft Bolsonaro mit dem Auftritt in den verschneiten Bergen genau das, was der Mann am dringendsten nötig hat: Anerkennung. Die Anerkennung, die Schwab kritischen Gewerkschaften, NGOs und sozialen Bewegungen vorenthält, die am Wef lediglich die Hofnarren spielen.

Autogramme von Trump

In den Jahren nach der globalen Finanzkrise 2008 hatte sich das Wef für kritische Stimmen etwas geöffnet. Es war die Zeit der Camps der Sozialproteste – von Athen über Madrid bis New York. Um die aufbegehrenden Menschen zu besänftigen, redete man am Wef nun über Bankenregulierung, Steuerflucht und Ungleichheit. Ab 2013 wurden die Protestcamps jedoch von einer rechten Lawine weggefegt: die Gründung der AfD, Viktor Orbans Wahltriumph, der Brexit, später Trump, Bolsonaro. Statt nach oben aufzubegehren, treten sie nach ganz unten – und vor allem nach aussen.

Während die Linke seither damit beschäftigt ist, gegen all die Widerlichkeiten anzukämpfen, haben selbst die etwas sympathischeren, liberalen Regierungen die Suche nach einer gerechteren Welt weitgehend eingestellt. Angela Merkel drückte Europa eine absurde Sparkur auf, in Italien entstand durch Matteo Renzis Jobs Act eine junge Generation von Prekärangestellten, in Frankreich schaffte Emmanuel Macron gleich nach Amtsantritt die Vermögenssteuer ab.

Am weitesten gehen allerdings die autoritären Nationalisten selber: Nach Trumps Steuersenkung für die Reichsten sprach gar das Bankenblatt «Financial Times» von einer «Plutokratie». Orban hat die Steuern der Unternehmen von neunzehn auf neun Prozent reduziert und ein Arbeitsgesetz durchgedrückt, das derzeit Hunderttausende unter dem Schlachtruf «Sklavengesetz!» auf die Strasse treibt. Und Bolsonaro? Er will Steuern senken, Staatsbetriebe privatisieren und die Renten kürzen. Kein Wunder, sein Wirtschaftsminister Paulo Guedes, Schüler des Chicagoer Liberalisierungsgurus Milton Friedman, propagierte als Uniprofessor während Augusto Pinochets Militärdiktatur in Chile die radikalsten Wirtschaftsreformen.

Zwar steht die Ungleichheit bis heute als Thema auf dem Wef-Programm. Doch die Bühne gehört den Autoritären, mit denen sich Schwab zu arrangieren versucht, was ihm angesichts ihres Hurrakapitalismus leichtfällt. Trumps anfängliche Globalisierungskritik hat sich längst als lediglich etwas unflätiger Versuch enttarnt, den Freihandel zugunsten der USA zurechtzurücken. Schwab empfing Trump am letzten Wef mit einer Fanfare und einer Lobrede, in der er den Präsidenten gegen die «einseitigen Interpretationen» der Medien verteidigte und ihm zu seiner «historischen Steuerreform» gratulierte. Von dieser profitierten nur ein paar Superreiche, wie sich fast sämtliche ÖkonomInnen einig sind. Zuvor hatte Schwab Trump wie einen Popstar durch das Konferenzgebäude geführt, wo ihm die «Leaders» dieser Welt wie verrückt gewordene Groupies mit dem Handy hinterherfilmten. Der «Blick»-Chefredaktor rannte Trump für ein Autogramm nach.

Die Demokratie schwächen

Und nun also der rechtsextreme Bolsonaro, den die Deutsche Bank als «Wunschkandidaten der Märkte» bezeichnet und das britische Finanzblatt «The Economist» jüngst für seine «guten Ideen» in Sachen Wirtschaft lobte. Auch SVP-Bundespräsident Ueli Maurer soll Bolsonaro treffen. Die Schweizer Wirtschaft will ein Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten, zu denen auch Brasilien gehört. Die Anbiederung der liberalen Geschäftswelt an den Autoritarismus wird um ein Kapitel reicher.

Doch da steckt mehr als nur Opportunismus dahinter. Der Autoritarismus ist eine Folge des Geists der neunziger Jahre, für den das Wef bis heute steht. Die Welt als globales Dorf, das war die Idee. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs tönte das sympathisch. Im Kern ging es jedoch darum, die nationalen Demokratien zu schwächen zugunsten des Kapitals. Staatsbetriebe wurden privatisiert, die Grenzen für Kapital zwischen den Ländern geöffnet. Seither diktieren die Investoren zunehmend ihre Wünsche, die nationalen Demokratien folgen – indem sie die Steuern senken, den Arbeitsschutz abbauen oder den Umweltschutz aufweichen. Schwab peitscht diesen Kampf der Nationen mit einem Ranking der «wettbewerbsfähigsten» Länder voran: Die Schweiz hat letztes Jahr den ersten Rang an Trumps USA verloren.

Der autoritär angehauchte Geist zeigt sich auch in Davos. Das Wef privatisiert die politische Debatte, die eigentlich in öffentliche demokratische Institutionen gehört. Hier entscheidet ein achtzigjähriger Mann darüber, wer mitreden darf. Zudem muss das Wef von 6000 teils scharf bewaffneten Polizistinnen und Soldaten wie eine Festung abgeschirmt werden. Demokratie sieht definitiv anders aus.

Durch die Entfesselung des Kapitals ist die Welt der Demokratien, mit einem gewissen Mass an sozialem Zusammenhalt, einem globalen Weltmarkt gewichen. Einem Markt, in dem einem von klein auf gelehrt wird, selbst mit dem senegalesischen Schmuckverkäufer am Ferienstrand in Italien um den tiefsten Preis zu feilschen – weil der Egoismus des Einzelnen angeblich den wirtschaftlichen Kuchen für alle grösser macht. Einem Markt, der die Welt 2008 in eine riesige globale Finanzkrise stürzte und in der seither einige immer noch reicher werden, während andere auf der Strecke bleiben.

Liberalismus als Extremismus

Und bereits droht der nächste globale Finanzcrash, wie rundherum gewarnt wird. Kein Wunder: Angesichts rechter Wirtschaftsreformen seit 2008 hat sich die Ungleichheit auf der Welt weiter verschärft. Diese führt zu einem immer grösseren Schuldenberg, wie unter anderem der stellvertretende Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, Jonathan Ostry, in einem diesen Monat erscheinenden Buch aufzeigt. Und diese Schulden führen zu neuen Crashs.

Orban, Trump oder Bolsonaro sind die Kinder dieses Wef-Geists der neunziger Jahre: Sie entfesseln das Kapital weiter, Trump treibt den liberalen Kampf der Nationen mit seinen Zöllen lediglich auf die Spitze. Gleichzeitig versprechen sie jenen, die auf der Strecke bleiben, demokratische Mitsprache, nationale Gemeinschaft und die Verteidigung ihres kleinen Portemonnaies gegenüber den noch Ärmeren und den MigrantInnen. Wenn nötig auch mit Stacheldrahtzäunen, Militär und Gefängniszellen. Der liberale Egoismus als Staatsdoktrin.

Das ist, was Seymour Martin Lipset – einer der bedeutendsten Soziologen des 20. Jahrhunderts – im Kopf hatte, als er 1960 schrieb, der Faschismus sei lediglich der Extremismus des Liberalismus.

Umso bizarrer, dass Liberale unter dem Einfluss des französischen Präsidenten Emmanuel Macron derzeit auch hierzulande den Wef-Geist der neunziger Jahre als Lösung gegen den Autoritarismus aus der Mottenkiste hervorkramen. Einen Liberalismus, der sich als weltoffenes Bollwerk gegen den Autoritarismus sieht, gleichzeitig jedoch die weitere Entfesselung des Kapitals befürwortet. Eine Politik, die – zur Erinnerung – nach dreissigjähriger Dominanz die Welt zuerst in die Finanzkrise 2008 und seither in den heutigen Schlamassel geführt hat.

Die Zukunft liegt ausserhalb des Wef.