Auf allen Kanälen: Kreis oder Schlaufe?

Nr. 12 –

Das Onlinemagazin «Brand-New-Life» zeigt, dass Kunstkritik auch über den selbstreferenziellen Loop der Kunstszene hinaus interessant sein kann.

«Brand New Life» hiess vor zehn Jahren das meist gehörte Lied in meiner Küche – nun nennt sich ein Kunstkritik-Onlinemagazin so, das umsonst in meine Mailbox flattert und im Netz schon seit mehreren Jahren frei zugänglich ist. Und so wie die Young Marble Giants darüber sangen, ihr brandneues Leben aus brandneuem «strive», also aus Konflikt, herzustellen, so ist auch die Kunstkritik quasi ein Perpetuum mobile für Konflikt: Konflikt mit sich selbst als Genre; mit der ewig wiederkehrenden Erwartung an die Kunst mitsamt ihren KritikerInnen, die Rolle von gesellschaftlichen VorreiterInnen einzunehmen; sowie mit der «Verszenung» des Feldes in selbstreferenziellen Schlaufen.

Attraktiv, wie es sein muss, wenn etwas aus dem Dunstkreis von Zürcher Kulturschaffenden stammt, ist das Magazin nach Schlagwörtern geordnet und gibt sich im Mäntelchen des «International Art English», selbst wenn mehr als die Hälfte der Artikel in deutscher Sprache verfasst sind. Attraktiv sind die «vielstimmigen Perspektiven auf das aktuelle Kulturgeschehen» in «Brand-New-Life» («BNL») trotzdem auch für ein breiteres Publikum.

Klüngel und Kritik

Im Kunstfeld, in dem sich Wettbewerb und Freundschaften vermengen, ist es nicht leicht, journalistische Unabhängigkeit zu wahren. Das wird bei der Lektüre von «BNL» rasch klar. Inwiefern werden hier spezifische Positionen und Einzelkarrieren sichtbar gemacht – und welche anderen nicht? Sichtbarkeit beeinflusst Geld in Form von Preisen, Förderungen und Ausstellungsgelegenheiten eben durchaus.

«BNL» wäre allerdings kein kritisches Kunstmagazin, würde es sich nicht in konstanten Feedbackschlaufen die Kritik an der Kunstkritik einverleiben und stetig danach fragen, was Kunstkritik sein kann und wer sie schreiben soll. Kürzlich erschien im Magazin ein Comic unter dem Titel «kann theorie geld beeinflussen?». Darin sprechen zwei Hunde über eine zuvor in «BNL» erschienene Ausstellungskritik der Autorin Inka Meissner, die ganz offensichtlich den ausstellenden Künstler etwas zu gut kannte. Auf seine Anfrage beim Magazin, wie es zum Artikel kam, habe er, so der eine Hund zum andern, die Antwort bekommen: «BNL ist in vielerlei Hinsicht dabei, seine Grenzen in Bezug auf Sprechpositionen zu testen, Inkas Text ist ein Beispiel ultimativer Involviertheit.» Was bestenfalls ironisch gemeint ist, schliesslich kommt diese «ultimative Involviertheit» im Text von Meissner gar nicht zur Sprache.

Ines Kleesattel und Pablo Müller machen sich in einem Beitrag für «engagierte» Kunstkritik stark – eine Kritik, die auf der gesellschaftspolitischen Relevanz des Kunstfelds besteht: In ihr würden sich Chancen «für Austausch, Allianzen und Kollaborationen mit anderen sozialen Kräften und kulturellen Praktiken» auftun. Und natürlich mache diese Form der Kunstkritik ihre Voraussetzungen, (Produktions-)Bedingungen und Anliegen möglichst transparent. Idealerweise.

Kulturelles Surplus

Einen Mehrwert für KunstaussenseiterInnen hat «BNL» nicht zuletzt, weil es über Ausstellungsbesprechungen hinausgeht. Ein kürzlich erschienenes Beispiel ist der erhellende und zugleich traurige Text von Rory Rowan über den Kulturtheoretiker Mark Fisher, der sich nach der von ihm erhofften «Relibidinisierung des Politischen» im Jahr 2017 das Leben nahm. Die Lust im Politischen entfachte sich zwar zu diesem Zeitpunkt in neuem Ausmass, aber anders als von Fisher erwartet, nämlich von rechts. Fisher prägte Begriffe wie den «kapitalistischen Realismus» und schrieb immer wieder gegen eine gesellschaftliche Stimmungslage an, in der das Ende der Welt leichter vorstellbar sei als das Ende des Kapitalismus.

Erwähnenswert ist auch Eva Kennys Artikel über die Amazon-TV-Serie «I Love Dick». Was als Kritik der Serie daherkommt, ist eigentlich eine intelligente Rezension des autofiktionalen Romans der Künstlerin Chris Kraus, auf dem die Serie basiert. Sie zeigt, inwiefern das Buch viel mehr ist als ein «public vomit», ein öffentliches Auskotzen der Liebesdramen einer gescheiterten Künstlerin. «BNL» ist überdies eine der wenigen Stimmen, die sich beispielsweise zu Frauenquoten bei Kunstpreisen oder zum steigenden ökonomischen Druck an Kulturinstitutionen äussern. Das Magazin gibt diesen Themen den Kritik-Chic.