Durch den Monat mit Anna Sandor (Teil 1): «Warum fangen Sie Adler?»

Nr. 14 –

Anna Sandor hat im Wallis ihren Traumjob gefunden: Adler fangen. Sie erzählt, wie das geht und was es mit der Energiepolitik zu tun hat.

Anna Sandor: «Die Behörden können mit unseren Daten abschätzen, wo Windkraftanlagen für die Adler kritisch wären, weil es zu Kollisionen kommen könnte.» Foto: Ralph Imstepf

WOZ: Frau Sandor, Sie fangen im Wallis Steinadler …
Anna Sandor: … ja, aber im Moment nicht, weil die Brutsaison angefangen hat. Wir haben im November begonnen, Anfang März haben wir wieder aufgehört.

Wie fängt man einen Adler?
Man muss einen guten Ort finden, eine zugängliche, exponierte Stelle auf einem Berg, wo man die Falle aufstellen kann. Wir legen einen Kadaver hinein, zum Beispiel einen toten Fuchs. Dann warten wir, bis der Adler kommt.

Sie warten die ganze Zeit neben der Falle?
Wir sind zu zweit; ohne meinen Kollegen Stéphane Mettaz könnte ich das nie machen. Er ist erfahren und kennt sich in der Gegend gut aus. Wir installieren jeweils einen Bewegungsmelder und eine Kamera; so sehen wir auf dem Handy sofort, wenn sich ein Adler oder sonst ein Lebewesen der Falle nähert. Die Falle wird per Fernsteuerung ausgelöst, sobald der Adler drin ist. Das funktioniert aber nur über eine Distanz von 3,5  Kilometern. Also ist tagsüber immer jemand von uns in der Nähe und beobachtet. Wir möchten ja den Stress für das Tier gering halten. Deshalb sollten wir möglichst schnell bei ihm sein, sobald es in der Falle ist.

Wie schnell ist das?
Zwanzig Minuten brauchen wir schon. Meist suchen wir in zwei, drei Kilometern Abstand einen Platz, von dem aus wir die Falle gut beobachten können. Wenn der Adler in der Falle ist, aktivieren wir die Fernsteuerung, um sie zu schliessen, und fahren mit dem Auto so dicht ran, wie es geht. Dann rennen wir den Berg hoch. Es geht oft über schwieriges Gelände und kann sehr anstrengend sein.

Und dann?
Man muss den Adler sorgsam rausnehmen. Man glaubt immer, der Schnabel sei gefährlich. Aber es sind die Krallen, damit könnte er einen schwer verletzen, wenn man nicht vorsichtig ist. Wir legen ihm eine Haube an, wie Falkner das tun, damit er sich beruhigt. Sonst würde er sich wehren. Danach befestigen wir das GPS-Gerät. Wir ziehen ihm ein Geschirr an, das wir für jeden Vogel speziell anpassen. Das GPS-Gerät sitzt auf dem Rücken, zwischen den Flügeln. Es ist mit einer kleinen Solarzelle ausgerüstet, deshalb ist es sehr leicht, weil es keine Batterien braucht.

Warum statten Sie die Adler mit GPS aus?
Wir fangen die Adler im Auftrag der Uni Bern, für die Abteilung Conservation Biology. Mit dem GPS könnte man im Sekundentakt verfolgen, was er tut. Meist wird aber nur stündlich festgehalten, wo sich das Tier aufhält. Ein Doktorand wertet die Daten aus. Daraus lässt sich ein Modell bauen, das prognostiziert, wo – je nach Umwelt- und Wetterbedingungen – die Steinadler herumfliegen. Aufgrund dieser Modelle ist man in der Lage, die häufig geflogenen Zonen zu erkennen. Die Behörden haben damit die Möglichkeit abzuschätzen, wo geplante Windkraftanlagen für die Adler kritisch wären, weil es zu Kollisionen kommen könnte.

Wie gross ist eine Falle, und wie kommt sie auf den Berg?
Sie hat zirka 3,5  Meter Durchmesser. Der Rahmen ist aus Metall, also recht schwer. Wir tragen alles hoch, was wir brauchen, auch den Köder, manchmal auch einen Bohrer, wenn wir die Falle am Felsen festmachen müssen. Es ist die tollste Arbeit, die ich mir vorstellen kann. Ich habe viel gelernt und gemerkt, dass ich körperlich sehr viel leisten kann.

Wie viele Adler haben Sie schon gefangen?
Seit vergangenem November dreizehn. Im Schnitt jede Woche einen. Es ist sehr zeitaufwendig. Unser Ziel ist es, zwanzig Adler mit GPS zu versehen, um eine ausreichende Datenbasis zu bekommen. Soviel ich weiss, gibt es im Wallis zwischen 70 und 75 Brutpaare.

Hat jedes Paar sein Territorium?
Oh ja. Und das verteidigen sie. Ich hab schon einen Adler beobachtet, der wie eine Kugel angeschossen kam und einen anderen attackierte, der in sein Territorium eingedrungen war. Manchmal kämpfen sie in der Luft, verhaken ihre Krallen und ringen miteinander. Das sieht heftig aus. Es kommt zu Verletzungen, und manchmal wird einer dabei getötet.

Gibt es andere Regionen in der Schweiz, in denen ähnliche Projekte laufen?
Soviel ich weiss, sind wir im ganzen Alpenbogen die Ersten, die erwachsene Adler mit GPS bestücken.

Warum fangen Sie sie im Winter?
Im Spätherbst ziehen sich die Murmeltiere zum Winterschlaf zurück. Sie sind im Sommer und Herbst die Hauptnahrungsquelle der Adler. Im Winter ernähren sich die Adler fast nur von Aas. Sie lassen sich auch einfacher fangen, weil sie runterkommen, da hoch oben in den Bergen schon Schnee liegt und sie weniger Futter finden.

Was machen Sie, wenn Sie keine Adler fangen?
Zuerst gehe ich jetzt eine Woche in die Ferien, danach beschäftige ich mich – ebenfalls im Wallis – mit einem Projekt der Vogelwarte Sempach und der Uni Bern über den Wiedehopf und den Wendehals.

Anna Sandor (34) ist Umweltwissenschaftlerin. Sie lebt zurzeit in Sion und ist temporär als Feldtechnikerin an der Universität Bern angestellt, in der Abteilung Conservation Biology, die von Professor Raphaël Arlettaz geleitet wird.