Theater: Viel Lärm ums Café Bellevue

Nr. 16 –

Der Versuch, Romane auf die Bühne zu bringen, ist nicht neu, die Herausforderungen, die sich dabei stellen, sind es auch nicht. Bei Friedrich Dürrenmatts Roman «Justiz», den sich Frank Castorf jetzt für das Schauspielhaus Zürich vorgenommen hat, könnten sie nicht grösser sein: Mit allen Mitteln des Erzählens führt Dürrenmatt im Zürich der Nachkriegszeit durch den politischen Filz, in den sich der junge Anwalt Spät aus Geldnot und Geltungssucht heillos verstrickt.

Castorf zerlegt den Roman in ein fünfstündiges disparates Medienpuzzle: zu Fratzen verzerrte Gesichter auf Grossleinwänden, sich heiser schreiende Stimmen und eine alles untermalende schummrige Musik. Ein nackter Mann darf da natürlich nicht fehlen und – wie einfallsreich! – sich nuttig-anzüglich gebärdende Frauen auch nicht. Dieser bilderreiche Lärm lenkt von der Dichte und beissenden Komik Dürrenmatts ab. Er lenkt auch ab von Aleksandar Denics fantastischer Drehbühne, die die gesellschaftlichen Substrate Zürichs dicht an dicht nebeneinanderstellt: Kino Roland, Corbusier-Haus und Café Bellevue. Ein hektischer Spät (Alexander Scheer) wird hier von mächtigen Gegenspielern (Robert Hunger-Bühler und Nicolas Rosat) an Wände gepresst und in Ecken gedrängt. Rare Momente der Zärtlichkeit entstehen nur dank des jungen Ensemblemitglieds Jan Bülow, der es als Späts Kollege schafft, so etwas wie Weichheit und Wärme in die gewaltgeladene Atmosphäre zu bringen.

Mit den Frauenfiguren, die schon bei Dürrenmatt im Huren-oder-Heilige-Muster stecken bleiben, weiss auch Castorf nichts Besseres anzufangen: Die Politikertochter (Irina Kastrinidis) darf vor allem gross in die Kamera schauen, während die Worte der misshandelten Edelprostituierten (Julia Kreusch) zynisch mit einem «Was war das denn jetzt?» kommentiert werden. Man ertappt sich dabei, wie der Blick immer wieder zur originalgetreuen und in Echtzeit laufenden Uhr am Café Bellevue schweift. Aber das macht die fünf Stunden leider auch nicht kürzer.

«Justiz». Regie: Frank Castorf. Schauspielhaus Zürich. Nächste Vorstellungen: 20./26./30. April 2019, 1. Mai 2019, jeweils 19 Uhr.