SBB-Personal: Nächster Halt: Ausbeutung

Nr. 17 –

Der Konzernchef sichert sich eine Million Einkommen, den Reinigungsangestellten wird der Lohn gekürzt: Bei den SBB wackeln nicht nur die Züge, auch die Stimmung beim Personal ist in Schieflage.

Hohe Motivation trotz immer schlechterer Arbeitsbedingungen. SBB-Arbeiter in der Instandhaltungshalle in Brig. Foto: Patrick Hürlimann, Keystone

Das Debakel mit dem neuen Bombardier-Zug, die zunehmenden Verspätungen und dann noch die Weigerung, einen vom Bund geforderten Lohndeckel für Gehälter von über einer Million Franken einzuführen – die Bundesbahnen kommen in den letzten Monaten kaum aus den Negativschlagzeilen. Besonders die Leitung des Staatsbetriebs um CEO Andreas Meyer musste einiges an Schelte ertragen. Die Kritik kommt dabei nicht nur von aussen, auch das Personal ist mit der Arbeit der SBB-Spitze nicht zufrieden.

Besonders für Unmut gesorgt hat ein vereinfachtes Lohnsystem, mit dem unter anderem die sogenannten Schmutzzulagen abgeschafft werden. 1.45 Franken zusätzlich pro Stunde erhielt bisher das Reinigungspersonal, das die Zugtoiletten sauber hält. «Ich fühle mich nicht länger wertgeschätzt», sagt Peter Huber*, der als Reinigungsangestellter bei den SBB arbeitet. «Auf den Monat gerechnet machte die Zulage nicht viel aus. Davon hatte man kaum eine Rechnung bezahlt. Aber sie war eine Anerkennung für eine harte Arbeit.» Immer wieder seien die Toiletten sehr stark mit Fäkalien oder Erbrochenem verschmutzt. Die Stimmung im Team angesichts der geplanten Lohnkürzung sei schlecht. Man verstehe nicht, wieso man bei ihnen sparen wolle, wo ihr Lohn doch sowieso nicht hoch sei. Auch die Kommunikation sorgte bei den MitarbeiterInnen für Unzufriedenheit: Im Vorschlag für das neue Lohnsystem sei die Kürzung mit nur einem Satz erwähnt worden.

Mit Unverständnis reagiert auch SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher, die selber früher als Bahnbetriebsdisponentin bei den SBB gearbeitet hat, auf die Kürzung: «Dass man jetzt bei den niedrigsten Löhnen der Bahnangestellten sparen will, sich aber verweigert, wenn der Bund von den SBB einen Lohndeckel bei den höchsten Einkommen verlangt, geht nicht in Ordnung.»

Schlechte Noten für die ChefInnen

Die Reinigungsangestellten sind mit ihrer Unzufriedenheit nicht allein, wie Jürg Hurni, Sekretär bei der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV), bestätigt: «Die Mitarbeiter sind sauer. Das zeigt sich in den Personalumfragen, bei denen die Angestellten durchs Band ihre Unzufriedenheit mit der Unternehmensführung ausdrücken.» Die Umfragen finden alle zwei Jahre statt. Bei der letzten im November 2018 betrug die Zufriedenheit mit der Konzernführung lediglich 47 von 100 Punkten. Es ist der tiefste Wert in der gesamten Umfrage. Bei der Personalmotivation wurden beispielsweise 73 Punkte erzielt. Der Vergleich über die Jahre zeigt, dass die Unzufriedenheit mit der SBB-Leitung konstant hoch ist: eine Dauerbaustelle.

Die SBB selbst bezeichneten bei der Veröffentlichung der Ergebnisse das mangelnde Vertrauen in die Konzernleitung als «bedenklich und unbefriedigend». Für Gewerkschafter Hurni ist das Misstrauen die Folge der kurzfristigen Perspektiven der Unternehmensleitung. «Sie spricht von Marktöffnung und mehr Konkurrenz, gleichzeitig wertet sie die handwerklichen Berufe bei den SBB gegenüber den akademischen Posten ab», sagt er. Das gehe nicht mit dem Anspruch zusammen, das weltbeste Bahnunternehmen zu sein (vgl. «Auf die Minute» im Anschluss an diesen Text).

Albert Fricker*, der für SBB Cargo arbeitet, nennt für die Unzufriedenheit des Personals mehrere Gründe. Eine davon sei der Fachkräftemangel. «Im Moment haben wir zu wenige Lokführer. Davon hat man in den letzten Jahren nicht genug ausgebildet.» Die Identifikation mit dem Betrieb sei jedoch so gross, dass die Angestellten ein grösseres Arbeitspensum auf sich nehmen würden, um dennoch die gewohnt hohe Qualität zu garantieren.

Dass man in der Belegschaft trotz schwierigerer Bedingungen keine Abstriche bei der Qualität hinnehmen wolle, das hört man immer wieder als Antwort auf die Frage, wie sich Arbeitsbedingungen auf die Leistungen des Service public auswirken. Der Soziologe und HSG-Professor Franz Schultheis attestierte den Angestellten des öffentlichen Dienstes in einem Vortrag von 2016 eine hohe Identifikation mit ihrer Arbeit: «Öffentliche Güter sind keine Waren. Menschen, die sie erbringen, haben einen besonderen Status und Berufsethos.» Man kann also annehmen, dass der zunehmende Druck, der auf den Staatsangestellten lastet, letztlich von diesen selbst abgefangen wird, um zu verhindern, dass die angebotene Leistung nachlässt.

Der Druck auf die Angestellten kommt nicht nur von der Konzernspitze, er ist politisch gewollt. Gemäss Vorgaben des Bundes sollen die SBB immer effizienter wirtschaften. Die zwölf Jahre mit Doris Leuthard an der Spitze des Umwelt- und Verkehrsdepartements (Uvek) hätten ihre Spuren hinterlassen, meint SP-Nationalrat und Verkehrspolitiker Philipp Hadorn: «Man denkt sich bei den Staatsbetrieben schon, man könne ein bisschen Privatwirtschaft spielen.» Dass man haushälterisch wirtschaften soll, ist für Hadorn eine Selbstverständlichkeit: «Schliesslich geht es um Steuergelder.» Doch das Vorgehen der SBB ergebe keinen Sinn: So würden sie sich Ziele setzen, um welchen Betrag die Betriebskosten zu senken seien, anstatt zu planen, was der öffentliche Verkehr leisten müsse. «Die Einsparungen spürt man bei kleinen Details wie defekten Türen, die einen Rattenschwanz an Folgen nach sich ziehen: Sie können an jedem Bahnhof für zusätzliche Verspätungen sorgen.»

Dass die Politik mit ein Grund für den Druck auf die Bundesbahnen ist, bestätigt auch SBB-Mediensprecher Reto Schärli: «Wir setzen auch Ansprüche an uns selber, damit wir gescheite Lösungen für die Fragen der Mobilität der Zukunft entwickeln können. Und selbstverständlich hat auch die Politik hohe Erwartungen an die SBB.» Auch Schärli erwähnt diesbezüglich die Steuergelder. Hohe Erwartungen bei der Qualität, gepaart mit dem Wunsch nach einem möglichst tiefen Preis, könnten teilweise zu einem Spagat führen. Schärli glaubt nicht, dass durch diese Ansprüche die Qualität bei den Bundesbahnen schlechter wird: «Wenn es einen Zusammenhang gäbe, ständen die SBB heute nicht so gut da.» Nach wie vor würde das Personal die Arbeit professionell und motiviert leisten.

Geduld neigt sich dem Ende zu

Wie lange das Personal aber bereit ist, den Druck mit Sonderefforts auszugleichen, wird sich noch weisen. Ein mahnendes Beispiel ist die Post: Dort ist der Berufsethos des Service public besonders gefährdet. Gemäss Soziologe Schultheis stören sich die Postangestellten vor allem an der «Kommerzialisierung» und der «Managerialisierung» im Betrieb. Auch bei der SBB könnten die Energie und die Geduld bald zu Ende sein. «Wir können nicht unbegrenzt höhere Pensen übernehmen», sagt Cargo-Mitarbeiter Albert Fricker. «Ich kenne jetzt schon mehrere Leute, die zehn Stunden pro Tag arbeiten.» Und auch bei den Reinigungsangestellten der SBB haben die Pläne, die «Schmutzzulagen» zu streichen, für einen Knick in der Moral gesorgt. So erklärt Reinigungsmitarbeiter Peter Huber: «Wir spüren schon, dass die Motivation kleiner geworden ist.»

* Namen geändert.

Auf die Minute

Die Qualität der SBB bewegt sich nach wie vor auf internationalem Spitzenniveau. So belegten die Bundesbahnen 2017 im European Railway Performance Rating den ersten Platz. Täglich können im Bahnland Schweiz 1,25 Millionen PassagierInnen mehr oder weniger reibungslos transportiert werden. Gelitten hat in letzter Zeit aber die sprichwörtliche Pünktlichkeit: So verkehrte zeitweise ein Viertel der Züge zwischen Zürich und Bern unpünktlich. Oft sind Kleinigkeiten schuld: Türstörungen, Weichenfehler oder Ähnliches. Doch auch der Mangel an Rollmaterial wegen der verzögerten Lieferungen des neuen Bombardier-Zugs spielt eine Rolle. Bis Anfang Juni soll eine eigens eingesetzte Taskforce der SBB Vorschläge zur Verbesserung der Pünktlichkeitswerte machen.