Erwachet!: Eine Royal-Reportage

Nr. 18 –

Michelle Steinbeck verzaubert die norwegische Kronprinzessin

Der Höhepunkt meiner Karriere ist erreicht.

Ich bin der lebende Beweis, dass man es mit dilettantischer Lyrik noch immer zu etwas bringen kann – sofern einem Hofnärrin des 21.  Jahrhunderts als erstrebenswertes Berufsziel erscheint. Habe ich also in Oslo ein paar meiner Gedichte vorgetragen, zur Eröffnung des ersten deutsch-norwegischen Literaturfestivals überhaupt. Ein Meer von glänzenden Augen leuchtete mich an – aber das war es nicht, gemeines Fussvolk beliest man ja alle Tage; es war ein ganz spezielles Augenpaar in der vordersten Reihe, das alle im Saal vor Ehrfurcht und Untertänigkeit erschaudern liess. Es lag unter dem flachsfarbenen Prachtsscheitel von niemand Geringerer als der Kronprinzessin von Norwegen.

So stand ich da über ihr auf der Bühne und versuchte, ihren pulsierenden Glanz zu spüren, ihren königlichen Blick aufzusaugen. Aber leider waren ihre Augen nicht wirklich auf mich gerichtet, vielmehr verbog sie sich auf dem Stuhl, um an der riesigen goldenen Harfe neben mir vorbei auf die Projektion zu schielen, wo die norwegische Übersetzung angezeigt wurde. Es sah unbequem aus und lenkte mich ab, so löste ich meinen Blick von der personifizierten Erhabenheit und liess ihn in die verständigeren hinteren Reihen ziehen.

Nichtsdestotrotz erklärten mir nach der Lesung verschiedene schüttere Herrenhäupter, wie es der königlichen Hoheit ihrer Meinung nach gefallen habe: «Sie haben sie verzaubert, glauben Sie mir. Eine verzauberte Prinzessin!» Andere taten ihre politischen Ansichten kund: «Ich bin kein Royalist. Und Mette-Marit ist noch nicht mal adelig. Sie ist ein Mädchen vom Dorf. Ich nenne sie: das Mädchen.» Ich erklärte ihm, dass das nicht sehr korrekt sei, da sie eine erwachsene Person sei, Prinzessin hin oder her. Er zeigte sich erstaunt; ob ich denn nicht wisse, wie sie den Prinzen kennengelernt habe? Es sei ein Skandal: «Sie hat Haschisch geraucht, ist Technoqueen gewesen.»

Heute ist sie jedenfalls Prinzessin – lebt mit ihrem zweiten Mann und Kindern vorbildliches Patchwork im königlichen Schloss, vor dessen Eingang Maturanden in Gardeuniform staksen und rhythmisch die Hälse drehen. Sie scheint sich dem schwindeligen Tamtam ergeben zu haben – und von pragmatischen Abläufen nicht mehr viel zu halten. Ihre Ankunft löst ein ungemütliches Aufscheuchen aus; alle haben sich zu positionieren, im Stehen und mit gefalteten Händen verspannt zu warten, eine getragene Betroffenheit wie in der Kirche breitet sich aus.

Dann sitzt sie endlich vor mir, kichert einem Stabsmann etwas ins Ohr und lässt sich von der Bühne herunter mit Huldigungen überschütten: «Ihre Königliche Hoheit»; wer sie persönlich kennt, darf selig sagen: «Liebe Kronprinzessin». Aus den Reden könnte man schliessen, dass allein ihre Anwesenheit sie in Verdacht geraten lässt, höchstpersönlich die Literatur erfunden zu haben. An der anschliessenden Feier knallt der Korken für den Pöbel – Hoheit und Exzellenzen haben sich wortlos verzogen –, und ich rezitiere den russischen Autor Daniil Charms: «‹Ich bin ein Prinz!› – ‹Du und ein Prinz?› – ‹Und was folgt daraus, dass ich ein Prinz bin?› – ‹Dass ich dich jetzt mit Suppe vollspritze!›»

Michelle Steinbeck ist Autorin. Gerade schreibt sie einen Groschenroman über eine nordeuropäische Königsfamilie.