LeserInnenbriefe

Nr. 21 –

Kuschen vor dem Landvogt

«Essay: ‹Allen, die postulieren, es gebe einen einzigen wahren Kern des Mythos, ist nicht zu trauen›», WOZ Nr. 18/2019

Den Essay zum Thema «Mythen» von Thomas Brunnschweiler mit zunehmender Erhellung gelesen. Mythen dienen heute also sichtlich dazu, als eine Art Spachtelmasse die Risse am Selbstbild der «lieben, guten Eidgenossen» zu kitten. In diesem Zusammenhang wälze ich seit zwanzig Jahren die nie beantwortete Frage: Warum durften wir Thurgauer 1998 nicht 200 Jahre Befreiung vom kolonialistischen Joch der Eidgenossen feiern? Wir hatten brav zu warten bis 2003 …

Na ja – wenn du 338 Jahre lang alle zwei Jahre einem neuen Generalgouverneur (damals: Landvogt) aus einem andern der sieben zuständigen Orte huldigen und anschliessend seine Bereicherungslust ertragen musst, bleibt das Kuschen vor Autoritäten eben noch eine ganze Weile im Verhaltensrepertoire erhalten.

Johannes Läubli, per E-Mail

Nicht saturierter Alltag

«Bonjour Tristesse», WOZ Nr. 16/2019

Ich schätze Michelle Steinbeck als Literatin, in ihrer WOZ-Kolumne ist sie jedoch in jüngster Zeit ein bisschen oft in die Banalitätsfalle getappt. Ich möchte ihre Mitteilungen aus dem Alltagsleben nicht gänzlich missen, aber anstatt «faute de mieux» über schlechtes WLAN in Pariser Cafés unterrichtet zu werden, würde ich es doch sehr begrüssen, wenn der Kreis der Schreibenden in der Kolumne noch etwas erweitert würde. Auf diese Weise könnte vielleicht auch einmal der Alltag von Frauen und Männern zum Thema werden, die selbigen in einem Krisengebiet oder einem Land mit deutlich weniger saturierten Verhältnissen zu bewältigen haben.

Makvala Kachidze-Rüegg, Allschwil

Kritik an der Kasse

«Es braucht Menschen, die sich weigern», «Le Monde diplomatique», Mai 2019

Genau, weil ich eine solche gesuchte «Menschin» bin! Ich bin fast ein wenig stolz, weil ich mich in der Beschreibung der Schlangen an der Kasse wiederfinde. Zugegeben, es ist nicht immer nur lustig, wie die Reaktion ausfällt. Aus Erfahrung weiss ich, dass auf die durchgezogene Szene an der Kasse unweigerlich eine «Begegnung» am Packtisch folgt. Ich packe meine Ware absichtlich ganz langsam in den Rucksack, um damit eventuell Verärgerten oder Zusprechenden zu ermöglichen, mich anzusprechen.

Da gibt es sowohl bei Coop wie bei der Migros immer wieder die Geschenkli-Aktionen für Kinder. Einmal sind es Kleber für Alben, mal mit Sportlerabbildungen, mal Bildli zu einem gerade aktuellen Thema. Immer am Mittwochnachmittag, wenn die Unterstufen schulfrei haben, kommen die Mütter unter Einkaufsdruck, weil der «Tschok» verteilt wird. Kürzlich konnte mit den nötigen angesammelten «Märkli» ein Plüschtier erhalten werden. Es geht erstens um den Kaufzwang unter dem Diktat der Kinder. Zweitens: Die Kinder müssen Schritt halten mit ihren Schulkameraden, sonst wird ein Nichtbesitzer zum Aussenseiter. Drittens: Kindern lernen, wenn der Einkauf möglichst teuer ist, wird man sichtbar und durch die ausgeklügelten Gaben zum Besitzer und raffgierigen Sammler.

Die Kassierin fragt pflichtbewusst freundlich «Nehmen Sie Märkli? Laut für die Nachfolger an der Kasse sage ich: «Nein!» Ich will meine Kinder (jetzt Urgrosskinder) nicht mit solch schlimmem Weg zu schlechten und dummen VerbraucherInnen erziehen. Mein Protest kommt unterschiedlich an. Die Animation der Kinder zur Konsumsteigerung müsste eigentlich verboten sein. Es wird viel öffentliches Geld in die Suchtprävention gesteckt. Die auf die Kinder ausgerichteten Lockvögel wecken die Sammelwut und sind somit offensichtliche Vorbereiter der Suchtspur. Darum mein Aufruf: Urahne, Ahne, Mutter und Kind, schreit laut: Wir erkennen die Absicht, uns einkaufende Frauen und Männer zu kritiklosen KundInnen zu machen.

Louise Schneider-Rüedi, Liebefeld