Wahlkampfstrategien in den USA: Alle unter einem grossen Zelt

Nr. 32 –

Am Wochenende versammelten sich die Democratic Socialists – eine linke Gruppe, die den DemokratInnen nahesteht – zum grossen Kongress. Dabei wurden auch ideologische Gräben sichtbar. Ein Besuch.

So hatte sich Meg Reilly das nicht vorgestellt: Monatelang warb ihre Sektion der Democratic Socialists of America (DSA) in Maine für die finanzielle Aufstockung kleiner, ländlicher Ortsgruppen. Aber am grossen Kongress, der am Wochenende in Atlanta stattfand, wurde der Vorschlag abgelehnt, der jeder Gruppe monatlich hundert US-Dollar aus dem nationalen Topf zugesprochen hätte: Flugblätter oder Veranstaltungsräume hätten sie dann nicht mehr ausschliesslich aus der eigenen Tasche finanzieren müssen. «Der rechte Flügel hat uns ausgebootet», sagt ein Delegierter, der am hinteren Ende der Halle nervös hin- und hergeht. Auf Twitter schreibt jemand: «Das sind nicht mehr meine DSA.»

So harsch sieht Reilly das nicht: Zu den DSA gebe es keine Alternative. In Maine unter diesem Label aufzutreten, sei nicht zuletzt wegen Bernie Sanders, der sich offen als «demokratischer Sozialist» bezeichnet, «ein Garant dafür, dass man zwar am linken Rand agiert, aber wahr- und ernst genommen wird».

Gegen die Macht der Leitung

Die vermeintlichen Vorbehalte der Delegiertenmehrheit «gegen die Kleinen» gehen auf ideologische Differenzen zurück. Denn eine beträchtliche Zahl jüngerer AktivistInnen, die durch die Occupy-Bewegung Anfang des Jahrzehnts politisiert wurden, haben sich aus unterschiedlichen geografischen Ecken unter das «grosse Zelt DSA» begeben.

Ursprünglich verstanden sie sich als BasisaktivistInnen. Doch seit der letzten DSA-Convention vor zwei Jahren fanden sie sich als AnhängerInnen einer nicht näher definierten Dezentralisierung zusammen, mit einer eigenen Website und einem eigenen Namen: «Build». Ihre Basisorientierung verknüpfen sie mit der Skepsis gegenüber der nationalen Leitung – und wollen deren Machtbefugnisse und deren Finanzhoheit beschränken. Die meisten Delegierten lehnen diese Herangehensweise als zu rigoros ab.

Ein Zelt habe auch ein Dach, erklärt Charles Lenchner. Der Fünfzigjährige war Mitbegründer von Sanders’ Medienstrategie im Vorwahlkampf gegen Hillary Clinton. Als einer von mehr als hundert Delegierten aus der grössten Ortsgruppe in New York kritisiert er die zunehmende Fraktionierung. Bei den DSA «konnte man immer unterschiedlicher Auffassung sein darüber, wie man ein politisches Ziel erreichen wollte», sagt er. Vor dem rasanten Anwachsen der Organisation habe «ein Grundverständnis geherrscht, das alle Mitglieder teilten».

Seit ihrer Gründung Anfang der achtziger Jahre hatten die DSA relativ konstant 5000 Mitglieder und waren damit auf nationaler Ebene unsichtbar. Seit Sanders’ Wahlkampf nahm die Zahl rapide auf heute 56 000 zu.

«Mit 50 000 Dazugekommenen, die die Geschichte nicht kennen, kommt auch ein bestimmtes Spektrum von Puristen», sagt Lenchner. Damit meint er Strömungen, die die Demokratische Partei, denen die DSA nahestehen, als feindlichen Block ansehen, gegen den um jeden Preis gekämpft werden müsse.

Konkret nennt Lenchner die DSA-Fraktion Bread and Roses, mehrheitlich Abtrünnige der trotzkistischen International Socialist Organization (ISO). Lenchner befürchtet, dass ehemalige ISO-Mitglieder «ohne Hinterfragung ihres leninistischen Gepäcks» in die DSA strömten. Ihr Gefühl, einer Parteilinie folgen zu müssen, stehe «in direktem Gegensatz zur eher flexiblen DSA-Tradition». Die wiederum orientiert sich an der Strategie, gleichzeitig innerhalb der DemokratInnen als Linke zu agieren und sich in sozialen Bewegungen zu engagieren.

Für den Green New Deal

Bread and Roses wisse «genau, wohin sie politisch wollen», sagt Ethan Young aus Brooklyn, der sich seit Anfang der siebziger Jahre in der radikalen Linken engagiert. Bread and Roses verfolge eine sektiererische Politik. Young verweist auf zwei erfolgreiche Resolutionen, die die Fraktion bei den Delegierten durchsetzen konnte. Eine sagt allein Bernie Sanders Unterstützung im Wahlkampf zu. «Das ist verheerend im Kampf gegen den Trumpismus, falls Sanders nicht Kandidat der Demokraten wird», findet Young. Die andere Resolution schliesst die Zusammenarbeit mit Gewerkschaftsführungen aus und setzt auf reine Basisarbeit am Arbeitsplatz.

Young hält eine derweil andere Fraktion für die «vernünftigste», die Socialist Majority. Der gehe es um die Modernisierung der Strukturen und das weitere Mitgliederwachstum.

Am letzten Konferenztag wählt die Convention ihr sechzehnköpfiges Leitungsgremium. Dabei schneiden die Socialist Majority, Bread and Roses und die AnarchistInnen von Build beinahe gleich stark ab. Dass es angesichts des heftiger werdenden Wahlkampfs zur Zerreissprobe kommt, ist nicht auszuschliessen. Immerhin: Eine grosse Mehrheit machte am Wochenende den Green New Deal zur Priorität.