Völkerrecht: Krieg, aber geregelt

Nr. 33 –

Vor siebzig Jahren wurde die letzte der Genfer Konventionen verabschiedet – zum Schutz von zivilen Personen in bewaffneten Konflikten. Das Prinzip des Krieges stellt das Abkommen aber nicht infrage.

Eine Balance zwischen Menschlichkeit und militärischer Notwendigkeit: So liesse sich das Kriegsvölkerrecht zusammenfassen. Dieses Regelwerk, verharmlosend meist humanitäres Völkerrecht genannt, fragt nicht nach Grund oder Legitimität von bewaffneten Konflikten – Krieg ist in aller Regel illegal –, sondern nimmt sie als gegeben hin. Es regelt lediglich die Kriegsführung der beteiligten Parteien.

Die vierte und letzte der Genfer Konventionen, die vor siebzig Jahren abgeschlossen wurde, ist heute zweifellos die wichtigste: jene über den «Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten». Doch die Genfer Konventionen verlangen auch ein Minimum an Menschlichkeit gegenüber feindlichen KämpferInnen, Verwundeten, Kriegsgefangenen. Zum Beispiel schützen sie auch die elementaren Rechte von Kämpfern des IS.

Für einen völkerrechtlich «korrekten» Krieg zentral ist die Unterscheidung zwischen zivil und militärisch. Nur militärische Objekte wie Kasernen, Panzer und Munitionsfabriken sowie SoldatInnen und Menschen, die sich direkt an Kampfhandlungen beteiligen, sind demnach «legitime» Ziele. Alles und alle anderen bleiben zivil. Ohne Ausnahme. «Direkte Beteiligung» wird dabei sehr eng gefasst, es braucht dafür den sprichwörtlichen rauchenden Colt.

Zudem müssen die Kriegshandlungen «verhältnismässig» sein. Auch hier ist die Definition sehr eng: Die angerichteten Schäden müssen demnach in einem angemessenen Verhältnis zum erwarteten direkten militärischen Vorteil stehen. Gemäss diesem Prinzip sind zum Beispiel für die Tötung eines Divisionärs im Normalfall mehr sogenannte Kollateralschäden erlaubt als für jene eines einfachen Soldaten. Schliesslich müssen bei jeder Kampfhandlung Vorsichtsmassnahmen getroffen werden, um die Kollateralschäden zu reduzieren. Das betrifft etwa Ort und Zeit eines Angriffs, aber auch die Wahl der Mittel.

So klar die Regeln, so schwierig sind sie zu vermitteln, und beim militärischen Kader herrscht oft Unverständnis: Warum dürfen wir den Financier des Feindes nicht angreifen? Warum den rassistischen Politiker nicht, der diskriminierende Gesetze zu verantworten hat? Warum die Hetzerin im Radio nicht?

Die Genfer Konventionen sind ein ausschliesslich von Staaten ausgehandeltes Regelwerk. Ausnahmslos alle Staaten der Welt haben sie unterzeichnet. Daneben kennt das Kriegsvölkerrecht auch andere Instrumente: internationale Abkommen über konventionelle Waffen etwa oder über Kinder und bewaffnete Konflikte. Dazu gehört auch das sogenannte Völkergewohnheitsrecht, das sich aus der gängigen Praxis von Staaten definiert.

Dennoch ist das Kriegsvölkerrecht immer und für alle bindend – auch für Befreiungsbewegungen und bewaffnete Aufständische. Das ist ein Problem: Denn ihre Kriege sind unter den Gesetzen der betroffenen Staaten immer illegal. Und die KämpferInnen gelten in den Ländern demnach als gewöhnliche kriminelle GewalttäterInnen. Wie stark sich Aufständische deshalb an ein Regelwerk gebunden sehen, zu dem sie nichts zu sagen haben, variiert je nach Herkunft und Ideologie stark.

Diesen Widerspruch vermögen die Genfer Konventionen nicht aufzulösen. Aber auch manche Staaten tun sich schwer mit den Regeln für interne Konflikte. Denn durch die implizite Anerkennung als Kriegspartei erhalten die an sich illegalen Aufständischen letztlich sogar das Recht, die Armee anzugreifen. Wohl nicht zuletzt deshalb leugnete etwa die Türkei den Krieg gegen die kurdische PKK selbst in seinen heissesten Phasen und sprach ausschliesslich von «Terroristen».

Humanität auch im Krieg zu verbriefen, ist die Errungenschaft der Genfer Konventionen. Doch das unmenschlichste Prinzip des Krieges stellen sie nicht infrage: dass die Mächtigen eines jeden Staates, ob Diktator oder Bundesrätin, das Recht haben, ihre BürgerInnen für die Armee zu rekrutieren und in den Krieg zu schicken. Einmal in Uniform, werden diese jungen Menschen nach Kriegsvölkerrecht zu legitimen Zielen.