Wann kam noch mal Blocher? Und warum steht hier überall Selbstkontrolle? Wie eine Wienerin in Zürich fast heimisch wurde, obwohl das Schnitzel 35 Franken kostet.

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Doris Knecht

Im März sass ich mit einem Freund in Zürich in einem Restaurant, ganz normal, nichts Superedles, und nach etwas Schnappatmung meinerseits wegen der Preise in der Menükarte unterhielten wir uns über Politik: über die Gegenwart in Zürich und bei mir in Wien, und was hier alles ganz anders war als dort. In Wien – es war noch vor dem Ibiza-Skandal, der die rechtskonservative Regierung in Österreich zu Fall brachte – schien alles hoffnungslos, während in der Schweiz der Glanz der Rechten schon ein wenig zerkratzt war. Ich glaube, das Schnitzel in dem Restaurant kostete 35 Franken, und das ist unvorstellbar teuer für Wiener Verhältnisse. Mich wundert nicht, dass die Schweizer so fleissig sind, aber dass sie so fröhlich und freundlich und grosszügig sind, wundert mich jedes Mal wieder, bei den Preisen für Essen und Trinken, für Wohnen und Kinderbetreuung.

Kürzlich besuchte mich eine Zürcher Freundin in Österreich, wir gingen in den Supermarkt einkaufen und luden gleich viel zu viel in den Einkaufswagen, weil: alles so günstig! Also für die Schweizer Freundin. Immer wenn mir das Leben in Wien teuer vorkommt, fahre ich für ein paar Tage in die Schweiz und lebe danach einen Monat glücklich von dem Betrag, den ich dort in drei Tagen ausgegeben habe. Ich glaube ja, das macht etwas mit den Leuten, wenn ihre Fixkosten so hoch sind, wenn sie für Nahrungsmittel und Wohnen und Kinderbetreuung Monat für Monat solche massiven Beträge flüssig kriegen müssen, wenn sie überwiegend dafür arbeiten, dass sie wohnen können, und der Lohn von einem von zwei Elternteilen in der Betreuung der Kinder zerrinnt. Das macht Stress und unflexibel.

Ein bisschen kindisch

Wobei. Hmm. Ich würde gern behaupten, dass es auch andersherum gilt, dass es glückliche und heitere Menschen macht, wenn sie sich leichter tun mit alldem. Wenn, so wie jetzt etwa in Wien, das noch immer den Geist des Roten Wien atmet, Kinderbetreuung auch für sehr kleine Kinder selbstverständlich und in den städtischen Kindergärten beitragsfrei ist, wenn die Wohnungsmieten zwar unschön gestiegen, aber vergleichsweise noch immer leistbar sind, weil in Wien, anders als in den Schweizer Städten, keine Wohnungsknappheit herrscht, da stets genügend neuer, moderner, auch sozialer Wohnraum nachgebaut wird und die Stadt nach allen Seiten in neue Stadtteile und neue Viertel wächst. Aber die grantigen, leidenschaftlich schlecht gelaunten Wiener und Wienerinnen strafen mich leider Lügen. Die Wiener raunzen, egal wie gut es ihnen geht.

Entschuldigen Sie, dass ich so viel über Wien herumlamentiere, obwohl der Auftrag doch lautet, über die Schweiz zu schreiben. Als ich diesen Auftrag bekam, wandte ich augenblicklich ein, dass ich die Schweiz doch kaum beziehungsweise nicht mehr gut kenne, vor fast zwanzig Jahren habe ich einmal zwei Jahre in Zürich gelebt, und seither besuche ich die Schweiz hin und wieder für ein paar Tage und bekomme alle Schweizerei sonst nur von aussen mit. Wenn überhaupt. Ausserhalb der Schweiz ist die Schweiz, ich muss das leider so gnadenlos sagen, gar nicht so interessant, also jetzt für Leute, die dort kein Konto und keine Geschäftsbeziehungen haben. Es spielt für Nichtschweizerinnen keine grosse Rolle, was die Schweizer machen. Es wirkt vielleicht ein bisschen kindisch, aber wahrscheinlich ist es halt so: Die Schweiz wollte nicht in unserer EU-Bande mitmachen, jetzt wollen wir auch nicht mehr mit der Schweiz spielen. Die Schweiz liess uns fühlen, dass sie reicher, fleissiger, besser und erfolgreicher ist als wir anderen Europäer, und dass wir die Schweiz, falls sie sich mit uns einliesse, auf unser trauriges Niveau herunterziehen würden: Deshalb grenzt sie sich besser von uns anderen ab. Diesen Dünkel haben wir ihr nie ganz verziehen und werden ihn wahrscheinlich nie ganz verzeihen. Jetzt einmal abgesehen davon, dass allein in Österreich 90 000 Wohnungskäuferinnen und Häuslbauern ihre Frankenkredite um die Ohren flogen, weil tja, Pech.

Das war auch nicht nett. Und so behandeln wir die Schweiz ein bisschen wie den reichen verwöhnten Nachbarsbuben, der den anderen nie etwas von seiner Schoggi abgibt, und wenn er einen neuen Pingpongtisch hat, soll er jetzt hinter seiner Hecke halt allein damit spielen. So ähnlich interessiert uns die Schweiz nicht so übertrieben, es hat auch einfach nicht so viel mit uns zu tun, und was in der Schweiz passiert, betrifft uns irgendwie nicht so wie das, was bei den anderen EU-Staaten abgeht. Was in Deutschland, Frankreich, Polen oder Ungarn geschieht, hat einen Einfluss auf Österreich, weil wir, egal wie unterschiedlich, Teil eines Ganzen sind, und die Schweiz nicht. Jetzt einmal abgesehen davon, dass wir das politische System der Schweiz mit den rotierenden PräsidentInnen und der direkten Demokratie, wo – sorry, überspitzt – über jeden Gartenzaun einzeln abgestimmt wird, nie so ganz verstanden haben. Wir finden es irgendwie gut und sehr erwachsen, aber irgendwie auch so anstrengend, dass wir es selber nicht unbedingt auch wollen.

Wir lesen auch kaum mehr Schweizer Zeitungen, einerseits, weil es viele schon lang nicht mehr an den österreichischen Kiosken gibt, andererseits, weil das eben alles eine andere Welt mit Namen ist, die wir, anders als die von deutschen Grünen-Chefinnen oder italienischen Innenministern, nicht zu kennen und uns nicht zu merken brauchen. Also Leute, die mit Geld und internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu tun haben, natürlich schon, sonst ein bisschen Schweizer Kultur, Art Basel, okay, eine florierende Galerien- und Theaterszene, das bekommt man so am Rande noch mit, und den Schweizer «Tatort», den wir immer so ein bisschen dings finden. Aber es gibt ja auch kein SRF mehr im österreichischen Sendernetz. Und die Zeitungen, die man bekommt und die uns ganz früher oder bis vor kurzem durch ihre Kultur-, Gesellschafts- oder internationale Politikberichterstattung einigermassen interessierten, biedern sich jetzt derart an diese grausliche, nazistische Rechte an, dass man das Gefühl hat, man mache sich schmutzig, wenn man sie liest.

In neue Schichten verpackt

Apropos Nazi. «Unsere Natsi»: An dieses Wort werde ich mich nie gewöhnen, das schaffe ich einfach nicht. Und dass es DER Match heisst und nicht das Match: daran auch nicht. Und auch nicht daran, dass überall steht: Selbstkontrolle. Obwohl, passt natürlich.

Weil: Gleiche Sprache, ähnliche Landschaft, ähnlich klein – und doch so verschieden. Natürlich. Österreich war einmal eine Monarchie, das macht auch was mit den Leuten. Und ich will nicht sagen, dass die Wienerinnen und Wiener ein faules Volk sind, das sind sie nicht. Aber dennoch verbringen sie grössere Abschnitte ihres Lebens damit, herumzusitzen und Kaffee oder Wein zu trinken und sonst nichts zu tun. Die Politik zu verhandeln, ja, die Welt zu retten, von diesem gepolsterten Kaffeehausbankerl aus; sie betrachten das als Teil ihres Daseinszwecks. Ich habe das ziemlich zügig angenommen, als ich in den achtziger Jahren als neunzehnjährige Studentin vom alemannisch geprägten Vorarlberg nach Wien gekommen bin, und habe wahrscheinlich deshalb nie fertig studiert. Als ich in meinen Dreissigern als Journalistin in die Schweiz ging, hatte mich das Wienerische innerlich so komplett ausgekleidet und versaut, dass ich mich zuerst richtig schwertat mit den Schweizern, die ich eigentlich als Brüder und Schwestern im Geiste, also in der Mentalität betrachtete. Ich dachte, ach was, ich bin doch wie die gebürtig, eine praktische, pragmatische, sachliche, tüchtige Alemannin, easy!, was kann da schon schiefgehen.

Für die meisten Leute, die vorher noch nie dort waren, ist die Schweiz ein Land mit Bergen, Seen und Banken, ein Land aus Franken, Käse und Schokolade, das Land von Roger Federer und Heidi. (Letztlich ja beides Figuren, die es mit Fleiss, Tüchtigkeit und Durchhaltevermögen im Ausland zu etwas gebracht haben.) Für mich dagegen war die Schweiz immer vertraute Nachbarschaft, nur ein bisschen durchlässige Grenze dazwischen, und mit Franken statt Schilling. Gleiche Landschaft, gleicher Dialekt, gleiche Mentalität. Ich bin im österreichischen Rheintal aufgewachsen, ich hatte die Schweiz mit ihren Bergen permanent im Blick, die Schweiz gehört zu meinem Herkunftsheimatgefühl dazu, nicht nur wegen der gemeinsamen Sprache.

Für mich als Kind war es das Land mit meinem Lieblingsnaturfreibad am Alten Rhein und einer Art Schlaraffenland namens Migros. Wir fuhren dort ein paar Mal im Jahr hin, über die Grenze von St. Margrethen, und kauften die paar Dinge, die es bei uns nicht gab oder die dort billiger waren als im Discounter, in dem meine Mutter immer einkaufte, was heutzutage merkwürdig und wenig glaubhaft wirkt: dass in der Schweiz einmal etwas billiger war. Wars aber offenbar, sonst hätte meine sparefrohe Mutter dort nicht eingekauft. Ich erinnere mich an knisternde Zellophansäcke mit Totenbeinli, an Blätterteig und natürlich an Schokolade, die ganz cremige im roten Papier. Aber das werden nicht die Gründe gewesen sein, warum wir da immer wieder hingefahren sind, ich muss mal meine Mutter fragen. (Meine Mutter whatsappt: «Kaffee, Zucker, Nudeln, Haushaltsartikel, zum Beispiel Frischhaltefolie, Gemüsedosen und viele Grundnahrungsmittel.») Es gab in der Schweiz auch schon dieses Ikea, von dem man in Österreich gerade mal munkelte, wir kauften in Spreitenbach in den Siebzigern den ersten Wohnzimmerschrank fürs neue Haus. Und es gab in St. Gallen einen H & M, als es in Österreich, auch in Wien, nur biedere Kaufhausmode gab, also fuhren wir immer wieder leicht bekleidet hinüber, und wenn wir wieder die Grenze passierten, lief uns der Schweiss über das Gesicht, nicht nur, weil wir in viele neue Schichten verpackt waren, sondern auch, weil wir fürchteten, dem Grenzer könnte das auffallen. Die Kindheitserinnerungs- und Shoppingschweiz bekam in den achtziger Jahren durch die Rote Fabrik und das brennende Zürich eine andere, grellere Farbe und einen verlockenden Sound, und später hat uns dann schon auch der Platzspitz interessiert, politisch und praktisch. Die Schweiz war mir immer sympathisch, die Schweiz war mir sehr nah. Bis ich nach Wien zog und dann viele Jahre dort lebte.

Mittagessen bis zum Apéro

Sagte ich, ich tat mich schwer mit den Schweizerinnen? Das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Noch mehr taten sich die Schweizer mit mir schwer, einer merkwürdigen Exotin, die nach der Arbeit nicht nach Hause gehen wollte, sehr merkwürdige Texte schrieb und auf idiotisch hohen Absätzen herumstöckelte, wo in Zürich doch nicht mal die Huren an der Langstrasse, wo ich damals wohnte, Stöckelschuhe trugen; Trendsetterinnen, wie ich jetzt weiss.

Ich hatte auch deshalb in Wien am Journalismus Gefallen gefunden, weil es kein Nine-to-five-Job war. Ich war süchtig nach dem Adrenalin, wenn die Zeitung fertig werden musste, ich liebte die ungewissen Feierabende, die langen Nächte in der Redaktion, wenn man aufs Layout wartet, und danach, egal zu welcher Nachtzeit, der verdiente Absacker in einer der Bars im jüdischen Textilviertel, in dem damals mehrere Wiener Redaktionen angesiedelt waren. Man arbeitete hart und wenn nötig zwanzig Stunden am Stück, wenn man eine Geschichte zu schreiben und zu recherchieren hatte, und dazwischen nahm mans locker, kam später, ging früher, liess das Mittagessen in einer der Bars in der Gasse bis zum Apéro ausarten, und darüber hinaus.

Als ich in der Schweiz bei der Zeitung anfing, nahm ich überaus überrascht zur Kenntnis, wie da gearbeitet wird. Ich weiss nicht, ob es immer noch so ist, aber damals begann man um Punkt neun, machte um Punkt zwölf Uhr Mittag und liess um Punkt sechs den Stift fallen. Egal ob man gerade an einer riesigen Reportage arbeitete oder nicht. Als sei Journalismus ein ganz normaler Beruf wie Autohändlerin, Bankangestellte oder Kleiderverkäufer, als sei eine Zeitung dasselbe wie ein Coiffeurladen mit fixen Öffnungszeiten. Dinge mit Nachrichtenwert hatten zwischen neun und fünf zu passieren, und wenn sie ausserhalb dieser Zeit passierten, war es die Schuld der Ereignisse, wenn über sie erst am nächsten Tag berichtet wurde.

Excusez-moi, ich übertreibe natürlich. Es gab natürlich Abenddienste bei den Tageszeitungen, aber soweit ich mich erinnere, hielt sich die Schweiz bei der Ereignisproduktion und Newserzeugung relativ strikt an die Vorgaben, die ihr von den Medien vorgegeben wurden. Daran habe ich mich nie so richtig gewöhnt, und von den strengen Schweizer Nahrungsaufnahmeritualen habe ich mich ziemlich schnell wieder erholt, und ich fand es bezaubernd, mit welchem Geschick es der Schweizer Freundin, als sie auf Besuch war, in nur drei Tagen gelang, meinen Ernährungsmodi eine eidgenössische Struktur zu verpassen. Die Schweizer haben das einfach in der Genetik, eh sehr gesund. Und ich bin jedes Mal wieder begeistert, dass etwas derartiges wie ein unpünktlicher Schweizer Zug nicht existiert und dass man praktisch jeden Punkt der Schweiz ohne Auto erreichen kann. Das haben die Schweizerinnen gut gemacht, und es ist gut, dass sie sich da nicht von den resteuropäischen Bahnnetzabbauern haben abbringen lassen.

Rechte Onkel im Massanzug

Es tut mir leid, dass ich mich hier so an den Klischees über die Schweiz abarbeite, pünktlich, fleissig, sauber. Obwohl ich gerade dieser Tage dem «Tagi» entnommen habe, dass die Sauberkeit durchaus oberflächlich ist, weil derzeit Tonnen von Müll aus den vermeintlich blitzsauberen Schweizer Seen gefischt werden. In Wirklichkeit nähert man sich einem Land ohnehin besser über seine Bevölkerung an, und ich habe spätestens in meinen zwei Schweizjahren gemerkt, dass die so heterogen ist wie die Landschaften, die Religionen, die Mentalität, die Vermögen und die Sprachen. Drei Sprachen. Für eine Ausländerin wie mich jedes Mal wieder sehr peinlich, wenn man die Einzige in der Runde ist, die nur eine einzige Muttersprache hat und noch ein bisschen Englisch spricht, während alle anderen am Tisch mühelos zwischen Französisch, Deutsch, Italienisch und natürlich Englisch hin und her schalten. Und so ist die Schweiz, wie ich sie erlebt habe und jetzt live und via Social Media erlebe, auch nicht mehr die humor- und leidenschaftslose Zwingli-Zürich-Schweiz, sondern eine wache, interessierte, international vernetzte, laute und leidenschaftliche Community. Die junge, intellektuelle Kunstschweiz. Und die Frauenstreikschweiz, die gleiche Rechte in guter alter Züri-brännt-Tradition wesentlich kämpferischer als anderswo und tatsächlich auch sichtbar auf der Strasse einfordert. Und die #dichterdran-Schweiz: Wer je behauptet hat, dass die Schweizer nicht lustig sind, hat die Schweizerinnen nicht mitgemeint, etwa die Autorinnen, die mit diesem Hashtag gerade so pointiert darauf hinwiesen, wie unterschiedlich die Kritik die Literatur von Frauen und Männern rezipiert. Es ist eine Schweiz, in der die Bevölkerung, wie ich unlängst in einer Tageszeitung las, wieder liberaler wird als die Politik, so wie es früher war, bevor die SVP die Schweiz abzuschotten und mit Ressentiments vollzupumpen begann, gegen die vermeintlichen Feinde von aussen.

Wann kam noch mal Blocher? Und mit ihm so ein Onkel-Rechts, ein Unternehmer-Rechts, ganz ordentlich im Massanzug, während die Rechten in Österreich noch lange in Nazimontur und mit Schmissen im Gesicht bei Wehrsportübungen in den Wäldern herumballerten. Korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre, aber der Unternehmer gilt in der Schweiz ja irgendwie immer noch als ein netter Onkel, der es nichts als gut mit seinen Leuten meint; gehts dem Unternehmer gut, gehts allen gut, so ungefähr, auch wenn längst allen klar geworden ist, das das nicht stimmt und Onkel Unternehmer auch nur ein kühl kalkulierender Kapitalist ist. Jedenfalls habe ich bei dem eingangs erwähnten Gespräch mit dem Freund in Zürich gehört, wie stark die Rechte in der Schweiz an Sexappeal verloren hat und weiter verliert und wie grüne und linke Parteien wieder stärker werden, und ich habe es gern gehört.

Denn diesen Frühling war ich wieder ein paar Tage in der Schweiz. Ich fuhr mit dem Zug von Zürich nach Gottlieben und von dort nach Luzern und dann nach Bern. Vier Mal Schweiz, ganz verschieden, dabei bin ich nicht einmal über den deutschsprachigen Raum hinausgekommen. Mir ist erst später klar geworden, dass in Gottlieben Udo Jürgens gelebt hat oder gestorben ist. In Gottlieben hat mir gegenüber niemand Udo Jürgens erwähnt, dabei verstehe ich, dass es ihm dort gefallen hat, ich habe ihn einmal interviewt, ich glaube, er mochte es klar, sicher, übersichtlich und sauber. Ich ass sehr gute Bodenseefische in Gottlieben. Dann fuhr ich nach Luzern, dort gabs gegrillte Schweinefüsse in Kräutersosse, aber eh nicht für mich, sondern für die vielen chinesischen Touristinnen, denen sich die Schweiz präsentiert, wie man sich die Schweiz vorstellt: Gastfreundlich und gewinnorientiert, die Chinesen sollten sich wohlfühlen, und vielleicht bauen sie sich ja irgendwann ein Extra-Luzern in China, mit See und Altstadt, genau wie sie das österreichische Hallstatt nachgebaut haben, nur spiegelverkehrt. Dann war ich noch in Bern und ganz angetan davon, wie jung und alt zugleich die Stadt ist und wie schön vor allem auch.

Und alle waren freundlich

Ich bin durch die Schweiz gefahren, alle waren freundlich, und ich fand es wie jedes Mal schade, dass ich damals nur so kurz in der Schweiz gelebt habe, weil ich mir die Kinderbetreuung und das Wohnen nicht leisten konnte. Oder wollte, zu diesem Preis. Denn als ich mich erst eingelebt hatte, fand ich Zürich ganz schön lässig, sowieso im Sommer, an der Limmat und am See und an der Langstrasse. Und an die Schweizerinnen und die Schweizer und ihre schräge, verlässliche Sturheit gewöhnte ich mich so sehr, dass ich mit vielen von ihnen befreundet geblieben bin und sie gern in der Schweiz treffe. Auch wenn das Schnitzel 35 Franken kostet, aber egal.

Doris Knecht

Von 2000 bis 2002 lebte Doris Knecht in Zürich. Ihre wöchentliche Kolumne für das «Magazin» des «Tages-Anzeigers» schrieb sie nach ihrer Rückkehr nach Wien weiter, bevor sie in die Wochenzeitung «Falter» umzog. «Gruber geht», der erste Roman der 1966 in Vorarlberg Geborenen, erschien 2011 und wurde auch verfilmt. Es folgten «Wald» (2015) und «Alles über Beziehungen» (2017). Doris Knecht lebt mit ihren Zwillingstöchtern in Wien und im Waldviertel. Ihr neuster Roman, «weg», ist 2019 bei Rowohlt Berlin erschienen und erzählt die Suche von zwei Elternteilen nach ihrer Tochter, vor allem aber nach sich selbst.

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