RebellInnenrätsel: Die majestätische Kurierin

Nr. 38 –

Unmut machte sich breit auf der Frauenkonferenz 1869 in Milwaukee. Ein Pfarrer hatte gerade erklärt, die männliche Überlegenheit zeige sich schon allein darin, dass Männer grösser und stärker seien. Doch dann erhob sich neben ihm eine deutsche Delegierte, und die Verärgerung wich heiterem Gelächter: Mit ihren 1,83 Metern überragte sie den Kirchenmann bei weitem. Nie war es für die damals 52-Jährige so leicht gewesen, verbohrte Zeitgenossen mundtot zu machen.

Die «majestätische» Frau mit der «aussergewöhnlichen Bildung und der bewundernswerten Rede» (so eine Zeugin des Vorfalls) kam 1817 auf einem Gut in Westfalen zur Welt. Sie wuchs behütet auf, wurde von Hauslehrern unterrichtet, und hätte der Vater sich nicht bei einem Eisenbahnprojekt verspekuliert, wäre sie eine gute Partie gewesen. So aber schwanden Geld und Ansehen. Ein Weinhändler half aus und übernahm mit den Schulden des Hauses auch die hübsche Tochter. Die glaubte sich verliebt, der Gatte entpuppte sich aber als gewalttätig. Ein Jahr ertrug sie die Prügel, dann, inzwischen Mutter, zog sie aus und wurde «wegen böslicher Verlassung» des Ehemanns schuldig geschieden.

1839 ging sie nach Münster, wo sie sich und ihr Kind zunächst nur mühsam über Wasser halten konnte. Doch sie war sprachgewandt, begann, für Zeitungen zu schreiben, verfasste Gedichte und machte sich allmählich als Literatin einen Namen. Nebenbei – sie verkehrte nun in sozialistischen Kreisen – entdeckte sie ihr Lebensthema: «Das Weib im Konflikt mit den socialen Verhältnissen». Sie heiratete einen rebellischen Leutnant, zog in die preussische Rheinprovinz nach Köln und etablierte dort ein «kommunistisch-ästhetisches Clübchen», in dem mit revolutionärem Eifer ein besseres Deutschland diskutiert wurde.

Als die FranzösInnen 1848 Louis-Philippe entthronten, kam es auch im Rheinland zu Erhebungen, die sich angesichts des bornierten Preussenkönigs radikalisierten. Die Anführer – darunter ihr Mann – wurden verhaftet und die Oppositionszeitungen, die sie daraufhin herausgab, eine nach der anderen verboten. Bei einer erneuten Aufstandswelle 1849 beliess sie es nicht mehr beim gedruckten Widerwort, sondern fungierte für die Revolutionstruppen als berittene Kurierin. Nach der Niederlage floh sie über die Schweiz wie Zehntausende andere in die USA und wurde dort eine wichtige Akteurin der Frauenrechtsbewegung.

Wie heisst die 1884 verstorbene Schuldirektorin, die den US-Amerikanern vorhielt: «Ihr wollt eine freie Nation erziehen und lasst (…) die Mutter unfrei! Wie soll sie lehren, was sie selbst nicht ist?»? 

Wir fragten nach der Schriftstellerin, Journalistin und Frauenrechtlerin Mathilde Franziska Anneke (1817–1884). «Das Weib im Conflikt mit den socialen Verhältnissen» war der Titel ihrer Streitschrift aus dem Jahr 1847, in der sie an die Frauen, «die von dem Brodeln ihres Kochtopfes am Herd noch nicht zu tief eingenickt» waren, appellierte, nicht länger «die demütige Magd» zu sein, «die ihrem Herrn die Füsse wäscht». Anneke gab die «Neue Kölnische Zeitung» heraus und danach die ebenfalls bald verbotene «Frauenzeitung». Neben der «Neuen Rheinischen Zeitung» von Karl Marx waren sie die wichtigsten oppositionellen Zeitungen der Revolutionsjahre. Die «Memoiren einer Frau aus dem badisch-pfälzischen Feldzuge 1848/49» veröffentlichte sie 1853. Bevor Anneke 1865 in den USA mit der Schweizerin Cäcilie Kapp das fortschrittliche Milwaukee-Töchterinstitut gründete, verbrachte sie einige Jahre in Hirslanden bei Zürich. Ihre Bedeutung auch für die hiesige Frauenbewegung wurde erst erkannt, als sich in den 1970er Jahren eine US-amerikanische Historikerin auf die Suche nach Annekes deutschen Wurzeln begab.