AKW: Falsche Prognostiker

Die Stromlobby droht, nötigt, erpresst.

Die Atomlobby ist lästig und langlebig wie ein Fusspilz. In den vergangenen fünf Jahren glaubte man, sie los zu sein. Sie schwieg. Doch plötzlich ist sie wieder da und breitet sich fröhlich aus.

Im Frühjahr verkündete der damalige Chef der Atel-Gruppe, «dass wir bis 2025 ein neues Kernkraftwerk brauchen». Die Atel betreibt das AKW Gösgen. Danach liess die Axpo ihre geheimen AKW-Neubaupläne durchsickern. Ihr gehören Beznau I und II.

Ende vergangener Woche heizte die BKW Energie AG die Debatte neu an. Sie besitzt das AKW Mühleberg – das AKW, das einen Riss im Kernmantel hat. Andere AKW mit vergleichbaren Problemen hat man stillgelegt. Mühleberg soll bis 2030 am Netz bleiben. Dann wäre die Anlage 58 Jahre alt; konstruiert wurde sie, um dreissig Jahre lang Strom zu produzieren.

Atel, Axpo und BKW träumen davon, einen neuen Reaktor zu bauen. Ein potentes Ding mit 1600 Megawatt Leistung – Beznau I/II und Mühleberg bringen zusammen nur 1100 Megawatt. Die Branche sagt, wenn man die Sache nicht bald angehe, drohe ein Versorgungsengpass.

Das klingt altbekannt. Vor über dreissig Jahren ging es der Atomlobby blendend. Auf der ganzen Welt wurden fleissig AKW gebaut. Damals behauptete die Branche, es drohe «der Schweiz eine enorme Lücke in der Elektrizitätsversorgung». Also wurden sechs weitere Reaktoren geplant: zwei in Graben BE und je einer in Inwil LU, Rüthi SG, Verbois GE und Kaiseraugst AG. Die Projekte starben, der lokale Widerstand war zu heftig, es fehlten Investoren. Nur das Gerede vom knappen Strom überdauerte, weil man wenigstens Kaiseraugst durchstieren wollte.

Ende der achtziger Jahre zeichnete der Verband Schweizerischer Elektrizitätswerke (VSE) eine düstere Prognose: Selbst wenn Kaiseraugst gebaut werde, gebe es ab dem Jahr 2004/05 «einen nicht gedeckten Strombedarf von 1000 Megawatt». Kaiseraugst wurde nicht gebaut. Die Lichter sind nicht ausgegangen. Die Prognosen der Stromlobby sind nicht eingetroffen; jetzt droht, nötigt, erpresst sie wieder: Ihr werdet im Dunkeln sitzen, wenn ihr uns nicht gebt, was wir wollen. Doch was will die Stromlobby?

Die Branche weiss: Der Bau eines potenten Reaktors gäbe übel Lämpen und würde grauslich teuer. Ein deutsch-französisches Konsortium baut in Finnland ein neues AKW zum Festpreis von drei Milliarden Euro. Ein Novum in der Branche: Die AKW-Bauer wollten einfach irgendwo eins bauen, egal, wie viel sie drauflegen. Die nächste Anlage, die dasselbe Konsortium im französischen Flamanville bauen soll, dürfte wesentlich teurer werden. AKW bauen macht keinen Spass.

Was will die Stromlobby dann? Wie nebenbei liessen die BKW-Chefs verlauten: Es gebe neben der Option Kernenergie auch noch die Option für gasbefeuerte Anlagen. Und fügten an: Dabei dürfe die angekündigte CO2-Abgabe solche Anlagen «nicht zum vornherein aus der Wirtschaftlichkeit und Konkurrenzfähigkeit katapultieren».

Das sagten übrigens auch schon die Axpo- und Atel-Chefs.

Die Botschaft ist klar: Vergesst die CO2-Abgabe, und wir vergessen die Atomkraftwerke. Und plötzlich merkt man, dass der vermeintliche Fusspilz das Symptom eines umfassenderen Leidens ist: lebensbedrohlicher Energiediarrhö.