WTO: Der dicke Balken für die Fetten

Der Hunger nimmt zu, doch die Rezepte bleiben dieselben. Zehn Jahre nach dem Aufstand von Seattle wird Ende November [2009] in Genf wieder gegen die Welthandelsorganisation protestiert.

Die Grafik tauchte anlässlich des Welternährungsgipfels in vielen Medien auf. Sie zeigt die Zahl der Hungernden weltweit. Ab 1980 bewegte sich die Kurve abwärts und erreichte 1995 den Tiefpunkt von 780 Millionen. Seither ist sie wieder angestiegen – zuerst langsam, in den letzten Jahren dramatisch. Seit Mitte der neunziger Jahre also, seit weltweit neoliberale Freihandelsdogmen durchgesetzt werden, kommt die Nahrung immer weniger dort an, wo sie am meisten benötigt wird. In der gleichen Zeit stieg die Nahrungsmittelproduktion pro Kopf.
Die Welthandelsorganisation (WTO) will trotzdem an der Freihandelspolitik festhalten. WTO-Generalsekretär Pascal Lamy hofft, dass nächstes Jahr die Doha-Runde abgeschlossen werden kann, die eine weitere Liberalisierung der Märkte zum Ziel hat und seit Jahren blockiert ist. An der nächsten Konferenz, die vom 30. November bis 2. Dezember 2009 in Genf stattfindet, soll es nicht um Doha gehen. Organisationen von Attac über die Gewerkschaft Unia bis zur Antifa Bern rufen trotzdem zum Protest auf. «Wir gehen davon aus, dass Lamy informell versuchen wird, eine Einigung vorzubereiten, auch wenn das nicht auf dem Programm steht», sagt Thomas Braunschweig von der Erklärung von Bern (EvB).

Miese Bilanz

«Wir lehnen das Freihandelsmodell ab», argumentiert Valentina Hemmeler von der Westschweizer BäuerInnengewerkschaft Uniterre: «Offene Grenzen bedeuten, dass Landwirtschaften miteinander in Konkurrenz kommen, die völlig verschiedene Bedingungen haben. Die Bilanz von fünfzehn Jahren WTO ist alles andere als gut, was das Wohl der Bevölkerungen betrifft.»
AktivistInnen der weltweiten BäuerInnenbewegung Via Campesina aus Nepal, dem Kongo, Indonesien und anderen Ländern reisen nach Genf, einige werden danach an einer «Karawane» zum Klimagipfel in Kopenhagen teilnehmen. Am 28. November ist in Genf eine Grossdemonstration geplant, an den folgenden Tagen sollen Aktionen stattfinden. Valentina Hemmeler: «Wir wollen den Bauern und Bäuerinnen aus dem Süden die Entscheidung überlassen, gegen welche Firmen oder Institutionen sie protestieren wollen.»
Und was ist mit den Schweizer Bäuer­Innen? «Für viele ist das Thema WTO abstrakt», sagt Hemmeler. «Sie wissen zwar, dass es sie bedroht, aber es liegt ihnen nicht so nahe wie etwa der Milchpreis.» Die anderen Bauernorganisationen und die Bauernpresse hätten bisher kaum über die Proteste informiert: «Sie haben wohl Berührungsängste zu den Globalisierungsgegnern.»

Es gibt Antworten

«WTO raus aus der Landwirtschaft!», fordern viele Bewegungen rund um den Globus. Andere gehen noch weiter und lehnen die WTO als Ganzes ab. Etwa Nina (Name geändert), die sich in anarchistischen Kreisen gegen das Genfer Treffen engagiert. «Wir sind gegen die WTO. Sie dient allein den Reichen, die auf dem Markt mitspielen können.»
Es gibt Antworten auf die Hungerkrise. Thomas Braunschweig von der EvB erwähnt den Weltlandwirtschaftsbericht vom letzten Jahr. Dieser em­pfiehlt die Förderung von KleinbäuerInnen, Praxiswissen statt Grosstechnologie, Agrarökologie statt immer mehr Pestizide. Braunschweig: «Die armen Länder brauchen grösseren Handlungsspielraum, um selbst über ihre Landwirtschafts- und Ernährungspolitik zu entscheiden.»
Aus den Unterlagen zum Weltlandwirtschaftsbericht stammt eine andere aufschlussreiche Grafik. Sie prognostiziert, wer von der Doha-Runde im Landwirtschaftsbereich profitieren würde: ein grosser, dicker Balken für die Industrieländer – sie könnten 55 Milliarden US-Dollar an Einkommen zulegen. (Doch werden es kaum die LandwirtInnen sein, die profitieren, sondern Lebensmittelindustrie und Handel.) Und die Entwicklungsländer? Auf den ersten Blick übersieht man sie schlicht. Sie kleben knapp unter der Nulllinie mit einem Verlust von 63 Millionen.
Am 30. November 1999 erschreckten unerwartet heftige Proteste gegen die WTO-Konferenz in Seattle die Weltöffentlichkeit. Finden sie zehn Jahre später eine Fortsetzung?

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