Berner Atomstrom: Schritte vor dem Ausstieg

Nr. 17 –

Die neue rot-grüne Regierung im Kanton Bern will ihr Wahlversprechen einlösen: Bis 2012 soll das Berner AKW Mühleberg vom Netz. Das ist machbar, und es gibt Alternativen.

Das AKW Mühleberg, der Betonklotz mit dem rot-weiss gestreiften Hochkamin, produziert seit mehr als dreissig Jahren Strom und Skandale. Wegen Rissen im Reaktormantel wurde zum Beispiel die Betriebssicherheit immer wieder infrage gestellt. AtomkritikerInnen liessen am vergangenen Samstag 3000 schwarze Ballone vor dem Kraftwerk westlich von Bern in den Himmel steigen. Sie wollten aus Anlass des zwanzigsten Jahrestages von Tschernobyl zeigen, was mit Radioaktivität im Falle einer Katastrophe passiert: Sie wird vom Winde verweht.

Vor der Aktion hatte der grüne Waadtländer Nationalrat Luc Recordon auf die schweren gesundheitlichen Folgen des Reaktorunfalls von Tschernobyl hingewiesen, sein Basler Kollege Rudolf Rechsteiner fluchte über die «Kriminellen der Atomindustrie». Die linksgrüne Berner Stadträtin Karin Gasser erinnerte daran, dass die Stadt Bern den Ausstieg aus der Atomkraft in der Stadtverfassung verankert habe. Nun erwarte sie von der neuen rot-grünen Regierung des Kantons Bern konkrete Schritte, um das Wahlversprechen zu erfüllen: Mühleberg soll bis 2012 vom Netz.

In den letzten Jahren war es um das AKW Mühleberg still geworden. Die herbe Niederlage mit der Initiative «Bern ohne Atom» im Jahr 2000 hatte den AKW-GegnerInnen den Wind aus den Segeln genommen. Viele wandten sich enttäuscht ab. Sie überliessen das Feld den Bernischen Kraftwerken AG (BKW), die Jahr für Jahr neue Rekordzahlen über das AKW kommunizierten und im Februar 2005 beim Bundesrat das Gesuch um eine unbefristete Betriebsbewilligung einreichten. Der frische Wind, den der rot-grüne Wahlerfolg gebracht hat, war für die AKW-GegnerInnen wichtig. Plötzlich scheint es doch möglich, dass Mühleberg in wenigen Jahren abgestellt wird.

Wie schafft der Kanton Bern den Atomausstieg?

Die weitere Privatisierung der BKW muss gestoppt werden, der Kanton seinen Anteil von 52,5 Prozent und damit den entscheidenden Einfluss behalten. Das vom Regierungsrat vorbereitete BKW-Beteiligungsgesetz ist noch nicht ganz vom Tisch. In der Vernehmlassung hatten sich die bürgerlichen Parteien SVP und FDP sowie die BKW für die Reduktion des Kantonsanteils auf 34 Prozent ausgesprochen. Im abtretenden Regierungsrat überlegt man nun, ob man das Geschäft noch bringen soll - oder ob man es der neuen Regierung überlässt, die Vorlage zu beerdigen.

Alle rot-grünen Regierungsräte sind GegnerInnen weiterer Privatisierungsschritte und bei ihrer Basis in der Pflicht. Sollte der Regierungsrat deshalb versucht sein, die Vorlage noch schnell durchzuboxen, dann geht der Berner SP-Grossrat Rudolf Käser davon aus, dass der Grosse Rat das Gesetz zurückweist: «Ich bin zuversichtlich, dass wir mit einigen Stimmen aus dem bürgerlichen Lager rechnen können.» Andernfalls, so Käser, sei mit einem rot-grünen Referendum zu rechnen.

Der Kanton muss sich dem Gesuch der BKW um die unbefristete Betriebsverlängerung widersetzen. Das Problem ist: Dieses liegt zur Überprüfung beim Departement Uvek von Bundesrat Moritz Leuenberger. Das Atomgesetz macht das Bewilligungsverfahren zur Bundesangelegenheit, womit der Einfluss der Kantone beschränkt ist. Allerdings muss der Bund die Stellungnahme des Standortkantons einholen. Bernhard Pulver, frisch gewählter Regierungsrat der Grünen, sagt dazu: «Von einer rot-grünen Regierung kann man keine Zustimmung zur unbefristeten Betriebsverlängerung erwarten. Das widerspricht unseren Grundsätzen.»

Beim Uvek gibt man sich bedeckt. Ein Sprecher kann noch nicht einmal sagen, wann mit einem Entscheid zu rechnen sei. Ein Vertreter der atomkritischen Organisation Fokus Anti-Atom geht davon aus, dass ein Entscheid frühestens im Herbst dieses Jahres fallen wird. Er schätzt den Einfluss des Kantons auf den Entscheid als eher gering ein. Fokus Anti-Atom versuche auf Expertenebene, die Diskussion über Stilllegungskriterien zu beeinflussen. Solche Kriterien gibt es bisher nicht - und sollte es in der Optik der BKW auch nie geben, würden sie doch ihren Spielraum massiv einschränken. Die Bernischen Kraftwerke AG rechneten damit, dass Mühleberg noch bis 2030 Strom produziert.

Der Ausstieg muss zwingend mit alternativen Strategien gekoppelt werden. Diese müssen darlegen, wie die von der BKW prognostizierte Stromlücke zu schliessen ist. Das AKW Mühleberg produziert heute vierzig Prozent des BKW-Stroms. Für alternative Szenarien kann sich die neue Regierung auf Vorarbeiten des bürgerlich dominierten Regierungsrats abstützen. Dessen Energiestrategie ohne Atomstrom fand zwar vor dem Grossen Rat keine Gnade. Die Lobbyisten der BKW forderten explizit die Berücksichtigung der Atomenergie.

Doch der grüne Regierungsrat Pulver und SP-Grossrat Käser vertreten schon seit Jahren eine Strategie, die auf eine Kombination von höherer Energieeffizienz und erneuerbaren Energien setzt. Eine derartige Strategie verfolgt zum Beispiel der Kanton Basel-Stadt, der seinem Elektrizitätswerk verboten hat, Atomstrom einzukaufen. «Diese Strategie müsste dann den BKW mittels Leistungsauftrag vorgeschrieben werden», sagt Käser.

Die BKW - ein klassischer Monopolist, der bislang eher der Politik Vorgaben machte als umgekehrt - müssen unter rot-grüner Regierung umlernen. Bislang konnten sie sich nicht vorstellen, eine zentrale Grossanlage wie das AKW Mühleberg durch eine dezentrale Produktion mit unterschiedlichen Energieformen zu ersetzen. Dies obwohl Strom aus Holz, aus der Wärme-Kraft-Kopplung, aus der Verbrennung von Abfällen auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten immer attraktiver wird.

Für den Basler SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner ist der für das Marketing zuständige Vizedirektor der BKW, Martin Pfisterer, untragbar: «Er baut Windkraftanlagen im Jura und Sonnenkollektoren auf dem Stade de Suisse und verkauft dies als innovativen Beitrag der BKW an die Energieversorgung. Gleichzeitig hintertreibt er aber alle Versuche, kostendeckende Einspeisevergütungen im Stromversorgungsgesetz zu verankern.» Er verhindere damit jeden energiepolitischen Aufbruch. Köpfe sollen rollen - mit dieser Forderung steht Rechsteiner allerdings eher alleine da. Personelle Konsequenzen sollten eher die Ausnahme bleiben, sagt zum Beispiel Rudolf Käser. Man setze stattdessen darauf, dass viele fähige BKW-Technokraten anpassungsfähig genug seien, «auch unter veränderten politischen Bedingungen ihre volle Leistung zu erbringen».

SP-Grundsatzpapier

Jedes Grundsatzpapier zur Zukunft der Energieversorgung von links-grüner Seite ist immer auch ein Ausstiegsszenario aus der Atomenergie, die in der Schweiz zurzeit vierzig Prozent des Stroms liefert. Die Stromwirtschaft warnt vor einem Ausstieg mit dem Hinweis auf entstehende Versorgungslü- cken. Die GegnerInnen erwidern, dass wegen des Ausfalls des AKW Leibstadt im letzten Sommer keine einzige Glühbirne nicht gebrannt habe.

Am Montag präsentierte die SP ein Strategiepapier ihres Atomstromexperten, des Basler Nationalrats Rudolf Rechsteiner. Sein Fazit: Eine Mischung von Energiesparen und erneuerbaren Energien reiche aus, um die Stromversorgung der Schweiz langfristig zu sichern. Strom aus Wärmekraftkoppelung und der Import von Strom aus Windenergie sind für Rechsteiner wichtige Pfeiler eines alternativen Energiekonzeptes. Vor allem der Windenergie gehöre die Zukunft. An guten Standorten in Europa liessen sich genug Windturbinen installieren, um die AKWs zu ersetzen. Windenergie sei heute konkurrenzfähig, was sich auch in den hohen Zuwachsraten zeige. Grosse Stromunternehmen hätten diesen Trend erkannt. Eine Axpo-Tochterfirma erwarb in Norwegen Bezugsrechte für tausend Megawatt Windenergie. Wird die Schweiz in Sachen Strom vom Ausland abhängig? Das sei schon heute mit den namhaften Bezugsrechten für französischen Atomstrom der Fall, zeigt Rechsteiner auf. Bedenklich sei das nicht. Auch Strom aus Kehricht und Strom aus Biogas könnten in wenigen Jahren einen namhaften Beitrag zur Deckung der Energieversorgung leisten. Für Strom aus Sonnenenergie und Geothermie rechnet Rechsteiner hingegen noch mit einer längeren Pionierphase. Der Basler Nationalrat geht davon aus, dass mit sparsamen Geräten und mit neuen Baustandards die Energieeffizienz zu verbessern sei. Ziel dieser Massnahmen sei jedoch nicht nur der Ausstieg aus der Atomkraft, sondern auch die Stabilisierung von CO2-Emissionen.

Ist eine Alternative zum Atomstrom zu finanzieren? Alternative Energien seien inzwischen konkurrenzfähig, schreibt die SP. Jetzt muss die Partei nur noch die Energiekonzerne von ihrem Konzept überzeugen. Deren betriebswirtschaftliches Denken ist auf Gewinnmaximierung ausgerichtet - was unter anderem erklärt, warum sie ihre alten, abgeschriebenen Atomreaktoren möglichst lange weiter betreiben wollen.