Economiesuisse: Sie flüstern wieder lauter

Nr. 35 –

Just zu den kommenden Wahlen schwingt sich der Wirtschaftsdachverband zu neuer Grösse auf. Eine kurze Geschichte der Economiesuisse, die mit weniger Geld mehr erreichen will.

Economiesuisse, der Dachverband der Wirtschaft, erfindet sich neu. Vorbei die Zeiten, da Vertreter des Werkplatzes wie Nicolas Hayek über den Verband schimpften, weil er allzu einseitig die Interessen des Finanzplatzes unterstützte. Auch der wichtige Verband der Maschinenindustrie Swissmem bleibt trotz der im vergangenen Jahr eingereichten Kündigung Mitglied der Economiesuisse. Economiesuisse-Präsident Gerold Bührer und sein Vize Johann Schneider-Ammann, Präsident von Swissmem - beide sind zudem FDP-Nationalräte - , verkörpern diese Aussöhnung.

Fortan will man mit verschlankten Strukturen wieder gemeinsam zuschlagen und mehr Mittel in die Kommunikation investieren. Economiesuisse will nur noch Schwerpunktthemen setzen, die die gesamte Wirtschaft betreffen. Die NZZ wertet dies als einen Erfolg der Industrie beziehungsweise ihres Vertreters Schneider-Ammann.

Economiesuisse - im Jahr 2000 aus der Fusion von Vorort und Wirtschaftsförderung hervorgegangen - muss sich an der Bedeutung der Vorläuferorganisation Vorort messen lassen und erscheint in diesem Vergleich zwangsläufig wie ein Zwerg neben einem Riesen. Dazu ein bisschen Geschichte: Der Vorort, so hiess der Schweizerische Handels- und Industrieverein im Alltag, war bis zum Ende des Kalten Krieges ein mächtiger Einflüsterer des Bundesrates. Er formulierte die Aussenwirtschaftspolitik nach dem Motto «Was gut ist für die Wirtschaft, ist auch gut für die Schweiz». Er unterstützte die bürgerlichen Parteien mit grosszügigen Geldbeiträgen und überliess ihnen die Federführung bei politischen Kampagnen. Seine Vertreter, wie zuletzt etwa der FDP-Nationalrat Ulrich Bremi, waren politische Schwergewichte. Sie konnten im politischen Prozess Kompromisse aushandeln, die für die gesamte Wirtschaft galten.

Direkter Eingriff in die Politik

Mit dem Ende des Kalten Krieges veränderte sich auch das Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft. Der Vorort griff direkter in die Politik ein. Er verlangte weitgehende Anpassungen an die neuen Bedingungen, wie zum Beispiel marktwirtschaftliche Reformen, weniger Sozialstaat und weniger Steuern. (Economiesuisse steht also mit ihrer jüngsten Studie «Wer finanziert den Staat in der Schweiz?» ganz in dieser Tradition [vgl. «Steuerrechnung à la Economiesuisse»]). Doch das forsche Auftreten gegen aussen verschleierte nur, dass die Unternehmen keineswegs geschlossen auf die neue Weltordnung reagierten. Die drei Sektoren Exportindustrie, Finanzplatz inklusive Chemie und Binnenwirtschaft hatten nicht die gleichen Interessen. Das zeigte sich etwa bei der EWR-Debatte 1992: Die Exportwirtschaft drängte auf eine Beteiligung am europäischen Wirtschaftsraum, der Finanzplatz hingegen wollte die Regulierungsautonomie behalten, und die Binnenwirtschaft war skeptisch. Es dauerte nach der Ablehnung eines EWR-Beitritts mehr als zehn Jahre, um alle Interessen wieder unter einen Hut zu bringen. Die bilateralen Verträge sind das Ergebnis davon: Sie erleichtern der Exportindustrie den Zugang zum EU-Raum. Solange alle Branchen gut damit fahren, ist jeder Debatte um einen EU-Beitritt die materielle Basis genommen.

Geregelter Dissens

Economiesuisse will zwar die Stimme der Wirtschaft sein, weiss aber, dass sie den unterschiedlichen Interessen nicht immer gerecht werden kann. Man hat sich für diesen Fall auf den geregelten Dissens geeinigt: Branchenverbände sollen ihre Interessen und abweichenden Positionen vertreten können. Zwei Beispiele: Der Swissmem-Präsident Schneider-Ammann verlangt nicht nur finanzielle Mittel für die Grundlagenforschung, auch die anwendungsorientierte Forschung soll aus dem Bildungsetat finanziert werden. Und: Die Preise für Energie sollen tief bleiben und zu den tiefsten im OECD-Raum gehören - was natürlich der Elektrizitätswirtschaft, die ebenfalls Mitglied der Economiesuisse ist, nicht gefällt.

Hingegen ist die Swissmem in der Frage der Parallelimporte auf den Kurs der Economiesuisse eingeschwenkt und unterstützt nun deren ablehnende Haltung, ohne jeden Druck vonseiten der Pharmaindustrie natürlich, wie an einer Medienveranstaltung betont wurde. Ganz im Gegensatz zur von den Schweizer Multis finanzierten Stiftung Avenir Suisse, die gleichentags aus ordnungspolitischen Gründen auf die Zulassung von Parallelimporten drängte.

Aber nicht nur die Europafrage war eine Belastung für den Dachverband der Wirtschaft. Auch die innenpolitischen Verwerfungen der Folgejahre wirkten sich direkt auf die Economiesuisse aus. So geriet Andres Leuenberger, ehemaliger VR-Vizepräsident von Roche, der den Vorort seit Mitte der neunziger Jahre geleitet sowie eine «Schocktherapie» für die Wirtschaft verlangt hatte, im Jahr 2001 als Verwaltungsrat der Swissair in den Strudel des Swissair-Debakels - und mit ihm die wirtschaftliche Elite des Freisinns. Dazu kam der interne Druck durch den Aufstieg des wirtschaftsliberalen Flügels der SVP innerhalb der Wirtschaftsverbände.

Nach Leuenbergers Abgang folgte ein mittelständischer Unternehmer (Ueli Forster) an die Verbandsspitze. Doch er war viel zu weit von der Politik entfernt, um Einfluss nehmen zu können. Sein designierter Nachfolger Andreas Schmid verzichtete nicht ganz freiwillig noch vor Amtsantritt auf das Präsidium, nachdem bekannt geworden war, dass der Kuoni-Verwaltungsratspräsident hinter dem Rücken der Geschäftsleitung Fusionsverhandlungen mit einer britischen Firma geführt hatte. Mit dem FDP-Nationalrat Gerold Bührer, der wiederum als FDP-Präsident zurückgetreten war, weil er nicht auf sein lukratives Mandat bei der Rentenanstalt / Swiss Life verzichten wollte, gelangte schliesslich wieder ein FDP-Politiker an die Spitze. Und mit dem Unternehmer Schneider-Ammann ein weiterer. Zudem geht in diesen Tagen die Ära des Direktors Rudolf Ramsauer zu Ende, eines zurückhaltenden Diplomaten - an seine Stelle rückt Pascal Gentinetta, der mit dem Steuerpapier schon mal gezeigt hat, in welche Richtung die Economiesuisse Kurs nehmen will.

Ein Verband wie die Economiesuisse verschafft sich auch dann Gehör, wenn es auf der Führungsetage zu Turbulenzen kommt. So stellen Parlamentarier fest, dass es Economiesuisse gelungen sei, die bürgerlichen VertreterInnen in der wichtigen Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) wieder auf ihre Linie zu bringen. Nur reicht dies nicht mehr unbedingt aus, um Mehrheiten zu schaffen. So ist zum Beispiel das für die Economiesuisse sehr wichtige Steuerdossier voller Widerhaken. Den satten bürgerlichen Mehrheiten zum Trotz lehnte die Stimmbevölkerung in der Folge das Steuerpaket 2004 ab. Die ebenfalls forcierte Regelung der Mitarbeiterbeteiligung wurde nach einer Referendumsdrohung zurückgezogen, und auch die Unternehmenssteuerreform 2 wird an der Urne einen schweren Stand haben. Denn davon profitieren nur gerade 70 000 Personen mit Aktienbesitz. Da nützt es bislang auch wenig, wenn Economiesuisse bei Bundesrat Hans-Rudolf Merz immer ein offenes Ohr hat.

Steuerrechnung à la Economiesuisse

Mit der letzte Woche publizierten polemischen Studie «Wer finanziert den Staat in der Schweiz?» versucht Economiesuisse in Steuerfragen die Deutungshoheit zu erobern. Wichtig ist für sie die Kernaussage, dass die Reichen und die Unternehmen den Staat finanzieren und damit entscheidend zur Solidarität in der Gesellschaft beitragen.

Die Studie unterschlägt allerdings einiges. So mögen die obersten 20 Prozent der Bevölkerung vielleicht für 35 Prozent der Staatseinnahmen aufkommen, sie beanspruchen aber auch 40 Prozent der Einkommen. Zudem besitzen sie 85 Prozent des Vermögens. Solidarisch wäre es also, wenn sie entsprechend diesen Anteilen auch für die Finanzierung der staatlichen Ausgaben aufkämen.

Methodisch fragwürdig ist ebenfalls, die Unternehmen (es sind 300 000 insgesamt) und die reichsten zwanzig Prozent der Bevölkerung einfach zusammenzulegen, um die Aussage machen zu können, dass die beiden Gruppierungen die Mehrheit der Staatseinnahmen generieren. Denn bei den Unternehmen gibt es ähnliche Unterschiede wie bei der Bevölkerung. Einige verdienen gut und zahlen Steuern, andere halten sich nur knapp über Wasser.

Auch hat Economiesuisse in ihrer Studie wichtige obligatorische Kostenblöcke wie die Pensions- und Krankenkassenbeiträge einfach ausgeblendet - nur weil sie keine Steuern im engeren Sinne darstellen. Besonders die Krankenkassenprämien sind jedoch alles andere als solidarisch - sie sind für alle gleich hoch.

Schliesslich täuscht die Momentaufnahme ebenso darüber hinweg, dass die Ungleichheit in den letzten Jahren zugenommen hat. Die hohen Gehälter der Manager haben die Einkommensschere deutlich geöffnet und den Solidaritätsgedanken arg strapaziert.

Economiesuisse hat bereits angekündigt, in einem zweiten Schritt die Verteilung der Staatsausgaben unter die Lupe zu nehmen. Diese «Resultate» dürften noch polemischer interpretiert werden. Bereits heute werden in der Debatte um die Flat-Rate-Steuer im bürgerlichen Milieu Stimmen laut, die keine BürgerInnen wollen, die keine Steuern zahlen. Das endet dann entweder bei der Kopfsteuer - wie von FDP-Exponenten gefordert - oder beim Stimmrecht entsprechend den Einkommens- und Vermögensverhältnissen wie in feudalen Verhältnissen.