Bundesanwaltschaft: Zurück zum Fichenordner?

Nr. 37 –

Komplott hin oder her: Wozu braucht es eigentlich eine Bundesanwaltschaft? In ihrer Geschichte hat sie meistens Flüchtlinge und Linke verfolgt.

Der Feind eines Feindes ist nicht zwingend ein Freund. Richtig ist: Bundesrat Christoph Blocher versucht, die Bundesanwaltschaft unter seine Kontrolle zu bringen. Darob sollte man aber die Rolle von Valentin Roschacher und seiner Bundesanwaltschaft nicht vergessen. Denn um sie ging es ja im hundertseitigen Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates. Ein Blick zurück: Roschacher präsentierte sich, als er vor sieben Jahren den Job übernahm, als «Kenner des organisierten Verbrechens». Er begann mit einer Handvoll Leute und wollte die Bundesanwaltschaft bis 2010 auf eine Truppe von 1000 Personen ausbauen.

Das Parlament fand es toll. Es beauftragte die Bundesanwaltschaft, sich um Geldwäscherei, organisierte Kriminalität und Wirtschaftskriminalität zu kümmern. Roschacher versprach selbstbewusst, er werde jährlich Dutzende von Fällen zur Anklage bringen.

Doch er irrte sich tüchtig. 2004 gab es nur sechs Anklagen, 2005 nur sieben, obwohl Roschacher grossspurig deren zwanzig versprochen hatte. Nun ist die Bundesanwaltschaft aber kein gewöhnlicher Betrieb, der einfach anstelle von Schrauben Anklagen produziert. Vielmehr ist sie die am stärksten politisch ausgerichtete Justizbehörde, die es in diesem Land gibt. Sie wurde im 19. Jahrhundert gegründet, war zuständig für Delikte wie verbotener Nachrichtendienst, Sprengstoffmissbrauch oder Falschmünzerei. Sie hatte aber auch präventive Aufgaben und überwachte mit Unterstützung der Bundespolizei Flüchtlinge und linke Bewegungen - weil die Mächtigen im Land damals glaubten, die Schweiz werde von links und vom Ausland her unterwandert. Das blieb so bis zur Fichenaffäre, als 1989 aufflog, dass die Bundesanwaltschaft zusammen mit der Bundespolizei jahrelang rund 900 000 Personen und Organisationen aus dem linken Umfeld systematisch bespitzelt hatte.

In der Folge wurde die Bundesanwaltschaft neu organisiert, sie sollte sich auf konkrete Delikte konzentrieren und nicht mehr auf präventive Überwachung (dieser Teil wurde neu beim Bundesamt für Polizei angesiedelt).

Was ist Wirtschaftskriminalität?

Die Bundesanwaltschaft brauchte nun ein neues Bedrohungsszenario. Was lag näher, als sich in der globalisierten Welt des globalisierten Verbrechens anzunehmen? Doch was ist eigentlich organisierte Kriminalität, Geldwäscherei, Wirtschaftskriminalität? Ein Strafrechtsprofessor meinte auf die Frage, wie er Wirtschaftskriminalität erklären würde: «Zum Glück hat mich das noch niemand gefragt.» Der Rechtsprofessor kann es nicht sagen, alle andern glauben es aber zu wissen. In Filmen schaffen sie es schliesslich, die kompliziertesten kriminellen Vereinigungen in ein, zwei Stunden zu knacken.

Der Alltag sieht jedoch anders aus. Das Gesetz zur Bekämpfung der Geldwäscherei ist seit Mitte der neunziger Jahre in Kraft. Es ist kein einziger Fall bekannt, wo wirklich eine grosse mafiöse Organisation verurteilt werden konnte. Wenn es zu Verurteilungen kam, traf es unbedeutende Delinquenten, die zum Beispiel Geld aus kleinen Drogendeals in Blumentöpfen versteckt hatten. Bei der Wirtschaftskriminalität könnte man den Swissair-Fall anführen. Nach dem Gefühl vieler Leute passierten da Schweinereien - doch das Gefühl reicht nicht. Ohne Beweise darf in einem Rechtsstaat niemand verurteilt werden. Was nicht heisst, dass die Betreffenden schuldlos sind.

Oder der Fall Yukos, der in der ganzen «Geheimplan»-Debatte immer wieder auftaucht. Es geht dabei um das Imperium des russischen Oligarchen Michail Chodorkowski. Ein russisches Gericht verurteilte Chodorkowski und zerschlug sein Imperium - ein Akt politischer Justiz. In diesem Zusammenhang stellte Russland ein Rechtshilfegesuch, die Bundesanwaltschaft kümmerte sich darum, liess Milliarden von Yukos-Geldern einfrieren, wurde dann aber vom Bundesgericht gestoppt. Egal, ob Chodorkowski ein Krimineller oder ein genialer Geschäftsmann ist, wenn die Bundesanwaltschaft mit ausländischen Behörden zusammenarbeiten muss, die die Justiz missbrauchen, wird sie ebenfalls politisch instrumentalisiert.

Strafrecht löst keine Probleme

Seit einigen Jahren ist es unter PolitikerInnen beliebt, grosse Probleme übers Strafrecht zu lösen. Sie folgen der Annahme, dass ein Phänomen, wenn es erst einmal unter Strafandrohung verboten sei, von selbst verschwinde. Tut es aber nicht, weil Strafrecht vor allem «die Kleinen und Dummen trifft», wie es Niklaus Oberholzer, Präsident der St. Galler Anklagekammer, auf den Punkt bringt. «Je weniger Gesellschaft und Wirtschaft in der Lage sind, die ihnen innewohnenden Selbstzerstörungskräfte zu bändigen, desto mehr erschallt der Ruf nach einfachen Lösungen», warnt er: «Polizei und Justiz sollen die Sicherheit schaffen, die es noch nie gegeben hat und die es nicht gibt; denn Sicherheit ist nicht in erster Linie ein technisches, sondern ein gesellschaftspolitisches Problem.»

Die Justiz ist deshalb immer mehr mit Erwartungen konfrontiert, die sie nicht erfüllen kann. Die Schlussfolgerung ist nicht, dass man die Erwartungen hinterfragt - sondern die Justiz als solches. Und da schliesst sich der Bogen zu den Angriffen von Bundesrat Blocher auf die Justiz. Hat man erst ihre Glaubwürdigkeit untergraben, kann man sie leichter an die Kandare nehmen und instrumentalisieren. Dasselbe gilt auch für die Bundesanwaltschaft: Blocher demontiert sie, um sie unter seine Kontrolle zu bringen. Ein gefährliches Unterfangen bei einer Institution mit dieser Vergangenheit.