«Das Buch der verbrannten Bücher»: Die schwarze Liste des Bibliothekars

Nr. 49 –

Volker Weidermanns Recherche über die von den Nazis verbrannte Literatur fördert viel Unbekanntes zutage.


Die Bilder sind von trauriger Berühmtheit: Am Abend des 10. Mai 1933 lodern auf dem Berliner Opernplatz zehn, zwölf Meter hohe Flammen. Die Nazis verbrennen «undeutsche» Bücher, um Mitternacht hält Propagandaminister Josef Goebbels eine seiner Hassreden. In vielen anderen deutschen Städten - darunter fast alle Universitätsstädte - brannten ebenfalls Bücher. Dagegen regte sich kaum Widerstand. Universitätsleitungen im Ornat, Professoren, StudentInnen, PassantInnen und Schaulustige nahmen an diesen Freudenfeuern der Barbarei teil.

Welche Werke wurden verbrannt? Wie kam es, dass so kurz nach der Machtübernahme der Nazis «einsatzbereite» schwarze Listen vorlagen? Volker Weidermann, Feuilletonchef der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung», stellt im Einführungskapitel seines «Buches der verbrannten Bücher» knapp und klar die Hintergründe dar. Die Idee zur Bücherverbrennung stammte aus der «Deutschen Studentenschaft», die schon seit Sommer 1931 nach demokratischer Wahl von einem Nazi geleitet wurde. Als die NSDAP am 30. Januar 1933 die Macht übernahm, überboten sich grosse Teile der deutschen Öffentlichkeit in Treuebezeugungen und demonstrierten ihren Eifer, an der neuen Ordnung mitzuwirken. Die Studentenschaft wollte mit einer Grossaktion ihre Gesinnung zur Schau stellen, so entstand die Idee der Bücherverbrennung. Bücher und AutorInnen sollten verschwinden - und vergessen werden. Die Zeit drängte, deshalb fragte die gleichgeschaltete Studentenorganisation den 29-jährigen, völkisch gesinnten Bibliothekar Wolfgang Herrmann an, der schon Listen mit unbotmässigen Büchern veröffentlicht hatte. Seine Liste von 1933 beinhaltete 131 Namen von Autorinnen und Autoren, 94 davon deutsch- und 37 fremdsprachig.

Dürftige Quellenlage

Es ist das grosse Verdienst von Volker Weidermann, Biografisches zu all diesen Autorinnen und Autoren zusammengetragen und Leseeindrücke niedergeschrieben zu haben. Bekannten Autorinnen und Autoren wie Anna Seghers, Irmgard Keun, Joseph Roth, Kurt Tucholsky, Bertolt Brecht, Klaus und Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger widmet er dabei absichtlich weniger Raum als den vergessenen. Seine umfangreichen Recherchen fördern viel Unbekanntes zutage. Wenige Beispiele müssen hier genügen: Die ungarische Staatsangehörige Maria Leitner (1892-1941), die auf Deutsch schrieb, ging in den zwanziger Jahren in die USA, arbeitete als Putzfrau, Serviererin, Haushaltshilfe, reiste auf Inseln, wohin keine JournalistInnen reisen durften, etwa auf die französische Gefängnisinsel Cayenne, nach Haiti und Curaçao. Sie schrieb den Reportageroman «Hotel Amerika» (1930) und das Reportagebuch «Eine Frau reist durch die Welt» (1932). Sie hoffte auf die Revolution. Ihre Spur verliert sich 1941 in Marseille «Wahrscheinlich ist sie verhungert», schliesst der Abschnitt über sie lakonisch.

Der Romanautor Ernst Ottwalt (1901-1943), nach dem Ersten Weltkrieg rechter Aktivist und Freikorpskämpfer, wandelte sich nach einer Begegnung mit Brecht zum Kommunisten. Er floh in die Sowjetunion, wo er 1943 im Lager starb. Ihm wurde unter anderem sein 400 Seiten umfassendes Werk «Deutschland erwache! Geschichte des Nationalsozialismus» (1932) zum Verhängnis. Ottwalt war eine zwiespältige Figur: Spitzelte er in Moskau für die Gestapo? Auch solche dunklen Zonen versucht Weidermann auszuleuchten. Allein, die Quellenlage ist oft dürftig, vieles ist unwiederbringlich verloren. Wir lesen im «Buch der verbrannten Bücher» auch vom kommunistischen Autor und Journalisten Albert Hotopp (1886-1942), dessen kämpferischer Seemannsroman «Fischkutter H.F. 13» eine selbstbewusste weibliche Hauptfigur in Szene setzt. Hotopp entkam zwar 1934 nach Moskau, fiel jedoch dort 1942 einem Erschiessungskommando Stalins zum Opfer.

Gegen das Vergessen

Weidermann spürt zahlreichen unbekannten jüdischen, pazifistischen und sozialistischen Autorinnen und Autoren nach. Eine, zwei, drei Seiten umfassen die Abschnitte über sie: wertvolles Grundlagenmaterial, das zu vertiefter Beschäftigung mit diesen Vergessenen einlädt. Er lässt aber auch jene nicht beiseite, die wir nicht auf Anhieb als «verbrannte Dichter» einstufen würden. Auf Wolfgang Herrmanns schwarzer Liste stand aus schleierhaften Gründen etwa Fritz Bley (1853-1931), ein nationalistischer Autor, dessen Jagdgedichte nun bitte ewigem Schweigen anheimfallen mögen: «Ein Wildgraf ist der Auerhahn / Er haust auf steilen Höh’n / Und hüb’ im Lenz die Balz nicht an / Wär’ nie er zu erspäh’n».

Nicht wenige auf der Liste waren Anpasser wie Erich Ebermayer (1900-1970). Er schrieb zwar während der Weimarer Republik Novellen voller schwuler Helden, wurde aber im Dritten Reich zum gefragten Drehbuchautor, erhielt 1936 von Goebbels den Staatspreis und blieb auch nach 1945 im Filmgeschäft. Er hatte sich gut auf die neue Ordnung eingestellt, genau wie der Erfinder der «Biene Maja», -Waldemar Bonsels (1880-1952), der auf die Liste geraten war, weil er in seiner Autobiografie (1931) ein jüdisches Mädchen positiv schilderte. Im Reich schrieb er weiter, «zunächst heiter-beschauliche Harmlosigkeitserzählungen und dann Essays und Bücher über Chris-tus, Novalis und die Juden. Schriften, die sehr im Sinn des neuen Regimes waren.»

Weidermann schreibt, dass es den Nazis nicht gelungen sei, die Erinnerung an diese Autorinnen und Autoren auszulöschen. Angesichts der grossen Zahl völlig Vergessener unter diesen 131 Namen stellt sich die Frage, ob dem wirklich so ist. Zwar hat der Georg-Olms-Verlag im Frühjahr die ersten zehn Bände seiner «Bibliothek der verbrannten Bücher» herausgegeben, aber die grosse Mehrheit der 1933 «ausgemerzten» Werke dürfte noch für lange Jahre höchstens antiquarisch und mit grossem Glück aufzuspüren sein.

Volker Weidermann: Das Buch der verbrannten Bücher. Kiepenheuer & Witsch. Köln 2008. 253 Seiten. Fr. 34.50

«Bibliothek der verbrannten Bücher» im Georg Olms Verlag, Hildesheim.