Afghanistan: Karzais versteckte Urnen

Nr. 41 –

In Kabul werden die Stimmen der Präsidentschaftswahlen nachgezählt. Doch Europa und die USA haben ihren Präsidenten längst gekürt.


Gut sechs Wochen nach der afghanischen Präsidentschaftswahl steht das Ergebnis nach wie vor aus. Angesichts der wirren Auszählungsprozeduren wird auch kaum je ein glaubwürdiges Resultat auf dem Tisch liegen.

Nach einem langen politischen Tauziehen hat die afghanische Wahlkommission (IEC) mit einer teilweisen Neuauszählung jener Urnen begonnen, bei denen sie Wahlbetrug vermutet. Dabei geht es um 3498 von landesweit insgesamt 18 877 Wahlurnen, in denen entweder auf mehr als 95 Prozent der Stimmzettel derselbe Name stand oder in denen mehr als 600 Stimmen lagen. Diese Nachzählung soll laut Wahlkommission, die immer schon mehr auf die Geschwindigkeit als auf die Qualität von Auszählungen gesetzt hat, in der kommenden Woche abgeschlossen werden.

Bereits am 16. September hatte die IEC das provisorische Endergebnis verkündet: 54,6 Prozent für Amtsinhaber Hamid Karzai, 27,8 für seinen stärksten Herausforderer Abdullah Abdullah. Damit verletzte die Wahlkommission ihre eigenen Gesetze. Sie hätte abwarten müssen, bis die Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle eingegangenen Einsprüche bearbeitet hat. Und das ist bis heute noch nicht der Fall. Zudem sind 726 der Einsprüche laut ECC dermassen schwerwiegend, dass sie das Wahlergebnis beeinflussen könnten.

Das Gesicht wahren

Auch nach Aussagen der sonst eher zurückhaltenden EU-WahlbeobachterInnen sind 1,5 Millionen der offiziell 5,9 Millionen abgegebenen Stimmen «verdächtig»; drei Viertel von ihnen seien Karzai zugute gekommen. Doch möglicherweise liegt die Fälschungsquote deutlich höher. Der WOZ wurde aus der Umgebung Karzais mitgeteilt, nur 2 bis 2,5 Millionen Menschen seien tatsächlich zur Wahl gegangen. Das würde bedeuten, dass 3,4 bis 3,9 Millionen Stimmen gefälscht worden sind.

Das bestätigt auch Peter Galbraith, der bisherige stellvertretende Leiter der Uno-Mission in Afghanistan (Unama), den Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon inzwischen gefeuert hat. In der «Washington Post» schrieb er, dass in mehreren Provinzen, darunter auch Kandahar, vier- bis zehnmal so viele Stimmen registriert wie abgegeben worden seien. Rund 1500 der knapp 7000 Wahlzentren hätten sich an Orten befunden, «die so unsicher sind, dass niemand von der IEC, der afghanischen Armee oder Polizei sie je besucht hätte», sagte der 58-jährige US-Diplomat. Dabei handelt es sich um jene Geisterwahllokale, in denen Karzai-Getreue massenhaft Stimmen fabrizierten. Allein die fast 300 000 gefälschten Stimmen in Kandahar würden ausreichen, Karzai unter die Fünfzigprozentmarke zu drücken und damit für einen zweiten Wahlgang zu sorgen.

Da die Nachzählung auf ungesicherten Daten beruht, was Wahlberechtigte und Wahlbeteiligung betrifft, ist sie fragwürdig. Und falls richtig ist, was IEC-Vizechef Sekria Baraksai am Montag sagte, nämlich dass die Zahl der gefälschten Stimmen «proportional von den Stimmen aller Kandidaten abgezogen wird», kann sie am vorliegenden Ergebnis ohnehin nichts ändern. Damit ist die Nachzählung nur noch eine Übung, um das Gesicht zu wahren und um die WählerInnen in den Ländern zu beruhigen, die eigene Truppen in die Nato-geführte Stabilisierungstruppe Isaf entsendet haben: Deutschland, Frankreich oder die USA etwa. Die westlichen Regierungen fürchten ein politisches Vakuum, wenn das Wahlergebnis weiter offen bleibt und ein zweiter Wahlgang vollzogen werden müsste.

Die Taliban freuts

Die massiven Wahlmanipulationen führen aber vor allem dazu, dass es der Regierung unter Karzai, die sehr wahrscheinlich an der Macht bleiben wird, bei den AfghanInnen an Legitimität fehlt. Schliesslich hat sich der Wahlbetrug vor ihren Augen abgespielt.

Trotzdem spielt die internationale Gemeinschaft Karzais Spiel mit. So redete der US-Sonderbeauftragte Richard Holbrooke den Wahlbetrug klein, indem er bemerkte, dass es auch im Westen «keine perfekten Wahlen gebe». Uno-Missions-Chef Kai Eide will seine guten Beziehungen zu Karzai nicht gefährden. Dem Uno-Sicherheitsrat sagte er kürzlich, dass die meisten AfghanInnen endlich eine neue Regierung und ein besseres Leben wollten. Dass dazu eine legitime Regierung nötig ist, liess er unerwähnt. Die Aussenminister der Gruppe Freunde Afghanistans, zu denen unter anderen die USA, Britannien, Frankreich und Deutschland gehören, haben laut Zeitungsberichten am 25. September bereits zum «Konsens» gefunden, mit Karzai weiterarbeiten zu wollen. Damit wurde Afghanistans Präsident – wie von vielen AfghanInnen befürchtet – wieder in den USA gekürt.

All das wird dazu führen, dass sich immer mehr AfghanInnen vom politischen Prozess in ihrem Lande abwenden werden. Das spielt den Taliban in die Hände, die damit wieder vermehrt zu einer politischen Alternative werden. Sie haben in Afghanistan zunehmend den Ruf, zwar brutal, aber wenigstens gerecht zu sein – ein deutlicher Kontrast zur korrupten Regierung Karzais.