Kriegsmaterial: Tödliche Kontinuität

Nr. 42 –

Siebzig RechtsprofessorInnen bringen den Bundesrat sieben Wochen vor der GSoA-Initiative in Bedrängnis. Aber der Skandal um die Kriegsmaterialexporte ist nur logische Folge eines dreckigen Geschäfts.


Rüstungsexport ist ein dreckiges Geschäft. Aber es bringt Geld, sehr viel sogar: 2008 verdiente die Schweiz damit 772 Millionen Franken. Pro Kopf der Bevölkerung ist sie Vizeweltmeisterin im Waffenexport. Das ist dem Bundesrat offensichtlich so viel wert, dass er über die eigenen Gesetze hinwegsieht. Dieser Meinung sind zumindest siebzig ProfessorInnen sämtlicher Schweizer Rechtsfakultäten, die sich in einem offenen Brief an Bundesrätin Doris Leuthard gewandt haben. Darin werfen sie ihr vor, gegen die seit Dezember 2008 geltende Kriegsmaterialverordnung zu verstossen.

Lediglich eine «Präzisierung»

Zur Vorgeschichte: Der Bundesrat hatte im August vor einem Jahr beschlossen, die Initiative «Für ein Verbot von Kriegsmaterial-Exporten» der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) abzulehnen. In derselben Pressekonferenz kommunizierte der Bundesrat eine «Präzisierung» der Kriegsmaterialverordnung. Das zuständige Volkswirtschaftsdepartement (EVD) von Doris Leuthard vermied es dabei tunlichst, einen Zusammenhang zwischen den beiden Aussagen herzustellen. Dennoch war klar: Die verschärfte Verordnung hatte zum Ziel, den InitiantInnen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Von Verschärfung will das Departement Leuthard bis heute nichts wissen, es sei lediglich eine «Präzisierung» gewesen. Ganz anders sah das der Verband der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem), der sich umgehend gegen die neue Verordnung aussprach, weil er Einschränkungen für die Rüstungsindustrie befürchtete: «Nach dem Wortlaut des Gesetzes dürften demnach in die USA keine Rüstungsexporte mehr erfolgen.» Doch Leuthard ignorierte die Warnung und sagte, alles bleibe beim Alten.

Nun haben zahlreiche renommierte RechtsprofessorInnen die Befürchtungen von Swissmem bestätigt und das EVD damit in eine unangenehme Situation gebracht.

Denn die neue Verordnung verbietet die Ausfuhr von Kriegsmaterial in ein Land, das in einen «bewaffneten Konflikt» verwickelt ist – laut RechtsexpertInnen ein völkerrechtlich klar definierter Begriff, der beispielsweise die USA oder Deutschland betrifft. In die Vereinigten Staaten lieferte die Schweiz im ersten Halbjahr 2009 trotzdem Kriegsmaterial für 19 Millionen Franken, nach Deutschland sogar für 62 Millionen.

Fataler Fehler

Damit nicht genug: Die Verordnung verbietet ausserdem, Kriegsmaterial in Länder zu liefern, die die «Menschenrechte systematisch und schwerwiegend» verletzen, was etwa bei Saudi-Arabien (Kriegsmaterial für 34 Millionen Franken) der Fall ist. Der Bundesrat hat im März dieses Jahres entschieden, keine weiteren Ausfuhrbewilligungen für Saudi-Arabien zu erteilen. Waffenlieferungen, die jetzt noch erfolgen, seien bereits vor dem Entscheid des Bundesrates erlaubt worden und müssten nun gewährt werden, heisst es beim EVD.

Das macht die Situation für den Bundesrat sieben Wochen vor der Abstimmung über die GSoA-Initiative nicht besser. Siebzig Rechtsprofessoren sind schliesslich nicht irgendwer. Bundesrätin Leuthard ist denn auch sichtlich nervös. Anders lässt sich kaum erklären, dass ihr Departement den offenen Brief – entgegen der üblichen Praxis – beantworten will und sich bis dahin mit Informationen zurückhält. Es hält lediglich fest, dass es sich um eine «unterschiedliche Auslegung einer Verordnungsbestimmung» handle und aus «völkerrechtlicher Sicht nichts zu beanstanden sei».

Die Kriegsmaterialministerin gab sich «erstaunt» über den Brief der Gelehrten und versucht, mit völkerrechtlich irrelevanten Argumenten («Uno-Mandat») zu kontern. Zu erstaunen vermag in diesem Zusammenhang einzig, dass der Bundesrat nicht von sich aus die Frage prüfte, ob die neue Verordnung rechtens sei, zumal die Reaktion von Swissmem eindeutig war und die Klingel spätestens nach einer parlamentarischen Anfrage hätte läuten sollen. Dem EVD ist wohl schlicht ein Fehler unterlaufen. Allerdings ein fataler.

Das Geschäft zuerst

Als die Geschäftsprüfungskommission 2006 den Bundesrat wegen dessen Bewilligungspraxis kritisierte, sprach sie sich gegen die Ausfuhr von Kriegsmaterial nach Pakistan aus, weil die Lage instabil und die Menschenrechtslage schlecht war. Nur fünf Wochen später bewilligte der Bundesrat nichtsdestotrotz Waffenexporte für eine halbe Milliarde in Krisengebiete – auch nach Pakistan.

Die bundesrätliche Missachtung der hauseigenen Verordnung ist symbolisch für eine Kontinuität der Skandale in der Geschichte der Schweizer Waffenexporte. Wirtschaftliche Interessen standen dabei immer über der Moral: Im Zweiten Weltkrieg, als achtzig Prozent der Schweizer Waffenlieferungen an die Achsenmächte gingen. Im Vietnamkrieg, als die Schweiz Pilatus-Flugzeuge in die USA schickte und Uhrenteile, die eigentlich Raketenteile waren. Oder in den siebziger Jahren, als Augusto Pinochet die demokratische Regierung von Salvador Allende in Chile stürzte und die Militärs bei ihrem Blutbad Piranha-Radpanzer der Kreuzlinger Firma Mowag sowie SIG-Maschinengewehre benutzten.

Rüstungsexporte sind ein dreckiges Geschäft. Dass der Bundesrat als Antwort auf die Initiative das Waffengesetz zwar verschärfte, diese Verschärfung aber nicht einmal selber respektiert, macht ein Exportverbot nur umso dringender.

PS: Apropos Dreck: Letzte Woche hat die PR-Agentur Farner, die Lobbyorganisation der Rüstungsindustrie, zugegeben, die GSoA bespitzelt zu haben, nachdem sie anfänglich noch von einer «von der GSoA konstruierten und der WOZ publizierten» Geschichte gesprochen hatte. – Als Antwort auf Mauschelei und Bespitzelung präsentiert die WOZ bis zur Abstimmung jede Woche unter dem Titel «Swiss Made» eine Schweizer Exportwaffe. Die Serie beginnt nebenan auf dieser Seite.