Porträt : «Nicht mehr wie Putzlappen behandelt werden»

Nr. 47 –

Vier Wochen lang haben die HilfspflegerInnen am Genfer Unispital gekämpft – und hatten Erfolg. Unter ihnen auch Déborah Bouyol, die den stetigen Wandel ihres Berufs miterlebt hat.

«Wir haben es satt, wie Zitronen ausgepresst zu werden», sagt Déborah Bouyol lachend. Ihr Lachen steckt an, und der singende Akzent des südlichen Frankreich lässt die turmhohen Betonfassaden des Genfer Kantonsspitals sofort weniger grau und kalt wirken. Seit Mitte Oktober setzt sie sich mit rund 250 Kolleginnen und Kollegen für mehr Lohn ein. Vierzehn Tage Streik seit Anfang November hat es gebraucht, doch jetzt haben sie gesiegt: Die 1200 HilfspflegerInnen der Hôpitaux Universitaires de Genève werden eine Lohnklasse höher eingestuft. «Uns ging es beim Streik weniger um den Lohn als um eine Neubewertung unserer Arbeit», sagt sie.

Deborah Bouyol, 54, ist in der französischen Provence aufgewachsen. Der Vater war Fernfahrer, die Mutter hat die kleine Déborah und ihre Geschwister im Stich gelassen. Die Grossmutter nahm sie auf, als Mädchen hat Déborah, statt mit Puppen zu spielen, für die kleinen Geschwister gesorgt. «Ich bin meiner Mutter nicht böse», sagt sie. «Ohne sie wäre ich nicht, was ich jetzt bin.» Das ist sie: mutig, nicht kleinzukriegen, mit einem grossen Gespür für menschliches Leiden. Seit dreissig Jahren lebt Bouyol in Genf, ebenso lange übt sie ihren Beruf als Hilfspflegerin aus.

Die Kranken im Stich gelassen?

«Vor dreissig Jahren waren wir so etwas wie Dienstmädchen und Putzfrau in einem», erinnert sie sich. Heute sind die HilfspflegerInnen die wichtigsten Personen am Bett der Kranken, denn die Krankenschwestern haben nicht mehr genügend Zeit. Sie hören zu, beruhigen, helfen bei der Hygiene, beim Essen, bei der Pflege, sie unterstützen die Angehörigen, melden Probleme. HilfspflegerIn sei kein Hilfsjob, sondern eine verantwortungsvolle Arbeit für Profis, betont Bouyol. Man müsse mit neuen Apparaten und Technologien umgehen, mit den vielen Sprachen der ausländischen PatientInnen zurechtkommen, und das steigende Durchschnittsalter der Kranken verlange einen grösseren Pflegeeinsatz.

Mehranforderungen bringe auch das neue Abrechnungssystem der Krankenkassen, die sogenannte Fallpauschale, bei der die Krankenkassen nur noch die Durchschnittskosten eines Krankheitsfalls bezahlen. Ab 2012 kommt sie in der ganzen Schweiz, in Genf ist sie bereits eingeführt – und bringt Bouyol in Rage: «Sie setzt uns und die Kranken ungeheuer unter Druck. Manchmal fühlen sich diese regelrecht rausgeworfen!»

Während des Streiks haben die PflegerInnen Minimaldienst geleistet: die notwendigsten Leistungen gesichert. Einige KollegInnen hätten trotzdem Schuldgefühle gehabt, den Eindruck, sie würden die Kranken im Stich lassen. «Ich fühlte mich nicht schuldig, ich bin überzeugt, dass wir ein Recht darauf haben, dass unser Beruf als höher qualifiziert eingestuft wird.» Es sei nicht einfach gewesen, die Bewegung – Demonstrationen, Personalversammlungen, zuletzt Streiks – über vier Wochen durchzuhalten. Sie seien eingeschüchtert und unter Druck gesetzt worden. Gelitten hätten sie auch unter den gehässigen Kommentaren in den Zeitungen, die sich gegen Gewerkschaften, GrenzgängerInnen oder die «Privilegierten des öffentlichen Dienstes» richteten. «Wir waren eine verschworene Gemeinschaft und haben auch von vielen Kranken Unterstützung erhalten, so hat uns das nicht viel ausgemacht.» Das wichtigste Resultat des Streiks sei, dass man sie seither mit anderen Augen betrachte.

Klage gegen die Streikenden

Die HilfspflegerInnen haben gesiegt. Doch im Spital wird weiter gestreikt, jetzt ist die Reihe an den LaborantInnen und am Reinigungspersonal. Die Spannungen steigen, die Spitaldirektion hat Klage gegen die Streikenden erhoben, sie würden PatientInnen in Gefahr bringen, und in aller Eile Temporäreinsätze für die Reinigung engagiert. In den Gängen zirkulieren Securitas-Leute. Draussen vor dem Eingang steht dagegen ein grosses Zelt, in dem die Streikenden eben zu Mittag essen – gekocht haben «les indignés» der Genfer Occupy-Bewegung.

Wie konnte es zu einem solch unerhörten Aufstand kommen? Bouyol zuckt ein bisschen hilflos mit den Achseln, sie hat keine Erklärung für die verfahrene Situation, in der die Regierung spart, Stellen streicht und Verhandlungen verweigert, während sich die Spitaldirektion hinter der Regierung verschanzt.

Auch ihren KollegInnen vom Labor und von der Reinigung steht mehr Lohn zu, sagt sie energisch. Die Putzequipen hätten die Reinigung eines Operationssaals verweigert, darauf hätten die Ärzte selbst mitanpacken müssen: «Die Zeit ist vorbei, wo man die tiefen Lohnklassen wie Putzlappen behandeln konnte …» Unter dem Lachen spürt man erstmals auch die Härte einer Frau, die in ihrem Leben vieles einstecken musste. Sie weiss, was sie will: mehr Respekt, mehr Würde, mehr Achtung.