Tauwetter in der Schweiz: Die Oligarchen stolpern

Nr. 11 –

Mucken Menschen gegen kleptokratische Systeme auf und proben den Aufbruch, bemühen die Medien Frühlingsmetaphern – Tauwetter, Prager Frühling, Arabischer Frühling. Im besten Fall stürzen dann Betonköpfe und werden hinweggefegt.

Die Schweiz ist nicht Ägypten und schon gar nicht Syrien, die Schweiz ist keine Diktatur. Doch auch hier stolpern und stürzen sie – die Hummlers, Ospels, Blochers und Hildebrands. Über sich selbst. Ganz ohne Volksaufstand. Zu lange konnten diese Galionsfiguren einer geldtrunkenen Elite mit Arbeitsplatzentzug drohen, Produktivitätsgewinne für sich behalten, Steuervorteile herausschlagen, Ausländerinnen und Asylsuchende kleinmachen, repressive Gesetze durchboxen und die öffentliche Meinung manipulieren. Mit ihren gut geölten PR-Maschinen und neoliberalen Mantras vernebelten sie die Köpfe.

Ein Schweizer Frühling lässt auf sich warten. Doch es klart auf, ein leichtes Tauwetter macht sich bemerkbar. Seit einigen Monaten erodiert die politische Macht der Oligarchen – die SVP und ihre Verbündeten verlieren seit dem Herbst eine Parlamentswahl nach der anderen, die Parteispitze macht sich bei der Bundesratswahl lächerlich, und nun kommt auch noch ans Tageslicht, wie die SVP Koffer voller Bargeld herumschiebt. Da reiben sich selbst Geldwäscher die Augen. Die SVP führt sich selbst vor – und das ist gut für die Entwicklung des Landes und des Allgemeinwohls.

Die SP und die Grünen haben insgesamt bei den nationalen Wahlen im letzten Herbst zwar Wähleranteile verloren, aber die SP hat an Sitzen zugelegt. Und ein starkes Zeichen mit Symbolkraft kam aus dem Osten: Der dezidiert linke Paul Rechsteiner setzte sich im stockkonservativen Kanton St. Gallen bei der Ständeratswahl gegen SVP-Parteipräsident Toni Brunner durch, und im Westen hat es SP-Präsident Christian Levrat in Freiburg eben locker im ersten Wahlgang in den Ständerat geschafft. Das sind Hinweise darauf, dass linke Politik durchaus auch als bodenständig wahrgenommen wird.

Das neu gewählte Bundesparlament mit einer zersplitterten Mitte und einer erholten Linken überrascht mit Beschlüssen, die vorher kaum möglich schienen: Im Dezember fiel der Grundsatzentscheid für einen Atomausstieg (wenn er denn wirklich umgesetzt wird, aber immerhin), in der aktuellen Session einigte sich der Nationalrat knapp auf eine Bonisteuer als Gegenvorschlag zu Thomas Minders Abzocker-Initiative, der Ständerat will Entwicklungshilfe nicht wie es die SVP forderte an eine Gegenleistung im Asylbereich knüpfen, der Nationalrat überwies eine Motion gegen Lohndumping bei öffentlichen Aufträgen, und schliesslich gab der Nationalrat seinen Widerstand gegen die Reduktion von überdimensionierten Bauzonen auf und stimmte – anders als im Herbst – wie der Ständerat dafür. «Ein Meilenstein in der Geschichte der Schweizer Raumplanung, schlichtweg grossartig», kommentierte Raimund Rodewald, Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz. Illusionen sollte man sich nicht hingeben: In sozialpolitischen Fragen fährt dieses Parlament bislang den alten Kurs. Doch die Ausgangslage ist offener.

Getaut hat es auch in anderen Schichten des Landes. Die Grossbank CS (und die Raiffeisenbank) dienen nun auch den Linken Parteispenden an. Kaum jemand fragte, weshalb das Herz der CS plötzlich auch für die Linke schlägt. Alle fragten: Dürfen die bankenkritischen Linken dieses Geld annehmen? (Sollten sie auf keinen Fall.) Spannender ist die Frage nach den Motiven der Banker: Wollen sie die Linke ruhigstellen? So naiv sind die Herren von der Bahnhofstrasse kaum. Die Finanzwelt wird nach der Krise womöglich neu geordnet. Vielleicht sehen sie diese Spenden als eine Investition in die Zukunft eines neuen Geschäftsmodells.

Und der Souverän? Auch er taute am vergangenen Wochenende auf. Etwa im Kanton Zürich oder in Ausserrhoden. Die Zürcher StimmbürgerInnen lehnten eine Verschärfung des Einbürgerungsgesetzes ab. Die AusserrhoderInnen stimmten einer SP-Initiative zu und schafften die Pauschalsteuer ab. Das sind keine revolutionären Umwälzungen, aber unmissverständliche Voten gegen eine Politik für wenige.