Kommentar von Jens Renner: Italiens führerlose Rechte

Nr. 15 –

Nach Umberto Bossis Rücktritt werden die politischen Karten in Italien neu gemischt. Trotzdem werden die neuen Gesichter einmal mehr die alten sein. Oder kommt ein neuer populistischer Unternehmer?

Gehen Italien die starken Männer aus? Nach Ministerpräsident Silvio Berlusconis sang- und klanglosem Rücktritt im November ist jetzt ein weiterer Hochkaräter zurückgetreten. Umberto Bossi, der «charismatische Leader» der separatistischen Lega Nord, stolperte über einen klassischen Skandal: Enge Vertraute und sein Sohn Enzo werden beschuldigt, Parteigelder in die eigene Tasche gesteckt zu haben. Für Bossi, den vermeintlichen Saubermann, war dies das Ende. Niemals, so hatte er beständig getönt, werde die Lega das tun, was sie den etablierten Parteien vorgeworfen hat: Politik zum Zwecke der persönlichen Bereicherung zu betreiben. Ihm blieb nur der Rücktritt.

Dreissig Jahre lang war Bossi der unbestrittene Anführer der Lega. Mit seinem rüpelhaften Auftreten, seinen masslosen Attacken auf politische GegnerInnen begründete er einen Politikstil, der mehr oder weniger talentierte NachahmerInnen fand. Auch Berlusconi, der erst sehr viel später in die Politik einstieg, bediente sich bei Bossi. Beide einte die Erkenntnis, dass Frechheit siegt und dem Erfolgreichen nichts peinlich sein muss. Politisch verband sie das öffentlich zelebrierte Ressentiment gegen alle, die anders sind als die Norm: Homosexuelle, Muslime, afrikanische MigrantInnen, Linke.

Nun sind sie beide weg, und selbst ihre schärfsten GegnerInnen wirken geradezu verstört. Schon bei Berlusconis Abgang blieb der Jubel seltsam verhalten. Bossis Rücktritt begleitete die linke Tageszeitung «Il Manifesto» mit einer nur teilweise ironischen Erinnerung an den «Umberto, der allen gefiel»: den «Retter des (politischen) Showbusiness» und «genialen Erzähler», den das «Time»-Magazin – nicht ohne Bewunderung – als Italiens «grössten Populisten seit Mussolini» bezeichnet hatte. Auch Berlusconi wurde als Populist bezeichnet – ein schwammiger Begriff, der das Gegenteil eines seriösen Politikers umschreiben soll.

Haben die PopulistInnen nun ausgespielt, weil die seriösen PolitikerInnen einfach effektiver arbeiten? So könnte es scheinen, wenn man sich die Zwischenbilanz des «Technokraten» Mario Monti und seiner Regierung der parteilosen ExpertInnen ansieht: Sie setzen, fast geräuschlos, genau die rechte Politik der neoliberalen Arbeitsmarktreformen und des Sozialabbaus um, die die Maulhelden Berlusconi und Bossi nicht zu Ende brachten (siehe WOZ Nr. 10/12 ). Damit hat die Regierung Monti schon nach den ersten Monaten ihrer bis Frühjahr 2013 befristeten Amtszeit Italiens Parteien in die nächste Krise gestürzt. Während sie selbst in Umfragen Zustimmungswerte um 60 Prozent erreicht, fiel Berlusconis Partei Volk der Freiheit (PDL) auf 22 Prozent. Aber auch die Demokratische Partei (PD), die in einer Art grossen Koalition mit der PDL die Regierung Monti stützt, konnte ihren Spitzenwert von 29 Prozent nicht halten.

Wieder einmal ist vieles im Fluss und scheinen kaum vorstellbare Szenarien möglich, sogar eine Neuauflage der Geschichte vom erfolgreichen Unternehmer, der in die Politik geht – wie 1994, als Berlusconi überraschend gewählt wurde. In der Hauptrolle diesmal: Ferrari-Chef Luca Cordero di Montezemolo. Nicht ganz auszuschliessen ist zudem, dass Berlusconi es noch einmal wissen will. Den Interessen seines angeschlagenen Firmenimperiums käme ein dauerhaftes Arrangement mit dem amtierenden Regierungschef Monti entgegen. Monti hat zwar eine Regierungstätigkeit über 2013 hinaus bislang ausgeschlossen – aber was heisst das schon, zumal in Italien? Dass Berlusconi für sich selbst immer noch das Amt des Staatspräsidenten anstrebt, kann als sicher gelten. Nach wie vor will er dieses – bislang vor allem repräsentative – Amt mit weiter reichenden politischen Kompetenzen ausstatten.

Neuerdings spricht sich Berlusconi auch für eine Wahlrechtsreform «alla tedesca» aus – das heisst für eine reine Proporzwahl nach deutschem Vorbild. Seine eigene Partei würde er lieber heute als morgen durch eine zeitgemässere Gruppierung ersetzen. Bei den Kommunalwahlen im Mai – unter anderem in so wichtigen Städten wie Genua, Verona und Palermo – muss er aber noch einmal mit der PDL antreten. Danach werden die Karten neu gemischt. Dabei ist die Gründung von neuen Parteien ebenso denkbar wie bisher nicht da gewesene Bündnisse.

Prognosen über den Wahlausgang 2013 stehen also auf wackligen Beinen. Am wahrscheinlichsten ist, dass wieder einmal geschieht, was in Italien meistens geschieht: dass «alles sich ändert, damit alles bleibt, wie es ist». Die Linke wird weiterhin Mühe haben, das Desaster von 2008 zu überwinden. Damals war sie mit nur 3,1 Prozent der Stimmen aus dem Parlament geflogen, vor allem wegen der enttäuschenden Bilanz der Mitte-links-Regierung unter Romano Prodi, an der sie beteiligt gewesen war. Die Lega Nord ist durch Bossis Rücktritt zwar geschwächt. Sie wird, als einzige parlamentarische Opposition, aber versuchen, ProtestwählerInnen zu mobilisieren. Das dürfte auch weiterhin funktionieren – vor allem, wenn Bossi an die Spitze der Lega zurückkehrt, wie er seit einigen Tagen immer wieder angedeutet hat.