«Das Ende vom Geld»: Harmloses Wolfsknurren

Nr. 3 –

Wirtschaftstheater in der HSG-Stadt: Das Theater St. Gallen spielt als Schweizer Erstaufführung Urs Widmers Stück «Das Ende vom Geld». Zur kritischen Auseinandersetzung mit der Krise aber taugt das holzschnittartige Stück nicht.

Ob Banker oder Professor: Zum Schluss entschwinden alle Figuren schafsköpfig. Foto: Tine Edel

Der Anfang vom Geldsystem: Das seien, im Italien des 13. Jahrhunderts, die auf Goldmünzen ausgestellten Schuldscheine gewesen. So erklärt es das Programmheft des Theaters St. Gallen zum neuen Stück von Urs Widmer. «Das Ende vom Geld» heisst das Stück, und an diesem Ende ist jedeR irgendwie und niemand wirklich schuld. Bei Widmer ist das Ende vom Geld das Ende der Welt und eins wie das andere höheren Orts verursacht: von den Wettergöttern. Das Ende kommt als Schneesturm, als Schauplatz hat es sich das Wef in Davos ausgesucht.

Hier ist versammelt, was zwar keinen Namen, aber Rang hat: der Unternehmer, der HSG-Professor, die NGO-Delegierte, der Bischof, der Bundesrat, der Chinese, der Banker und seine Geliebte. Alle telefonieren wichtig mit Frankfurt, Berlin, Beijing, Bern oder Chur, aus den Lautsprechern bimmelt, blökt und muht eine Viehherde, bis die Handys plötzlich verstummen, ein Sturmwind pfeift und aus dem Hundegebell ein Wolfsknurren wird. Später wird es noch mehr stürmen und in die Hotellobby schneien, aus der jetzt kein Entkommen mehr ist.

Die Fassaden bröckeln

Das Fremde, Unkontrollierbare bricht ein. Die Fünfsternhotellogik ist ausser Kraft, zwei Flaschen Sekt sind das Letzte, was der Hoteldirektor noch zu bieten hat. Die Eingeschlossenen trinken sich Galgenhumor und ein paar Anzüglichkeiten an, dann kippt die Stimmung, Schluss mit «business as usual». Das ist eine der überzeugenderen Passagen in Widmers Stück: Er zeigt Figur um Figur, wie die Fassade bröckelt, und gibt den Blick frei aufs deprimierende Nichts dahinter. Der Banker (Andrea Zogg) den Zahlen verfallen, seine Geliebte (Danielle Green) ungeliebt. Der Bischof (Bruno Riedl) bankrott und Gott tot. Der Bundesrat (Anselm Lipgens), der Unternehmer (Tim Kalhammer-Loew), der HSG-Professor (Marcus Schäfer) – grossspurige Nullen, einer wie der andere. Und die NGO-Frau (Boglarka Horvath) gesteht sich ein, dass sie bloss eins hat: Angst.

Das ist aber auch schon das Höchstmass an Differenziertheit, die das Stück bietet. Im Ganzen bleiben die Figuren ohne Individualität und Lernfähigkeit, und je stärker der Sturm, je grösser der Hunger, je schlottriger die Kälte, desto wilder die Klischees: Unter der dünnen Haut der Zivilisiertheit bricht das Tier hervor, man rauft sich um Erdnüsschen, prügelt Auge um Auge, Zahn um Zahn, Männlein stürzt sich auf Weiblein angesichts des drohenden Jüngsten Tags, und aus den Lautsprechern scheppert Peter Licht: «Vorbei vorbei vorbei vorbei.»

Das St. Galler Ensemble, in Klamauk erfahren, dreht in diesen Szenen grandios auf und bietet Slapstick zum Tränenlachen. Das passt zu Widmers holzschnittartigen Pointen. Aber es passt nicht zum ernsten Thema und zum Anspruch von Widmer und Regisseur Tim Kramer. In «Das Ende vom Geld», so der Autor im Programmheft, sei sein Blick «illusionsloser, auch tödlicher» geworden: «Ich fahre den Karren diesmal an die Wand.» Und Schauspielchef Kramer versprach, das Stück von seinem Untertitel her zu inszenieren: «Ein Todes-Experiment».

Jelineks Beispiel

Ein solches Experiment hat das Theater in der vorletzten Spielzeit schon einmal durchgespielt, mit entschieden ernsthafterem Zugriff. Elfriede Jelineks «Die Kontrakte des Kaufmanns» wurde damals zur zumindest in Teilen heftigen Abrechnung mit der Ideologie der Shareholder, des (rechts-)freien Markts und der Renditemaximierung. Jelineks wütender Textsteinbruch bot dafür reichlich Material – nicht zuletzt deshalb, weil dessen Hauptfigur, Julius Meinl V., der Wiener «Kaffeekönig» und Kreditgauner, einst an der St. Galler Wirtschaftsuniversität HSG studiert hatte – und diese sich ihrerseits kurz zuvor vom streitbaren Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann getrennt hatte. Jelinek-Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson ging aufs Ganze, kombinierte bissiges Lokalkabarett mit einer wüsten Schlachtorgie oder kuriosen Erläuterungen zur Chemie der Finanzblase und provozierte so eine öffentliche, wenn auch am Ende reibungsarme Debatte zwischen der Hochschule oben auf dem Rosenberg und dem Theater unten im Tal.

Dass sich das St. Galler Theater neben Musicaluraufführungen auch mit Jelinek profiliert, ist keine Selbstverständlichkeit. Jelinek zum Zweiten, die «Winterreise», gab es unlängst in der «Lokremise», der neuen Offspielstätte des Theaters. Und wiederum ragte jene Passage heraus, in der die österreichische Nobelpreisträgerin die Mechanismen der Finanzjongleure (diesmal rund um den Hypo-Adria-Skandal) aufzeigt – indem sie selbst mit der Sprache des Gelds jongliert, Leerformeln und Worthülsen der Macht gegen diese selbst wendet und so leistet, was Theater im besten Fall kann: Sprach- und Denkaufklärung betreiben.

Im Schafshimmel

Diese Chance bietet Widmers Stück mit seinem plakativen Text nicht. Und wenn er sich am Ende aufschwingt zu einer immerhin wortmächtigen Endzeitvision, hat das Todesexperiment in St. Gallen längst die schlimmstmögliche Wendung genommen: in die Komödie. Ein messerschwingender Koch mit Fegefeuerblick (Oliver Losehand) erzählt vom Weltenbrand, und zum Finale rapportieren Koch und Hoteldirektor die Apokalypse per Mikrofon, während aus dem Nichts im vermeintlich sturmabgeschnittenen Davoser Hotel schwarz gekleidete Hilfskräfte auftauchen, Tiermasken und Klettergstältli anschleppen und so statt des Höllentrips eine lachhafte Himmelfahrt ermöglichen.

Banker, Bundesrat und Co. entschweben schafsköpfig. Nix Hölle, keine Beklemmung, nirgends. Widmers Litanei verhallt in Komik, dabei hätte sie es in sich: «Niemand hätte gedacht dass es alle trifft alle dachten dass es andere verwüstet nicht sie ja und jetzt sind wir alle dran zur selben Stund die Schuldigen und die Unschuldigen die Kunden und die Berater die Kreditnehmer und die Kreditgeber die Armen und die Reichen die Cleveren und die Langsamen die Säufer und die Nüchternen Männer und Frauen du und ich.» Ich und du, das Publikum im voll besetzten Theater St. Gallen applaudierte massvoll und fühlte sich spürbar nicht mitgemeint und leicht unterfordert.

Das gültige Stück zur Finanzkrise ist also auch mit «Das Ende vom Geld» nicht geschrieben. Die Krise allerdings dauert an, auch wenn das Schauspielhaus Zürich das Stück vor Jahresfrist noch abgelehnt hatte mit dem Argument, bis zur Aufführung wäre die Krise längst vorbei – und damit dem Theater St. Gallen den Weg zur Schweizer Erstaufführung freigemacht hatte. Ins aktualitätsfreudige diesjährige Schauspielprogramm St. Gallens passte das jedenfalls gut; als nächste Premiere steht ein Jugendstück über den erst vor wenigen Jahren rehabilitierten St. Galler Polizeikommandanten und Fluchthelfer Paul Grüninger auf dem Programm. Auch dort wird es um Schuld und Sühne gehen, aber voraussichtlich vielschichtiger.

«Das Ende vom Geld» in: St. Gallen, Theater St. Gallen. Vorstellungen: Freitag, 18., und Montag, 21. Januar 2013, Montag, 4., Mittwoch/Donnerstag, 6./7. Februar 2013, 19.30 Uhr. www.theatersg.ch

Urs Widmer

Er ist einer der profiliertesten Schweizer Autoren: Der 1938 geborene Urs Widmer hat sich als Prosaschriftsteller einen Namen gemacht («Die Forschungsreise», «Der blaue Siphon», «Der Geliebte der Mutter», «Das Buch des Vaters»). Immer wieder hat er aber auch fürs Theater geschrieben. Schon 1996 beschäftigte sich sein bislang erfolgreichstes Stück, «Top Dogs», mit der Welt der Topmanager. 2012 kam Widmers Stück «Münchhausens Enkel» im Zürcher Theater Rigiblick zur Aufführung, sozusagen eine Fingerübung neben der grösseren Arbeit «Das Ende vom Geld», die im März 2012 im Staatstheater Darmstadt uraufgeführt wurde und jetzt ihre Schweizer Premiere erlebte.