Fussball und andere Randsportarten: Eine Lanze für den Andersartigen

Nr. 3 –

Pedro Lenz über einen harten und weichen Trainer.

Im letzten Sommer gewann der Fussballtrainer José Mourinho, Künstlername «The Special One», mit Real Madrid die spanische Fussballmeisterschaft. Dabei liess sein Team den bis dahin für unschlagbar gehaltenen FC Barcelona deutlich hinter sich. Schon zwei Jahre zuvor hatte Mourinho, damals mit dem relativ biederen Inter Mailand, Barcelona in der Champions League überraschend gedemütigt. Heute, sieben Monate nach dem Gewinn des Meistertitels, ist der Fussballlehrer aus Portugal der meistkritisierte Mann in den Sportmedien diesseits und jenseits der Pyrenäen. Sein übersteigertes Selbstbewusstsein, für das er früher gerühmt und bewundert wurde, wird ihm jetzt als Arroganz ausgelegt. José Mourinho hat es geschafft, seinen über unzählige Saisons und viele Erfolge aufgebauten Nimbus in bloss sieben Monaten nachhaltig zu zerstören.

Sehen wir jedoch genauer hin, hat vielleicht gar nicht er selbst diesen Nimbus zerstört, sondern wir andern haben es getan: die Fans, die Kommentatoren, all die vielen Besserwisserinnen, die mit offenem Mund einen Sport verfolgen, dessen Funktionsweise niemand komplett zu durchschauen vermag.

Es liegt in der Natur einer Fussballmeisterschaft, dass nur eine einzige Mannschaft pro Saison gewinnen kann. Jeder Profitrainer hat den Auftrag und den Ehrgeiz, möglichst erfolgreich zu sein, aber nur einer pro Land steht am Ende ganz oben. In dieser Saison läuft bei Mourinhos Real Madrid einiges schief. Es ist anzunehmen, dass er die Meisterschaft nicht mehr gewinnen kann. Daraus aber abzuleiten, der Mann, der seine Teams schon in Portugal, England, Italien und Spanien zu Meistertiteln geführt hat, sei kein guter Berufsmann mehr, ist dumm. All die vielen Schlaumeier, die jetzt öffentlich die Meinung vertreten, José Mourinho sei als Trainer untragbar geworden, scheinen nicht sehen zu wollen, wie vielfältig seine Methoden und seine Kunstgriffe immer schon waren.

Früher gab es im Fussball, vereinfacht gesagt, zwei Sorten von Trainern: die gnadenlosen Schleifer und die geduldigen Ausbilder. War eine Spitzenmannschaft in Not, rief das Umfeld nach einem Schleifer. Musste ein Team neu aufgebaut werden, holten die Klubchefs einen Ausbilder. In den letzten zwanzig oder dreissig Jahren ist das Fussballmilieu freilich kniffliger geworden: Es ist ein Vielfaches an Geld im Spiel; die Profis wachsen anders auf als früher; das Interesse der Medien ist gewachsen; der Spitzenfussball hat eine viel höhere Präsenz im Alltag; die Sportwissenschaft hat neue Erkenntnisse.

All diese Faktoren führen dazu, dass auch der Beruf des Trainers ständig vielschichtiger wird. Heute muss ein Spitzentrainer hart und weich sein, er muss stur und flexibel sein, er muss gnadenlos und verständnisvoll sein, er muss einfache und komplizierte Ansagen machen können. José Mourinho beherrscht dieses komplexe Anforderungsprofil in Perfektion. Er weiss, wann er den Hass der Massen auf sich ziehen muss, um seine Spieler zu schützen. Aber er weiss auch, wann und wie er seine Spieler provozieren, wann er an ihre Ehre appellieren muss, um sie aus der Reserve zu locken. Und er versteht es wie wenige, den Menschen ungewohnte Sichtweisen nahezulegen. Als er neulich an einer Medienkonferenz hart angegriffen wurde, weil er den weltbesten Goalie, Iker Casillas, auf der Ersatzbank gelassen hatte, warf er den Kritikern vor, ihre Haltung sei respektlos gegenüber Ersatztorhüter Adán, der schliesslich ein vorbildlicher Sportsmann sei. Der Kniff, für den Mourinho im Erfolgsfall als Genie gefeiert worden wäre, blieb unverstanden.

José Mourinho hat seine Persönlichkeit und seine unkonventionellen Arbeitsmethoden in den letzten Monaten nicht verändert. Was sich verändert hat, ist unser Blick auf ihn. Es ist ein unscharfer, oberflächlicher Blick voller Ignoranz.

Pedro Lenz ist Schriftsteller und lebt in Olten. Als Fussballfan hat er ein Herz für umstrittene Figuren und komplizierte Persönlichkeiten 
auf der Trainerbank.