Organisierte Kriminalität: Bundesanwalt will Bargeldfluss austrocknen

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Über die Präsenz der italienischen Mafias in der Schweiz gibt es keine systematischen Erkenntnisse. Nun will Bundesanwalt Michael Lauber gegen diese organisierte Kriminalität prioritär ermitteln und fordert eine Änderung des Geldwäschereigesetzes.

Verschiedene Mafiaclans haben sich in Norditalien festgesetzt und sind unmittelbar an der Schweizer Grenze präsent. Und sie drängen über die Grenze, wenn man den Schlagzeilen der letzten Jahre Glauben schenkt («Mafia im Tessin auf dem Vormarsch», «Der Krake breitet sich im Tessin aus»): ins Tessin, nach Graubünden und ins Wallis. Offenbar investieren sie in Immobilien. In welchem Ausmass, bleibt unklar. Ob sie ihre Clanstrukturen auch in der Schweiz installieren, ist ebenfalls unklar. Da hilft auch der aktuelle Jahresbericht der Bundeskriminalpolizei nicht weiter. Er bezieht sich auf einzelne Verfahren und bleibt ansonsten summarisch – die Präsenz der italienischen Mafiaorganisationen sei eine Realität, insbesondere die der ’Ndrangheta, die Schweiz und ihr Finanzplatz seien ein attraktives Ziel und Rückzugsgebiet für Mafiosi. Das ist alles nicht neu und gilt seit Jahrzehnten.

Wer wenigstens eine Ahnung über die Präsenz der Clans in der Schweiz haben möchte: Der auf organisierte Kriminalität spezialisierte Soziologe Francesco Forgione hat 2009 in einem Buch über die weltweite Verbreitung der italienischen Mafias auch deren Präsenz in der Schweiz auf einer Karte abgebildet – Clans der ’Ndrangheta und der Camorra haben sich demnach in Zürich, Basel, Luzern, Genf, La Chaux-de-Fonds und Lugano installiert. Ein Grund, weshalb die Schweizer Polizei kaum solche Erkenntnisse präsentieren kann, hat mit der Gesetzeslage zu tun: Reine Strukturermittlungen ausserhalb eines Strafverfahrens, also präventive Ermittlungen, sind nicht zulässig. Das könnte sich ändern. In diesem Jahr berät das Bundesparlament voraussichtlich das neue Nachrichtendienstgesetz. Dort sind präventive Ermittlungen vorgesehen. Allerdings geht es darin nicht in erster Linie um die italienische organisierte Kriminalität. Die Nachrichtenagenten möchten wieder flächendeckend und elektronisch aufgerüstet schnüffeln.

Von Italien lernen

In Norditalien galten die sizilianische Cosa Nostra, die kalabrische ’Ndrangheta, die neapolitanische Camorra und die apulische Sacra Corona Unita lange Zeit als Geisseln des strukturschwachen Südens. Doch zusammen mit der massenhaften Migration von Arbeitskräften kamen im Laufe der Jahrzehnte auch die Clans aus dem Süden und infiltrierten Wirtschaft, Politik und Behörden der wohlhabenden norditalienischen Provinzen. Der aus Kalabrien stammende junge Kriminologe und Journalist Giovanni Tizian, dessen Grossvater und Vater von Mafiosi umgebracht wurden, hat jüngst in seinem Buch «Mafia AG – Camorra, Cosa Nostra und ’Ndrangheta erobern Norditalien» diesen Prozess dokumentiert. Ob es um Giftmüllverklappung in den Fundamenten von Einfamilienhaussiedlungen, Stimmenbeschaffung, Organisierung öffentlicher Aufträge oder um Geschäfte im Gesundheitswesen geht – die Clans mischen überall mit und haben in Exekutiven Einfluss gewonnen. Tizian zeigt auf, wie kapitalbedürftige Unternehmer, geldgierige Staatsangestellte und PolitikerInnen bereitwillig bei der Reinvestition krimineller Gelder mitmachen. Die Mafiaorganisationen gelten inzwischen mit einem geschätzten jährlichen Umsatz von 135 Milliarden Euro als stärkste Wirtschaftskraft Italiens.

Nach Erscheinen des Buchs hörte die Polizei ein Gespräch zwischen zwei Mafiosi ab. Demnach sollte der «lästige Schnüffler», der hier oben im Norden alles umgrabe, beseitigt werden. Seither lebt und arbeitet Tizian unter Polizeischutz. Die italienische Organisation «Sauerstoff für die Information» hat allein im letzten Jahr Vorfälle mit 324 bedrohten JournalistInnen registriert.

Was heisst das für die Schweiz? Bundesanwalt Michael Lauber sagt im Gespräch mit der WOZ zum neuen Nachrichtengesetz und zu präventiven Ermittlungen: «Dreissig Jahre nach der Fichenaffäre müssen wir neu abwägen zwischen unserem Sicherheits- und unserem Freiheitsbedürfnis, in jedem Fall müssen wir eine rechtsstaatlich saubere Lösung finden.» Neu und unumstritten ist allerdings, dass die zuständigen Abteilungen für italienische organisierte Kriminalität in Bern und in den Zweigstellen in Lausanne und im Tessin ihre Antimafiaverfahren koordinieren. Lauber hat diese Neuerung im vergangenen Jahr eingeführt. Die Schweiz lernt von Italien. Dort ist die von Giovanni Falcone aufgebaute Direzione Nazionale Antimafia (DNA) seit zwanzig Jahren dafür zuständig. «Das ist eine entscheidende Lehre, die wir aus den Erfahrungen unserer italienischen Kollegen gezogen haben», sagt der Bundesanwalt. Ermittlungen in diesem Bereich sind sehr aufwendig, sie setzen Kenntnisse der italienischen Dialekte und spezifischer sprachlicher Kodierungen voraus. Nun können auch in der Schweiz Informationen zentral gesammelt und zum Gesamtbild gefügt werden.

Mit den italienischen Behörden arbeiten die Schweizer Ermittler und Bundesanwälte seit zehn Jahren zusammen, jetzt soll diese Zusammenarbeit nochmals intensiviert werden. Das war nicht immer so. In den frühen achtziger Jahren beklagten sich italienische Untersuchungsrichter über die Schweiz. 1983 sagte Giovanni Falcone, damals Untersuchungsrichter in Palermo: «Die Schweizer Bankiers verweigern uns hartnäckig jede Auskunft über Bewegungen von Mafiageldern, auf die wir in unseren Ermittlungen gestossen sind. Wirklich, weder die Banken noch die Schweizer Regierung helfen uns.» Seither hat sich viel geändert. Seit den neunziger Jahren steht die Mitgliedschaft oder auch die Unterstützung einer kriminellen Organisation unter Strafe, Vermögenswerte von kriminellen Organisationen können beschlagnahmt und nach Abschluss eines Verfahrens eingezogen werden.

Zentral in der Bekämpfung organisierter Kriminalität ist das 1997 eingeführte Geldwäschereigesetz. Der Bundesrat hat hier bereits gehandelt und schlägt dem Parlament vor, dass die Meldestelle für Geldwäscherei trotz des Bankgeheimnisses mit ausländischen Behörden Finanzinformationen austauschen kann. Bundesanwalt Michael Lauber wünscht sich weitere Anpassungen: Er möchte die Meldestelle für Geldwäscherei optimieren, die Geldflüsse im Rohstoff-, Immobilien- und Kunsthandel sowie bei den Schuldbetreibungs- und Konkursämtern dem Geldwäschereigesetz unterstellen. Unrealistisch, aber denkbar wäre laut Lauber das Verbot von Bargeldzahlungen. Realistischer die Einführung von Schwellenwerten für Bargeldzahlungen. Heisst: Für Bares über diesem Schwellenwert bestünde eine Meldepflicht, womit der Nachweis für dessen Herkunft zu erbringen wäre. «Die politische Antwort steht noch aus», sagt er.

Der frühere Mafiajäger Paolo Bernasconi weist die WOZ auf ein weiteres Schlupfloch hin: Schliessfächer und Banksafes. Wer dort Bargeld deponiert, untersteht nicht dem Geldwäschereigesetz. Bernasconi: «Am Bankschalter muss jede Einzahlung ab 10 000 Franken geprüft werden. Das gilt jedoch nicht, wenn jemand Millionen von Franken in bar oder in Goldbarren in einem Banksafe versteckt.» Das sei weltweit ein Problem. Mit dem Geldwäschereigesetz seien wesentliche Verbesserungen erzielt worden. «Dennoch werden ständig neue Zuflüsse von kriminellen Geldern aufgedeckt, was die Effizienz der kriminellen Organisationen beweist.» Bernasconi kritisiert ausserdem die mangelnde Aufsicht über die Treuhänder, besonders im Tessin, wo es seit 1985 eine kantonale Aufsicht gibt, die allerdings personell schwach dotiert ist. Bernasconi sagt: «Obwohl die Zahl der Treuhänder und ihrer Kunden sich seit 1985 vervielfacht hat, ist nach wie vor bloss ein Inspektor für die Aufsicht zuständig.» Er wirft der Kantonsregierung daher vor, sie sabotiere das Treuhändergesetz.

«Dazu äussere ich mich nicht»

Nicht nur an der Tessiner Grenze sind die Clans aus Süditalien präsent. Das gilt auch für die Grenze im Norden zu Baden-Württemberg. Berichte des Landeskriminalamts (LKA) und des Bundeskriminalamts, die der auf organisierte Kriminalität spezialisierte Autor Jürgen Roth publik gemacht hat, weisen nach, dass mindestens elf zum Teil verfeindete ’Ndrangheta-Clans aktiv sind – von Stuttgart bis an den Bodensee (beispielsweise Konstanz) und von Karlsruhe bis Ulm. Dabei geht es nicht nur um Wahlbetrug, Geldwäsche, Waffen- und Drogenhandel. Hier drohen auch blutige Fehden. 2007 war bereits ein Auftragsmörder unterwegs, der einen Vertreter eines verfeindeten Clans ermorden sollte. LKA-Ermittlungen verhinderten das. Die Öffentlichkeit wurde nicht informiert.

Es gibt auch ’Ndrangheta-Spuren in den Kanton Thurgau. 2011 machte die Verhaftung eines in Kreuzlingen wohnhaften Italieners Schlagzeilen. Er wurde schliesslich auf einem Heimatbesuch verhaftet und ist inzwischen von einem italienischen Gericht verurteilt. «Gibt es eine ’Ndrangheta-Zelle im Thurgau, Herr Lauber?», will die WOZ wissen. «Dazu äussere ich mich nicht.»