Kommentar von Markus Spörndli: Wo bleibt Afrika?

Nr. 15 –

Am EU-Afrika-Gipfel kamen die wichtigen Probleme zwischen den ungleichen Partnern nicht zur Sprache. Die Staaten Afrikas könnten aber auch ohne EU-Hilfe viel mehr tun.

Afrika gibt es nicht. «Afrika» steht meist für einen recht sinnlosen Versuch, den kulturell, ethnisch und linguistisch wohl vielfältigsten Kontinent als etwas Einheitliches darzustellen. Was eint eine riesige Landmasse, die in 
55 Staaten aufgeteilt ist und auf der über eine Milliarde Menschen mehr als 2000 verschiedene Sprachen sprechen?

Die Europäische Union gibt es. Die EU ist ein Staatenbund aus 28 Mitgliedsländern und der bedeutendste Binnenmarkt der Welt. Alle paar Jahre lädt die Exekutive der EU, die Europäische Kommission, zum «EU-Afrika-Gipfel». So auch vergangene Woche, als sich in Brüssel über sechzig Staats- und Regierungschefs tummelten.

Es war das Aufeinandertreffen eines Staatenbunds und eines Kontinents, die ungleicher kaum sein könnten. Dementsprechend fielen die zentralen Beschlüsse aus: Es ging um die Regelung von Hilfsleistungen (Richtung Süden) und die Regulierung von Migrationsströmen (Richtung Norden). Am Schluss betonten dann alle, dass es ein Gipfel unter fast Gleichen gewesen sei. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sprach von gemeinsamen Interessen, Hoffnungen, Stärken und Schwächen, die man interkontinental vereint angehen könne.

Ausgeblendet wurden allerdings genau die Themen, die seit Jahrzehnten einem Abbau der Ungleichheiten zwischen der EU und den meisten afrikanischen Ländern entgegenstehen. Etwa die weiterhin grassierende Kapitalflucht – jährlich mindestens fünfzig Milliarden Franken, die insbesondere multinationale Unternehmen im Rohstoffsektor aus Afrika herausschaffen. Stattdessen verkündete Barroso feierlich, die EU wolle die (längst geplanten) Entwicklungsprogramme im Wert von jährlich vier Milliarden Euro wirkungsvoll einsetzen. Zudem beschrieb er Massnahmen, um zusätzliche Investitionen in Afrika zu fördern – erwähnte aber mit keinem Wort, dass die EU die wirtschaftliche Entwicklung vieler afrikanischer Länder wohl einiges wirksamer fördern könnte, wenn sie mit ihnen einfach faire Handelsbeziehungen führen würde.

Denn die EU – wie etwa auch die USA und die Schweiz – predigt zwar Freihandel, praktiziert aber selbst lieber Protektionismus. Bei vielen Menschen in Afrika ist die EU nicht so sehr als gütige Entwicklungshelferin ein Begriff, sondern als Produzentin aberwitziger Mengen an Hühnerfleisch, das auf fast jedem afrikanischen Markt zu Spottpreisen zu haben ist. Das liegt nicht nur daran, dass es sich die EU leisten kann, ihre Hühnermastindustrie massiv zu subventionieren. Es liegt besonders daran, dass sie die Agrarexporte nach Afrika gezielt verbilligt – dieses Jahr mit einem Zuschuss von 150 Millionen Euro.

Das sind wirksame Massnahmen, um wirtschaftliche Entwicklung und Investitionen zu verhindern: Der lokale Agrarsektor kann bei einem so hoch subventionierten Preisdumping niemals mithalten. Als Almosen dürfen dann die allerärmsten Länder zoll- und quotenfrei nach Europa exportieren. Was wiederum nicht viel bringt, weil es eher die fortgeschritteneren Volkswirtschaften sind, die Exportgüter in namhafter Menge herzustellen imstande sind. In den letzten Jahren sind die afrikanischen Exporte nach Europa deutlich zurückgegangen und werden zunehmend nach China, Indien und Brasilien verkauft.

Afrika gibt es nicht. Nicht nur wegen der grossen Heterogenität des Kontinents. Auch deshalb, weil es kaum eine politische Koordination gibt, mit der die 55 Länder gemeinsame Interessen in der globalen Politik und Wirtschaft besser vertreten könnten. Immerhin gibt es die Afrikanische Union (AU). Doch obwohl die fünfzig Jahre alte Organisation alle Länder Afrikas ausser Marokko vereint und sich die Kreation der «Vereinigten Staaten Afrikas» auf die Fahne geschrieben hat, ist sie bedeutungslos. Der afrikanische Kontinent ist weit von einer politischen oder wirtschaftlichen Integration entfernt.

Politisch schaffen es die AU-Mitglieder nicht einmal, die tödlichen Konflikte auf dem Kontinent zu handhaben. Ausgerechnet während des EU-Afrika-Gipfels hat der Tschad angekündigt, seine 850 Soldaten aus der AU-Friedensmission in der Zentralafrikanischen Republik zurückzuziehen. Damit ist die AU nun erst recht auf die Hilfe von EU-Truppen angewiesen, um einen Genozid im Herzen Afrikas noch abzuwenden.

Wirtschaftlich gibt es in Afrika zwar regionale Integrationsprojekte, etwa die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (Ecowas). Doch diese Binnenmärkte sind ökonomisch betrachtet zu klein, der Handel scheitert an fehlender Infrastruktur – und letztlich profitieren davon nur die reichsten Staaten der jeweiligen Gemeinschaft.

Diese afrikanischen Elitestaaten machen denn auch die vereinzelten Versuche, als regionaler Block mit der EU über Handelsregimes zu verhandeln, zuweilen zunichte. Die Ecowas stemmte sich lange gegen europäische Dumpingware – bis die Ecowas-Mitglieder Ghana und Côte d’Ivoire mit der EU bilaterale Abkommen abschlossen. Am EU-Afrika-Gipfel lud die AU-Kommissionsvorsitzende, die Südafrikanerin Nkosazana Dlamini-Zuma, Europa quasi zum Land Grabbing ein: «Wir haben das Land, Europa hat die Erfahrung. Davon können wir beide profitieren.»

Wenn die europäisch-afrikanischen Beziehungen so weitergehen, wird es Afrika auch in Zukunft nicht geben.