Wirtschaftsbeziehungen: Auf Schulreise mit der Businessklasse

Nr. 15 –

Geleitschutz in Brasilia, Visitenkarten en masse, gutväterliche Sätze an die GastgeberInnen: Tagebuch einer Geschäftsreise mit Bundesrat Johann Schneider-Ammann durch Brasilien.

Beauty-Contest vor dem biomedizinischen Forschungszentrum Fiocruz in Rio de Janeiro: Johann Schneider-Ammann (mit hellblau gestreifter Krawatte) im scharfen Fokus der Fotografen.

Bundesrat Johann Schneider-Ammann reiste vergangene Woche mit einer 47-köpfigen Wirtschafts- und Wissenschaftsdelegation nach Brasilien. Es ging um die «Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen» und die «Stärkung des wissenschaftlichen Austauschs». Wie ist es, mit dem Who’s who der grossen Schweizer Konzerne das diplomatische Parkett zu beschreiten? Tagebuchauszüge einer dreitägigen Reise durch Brasiliens klimatisierte Teppichetagen.

Donnerstag, 3. April

9.20 Uhr: Das fängt ja gut an. Landung in der Hauptstadt Brasilia, pünktlich, aber bei strömendem Regen. Ein neues SMS: «Liebe Frau Landolt, wir mussten einen anderen Anschlussflug nehmen», lässt mich der Pressesprecher von FC JSA wissen. FC JSA steht für Federal Councillor Johann Schneider-Ammann, wie dem dicht geplanten Reiseprogramm zu entnehmen ist. Eine Mitarbeiterin der Schweizer Botschaft werde mich bald abholen, erfahre ich. Ihr Erkennungsmerkmal: grüne Hosen.

Ich warte derweil mit Margo Black, Head of Insurance of South America von Swiss Re, im Selbstbedienungscafé des Flughafens. Später stösst Jürg Haller, Global Vice Chairman Wealth Management der UBS, zu uns, und es vollzieht sich ein Ritual, das sich dieser Tage immer wieder beobachten lässt: Auf den Austausch von Visitenkarten folgt Business-Smalltalk. Man ist sich einig, dass es sich durchaus lohne, in Brasilien zu investieren, man müsse nur den richtigen Zeitpunkt abwarten (wenn die Preise fallen). Als das Gespräch ins Stocken gerät und man sich über die brasilianischen Verkehrsverhältnisse auszutauschen beginnt – Mrs. Black ist in den fünfzehn Jahren, in denen sie in Brasilien wohnt, kein einziges Mal mit dem Bus gefahren, dem Hauptverkehrsmittel der BrasilianerInnen –, kommt die Botschaftsmitarbeiterin in den grünen Hosen. Ein Mercedes Sprinter fährt uns ins Fünfsternehotel.

10.45 Uhr: Einchecken im Hotel Brisas do Lago, mit Zimmern in der Grösse einer anständigen Zweizimmerwohnung. Ein Brunch steht bereit, ebenso eine Handvoll weiterer individuell angereister Mitglieder der Wissenschafts- und Wirtschaftsdelegation.

11.30 Uhr: Abfahrt im Mercedes-Bus zum Lunch. Wer neu den Bus betritt, erhält Visitenkarten von jenen, die schon drinsitzen. Ein Kadermitglied von Novartis gibt zunächst die wichtigsten Daten durch: Brasilien als Absatzmarkt und Produktionsstandort. Wenn immer möglich nehme er an solchen Reisen teil. Er sei auch schon mit FC JSAs VorgängerInnen in diversen Ländern gewesen. Es sei eine grossartige Gelegenheit, Leute kennenzulernen, Kontakte zu knüpfen, meint auch der auf eigene Kosten mitgereiste NZZ-Journalist: «Da sitzt man zum Beispiel in Kapstadt und diskutiert mit Schweizer Exponenten über das Kartellgesetz.»

Die Wirtschaftsdelegation wird jeweils von Economiesuisse zusammengestellt, während das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation für die Wissenschaftsdelegation zuständig ist.

12 Uhr: Lunch für die mittlerweile vollständig eingetroffene Wissenschaftsdelegation und die Medien. Die WirtschaftsvertreterInnen fahren weiter, um FC JSA beim Treffen mit dem brasilianischen Vizewirtschaftsminister zu begleiten. Die WissenschaftlerInnen lassen etwas die Köpfe hängen, weil Brasilien vor kurzem bekannt gegeben hat, keine weiteren Mittel für bilaterale Forschungsabkommen bereitzustellen.

14–17 Uhr: Unterhaltungsprogramm für die JournalistInnen in Form eines Besuchs beim brasilianischen Pendant des Schweizerischen Nationalfonds und einer kurzen Sightseeingtour durch Brasilia. Die Stopps bei der Oscar-Niemeyer-Kathedrale, dem Niemeyer-Nationalkongress und dem neuen WM-Stadion dauern nicht einmal eine Zigarettenlänge. Die Wissenschaftsdelegation begleitet derweil FC JSA zum Wissenschaftsminister.

18.30–19 Uhr: «Press briefing» im Hotel. FC JSA kommt ein wenig verspätet, schüttelt den neun Schweizer JournalistInnen die Hand und erzählt vom Ministertreffen. Er sei auf offene Ohren gestossen mit seinem Anliegen für ein Freihandelsabkommen. Doch konkrete Resultate gibt es keine. Ein Botschaftsmitarbeiter wird mir später erzählen, dass die BrasilianerInnen in geschäftlichen Angelegenheiten nie Nein, sondern «Vamos ver» (Wir werden sehen …) sagen. Auf die Frage, ob das auch in politischen Belangen gelte, sagt er: «No comment.»

FC JSA wirkt müde, hält oft inne, manchmal mitten im Wort, man mag es ihm nicht verübeln, es war schon jetzt ein langer Tag. Und er geht noch weiter. Oben in der Lobby herrscht aufgekratzte Betriebsamkeit, das Schulreisli-Feeling verstärkt sich. Zwei Busse fahren die Delegation zum Dinner in die Residenz des Botschafters.

19.30–22 Uhr: Nach dem Apéro auf der weitläufigen Terrasse der Residenz folgen einführende Worte auf Englisch durch Botschafter Regli und FC JSA. Die Tische sind nach Kantonen benannt, es wurde darauf geachtet, mindestens «one local person» pro Tisch zu haben, ebenso eine Dame pro Tisch, so wie es scheint. Beide sind deutlich in der Unterzahl. Während der erste Gang wohlorchestriert aufgetragen wird, hält der Direktor der brasilianischen Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik eine etwas wirre Rede über die wirtschaftliche Entwicklung Brasiliens.

Ein Thema, das nachher auch in den Gesprächen an den Tischen vertieft wird. Es fallen gutväterliche Sätze, gerichtet an die «locals» am Tisch. Etwa: «Brazil is on a good way.» Obwohl der ehemalige Präsident Lula ein Linker war – bedeutsamer Seitenblick auf die WOZ-Journalistin –, habe er nur wenig falsch gemacht, es brauche aber mehr Raum für Innovation, es fehle an Entrepreneurship. Beim Dessert bedankt sich FC JSA für den «langen, aber effektiven und effizienten Tag», er schliesst: «And now it’s time to go to bed.»

Freitag, 4. April

6–10 Uhr: Frühstück. Abfahrt zum Flughafen, zuvorderst der Botschaftswagen mit FC JSA und seiner persönlichen Beraterin, dann Bus 1 mit der Official und der Business Delegation, Bus 2 mit Science und Media Delegation. Geleitschutz bietet eine Truppe von Elitemilitärpolizisten auf Motorrädern, die die Zufahrtsstrassen für den übrigen Verkehr absperren. Hindernisloses Passieren aller Schleusen im Flughafen, Flug nach Rio de Janeiro, pünktliche Landung kurz vor 10 Uhr.

Die Stimmung ist gut, die Economiesuisse-Mitglieder sind zufrieden mit dem vergangenen Tag: «Solche Reisen lohnen sich immer. Wir haben die Möglichkeit, bei den Ministergesprächen dabei zu sein, und erfahren aus erster Hand, ob beispielsweise ein Freihandelsabkommen ins Haus steht. Wenn wir Probleme haben, zum Beispiel bei der Einfuhr von Gütern am Zoll, können wir dies direkt an höchster Stelle deponieren», sagt ein Vertreter der Maschinenbauindustrie. Die Busse warten mit laufenden Motoren. Die Businessdelegation fährt zur Investitionsförderungsbehörde der Stadt Rio de Janeiro.

10–15 Uhr: Für WissenschaftlerInnen und FC JSA mit Entourage steht der Besuch des biomedizinischen Forschungszentrums Fiocruz an. Im Konferenzraum sitzen gut zwanzig in diesem Bereich tätige WissenschaftlerInnen der beiden Länder beisammen und stellen in recht drögen Powerpoint-Präsentationen ihre jeweilige Institution vor. «Immer diese Beauty-Contests», stöhnt ein Delegationsmitglied. FC JSA hört aufmerksam zu: «Eines muss man ihm lassen», sagt ein anderes Delegationsmitglied, «er hat Stamina.» Der Professor vom Schweizerischen Tropeninstitut weibelt beim Mittagessen für ein gemeinsames Laborprojekt, an dem auch Novartis grosses Interesse habe. Die Antwort von brasilianischer Seite bleibt verhalten: «Vamos ver.»

Nach einem kurzen Laborbesuch geleitet uns die Polizeikolonne, vorbei an den im Stau stehenden BewohnerInnen Rios, ins örtliche Kunstmuseum, zu einer weiteren Präsentation.

16–17.30 Uhr: Die ETH zeigt – in Zusammenarbeit mit dem brasilianischen Ministerium für Städte – Projektentwürfe zur Verbesserung des brasilianischen Massenwohnungsbaus. Die Prekaritätsbauten brasilianischer Favelas werden als Designobjekte betrachtet, während ein paar Kilometer entfernt die Militärpolizei seit wenigen Tagen die Favela Complexo da Maré besetzt hält. Nach erneut einführenden Worten von FC JSA müssen wir die Diskussion noch vor Abschluss der Inputreferate verlassen und zum nächsten Termin eilen.

18–23.30 Uhr: Point de Presse in der am Abend zu eröffnenden Swissnex-Filiale im Gebäude des Generalkonsulats. Swissnex versteht sich als Plattform für die «internationale Vernetzung von Forschern, Universitäten und Jungunternehmern». Das Interesse der Presse ist spärlich. Immerhin hat die Zeitung «O Globo» zuvor noch ein Interview mit FC JSA geführt. Dafür ist das Entree bis zum Bersten mit Gästen gefüllt, nach den Eröffnungsreden wird gejubelt wie bei einem Popkonzert, ebenso bei der Unterzeichnung einer Absichtserklärung zur zukünftigen Zusammenarbeit zwischen dem Schweizerischen Nationalfonds und seinem Pendant im Gliedstaat Rio de Janeiro.

Bald schon passt niemand mehr richtig auf. Es ist drückend heiss, die Bar ist geöffnet, und auf der Dachterrasse gibt es Raclette, während ein Alleinunterhalter auf dem Keyboard Bossa nova spielt. Im Lauf des Abends lockern die Herren ihre Krawatten, öffnen die obersten Knöpfe der mit ihren Initialen bestickten Hemden. Man ist in Rio und gut drauf, man macht Duzis und teilt sich ein Taxi ins Fünfsternehotel an der Copacabana, wo ein Senior Vice President noch eine Runde an der Bar ausgibt.

Samstag, 5. April

6.30–7.30 Uhr: Die Aussicht aus dem Hotelfenster ist fantastisch, an der Copacabana geht die Sonne auf. Auch FC JSA sagt, dass er gerne einen Spaziergang am Strand machen würde, das «Final press briefing» findet trotzdem drinnen statt. Er zieht Bilanz und zeigt sich zufrieden.

8.30–10 Uhr: Abfahrt zum Maracanã-Stadion. Im Car wird munter geplaudert: «Wir machen 3,5 Milliarden Umsatz …», «Wir haben weltweit 12 000 Angestellte». Im Stadion führt uns ein junger Mann namens Caio von den obersten Rängen über eine VIP-Lounge durch die Garderoben auf den Rasen. Es werden Erinnerungsfotos gemacht und etliche Selfies. Es werden Prognosen für die WM aufgestellt, Anekdoten über die eigenen Fussballkünste zum Besten gegeben. Ein CEO erzählt, er habe gestern Abend Giovanni Trappatoni in einer Churrascaria getroffen, und als uns eine Schulklasse von den Zuschauerreihen zuruft, stimmt der Professor des Nationalfonds ein «Hopp Schwiiz!» an. Caio bekommt zum Dank einen Kugelschreiber.

10–12.30 Uhr: Fahrt zum Jachtclub Rio de Janeiro am Fuss des Zuckerhuts. Dessen Besuch fällt aus, weil die Delegation früher als geplant nach São Paulo fliegt, um nicht den Anschlussflug zu verpassen. Vertreter brasilianischer Thinktanks geben Inputreferate zur Vergangenheit und Zukunft der Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), während lauwarmer Brie mit Trüffel serviert wird. Während des Hauptgangs dürfen Fragen gestellt werden, und «Innovation» ist einmal mehr das Wort der Stunde.

Und dann ist es plötzlich vorbei. Wer mit der Delegation zurückfliegt, steigt in den Car, der zum Flughafen fährt. Einige bleiben noch ein paar Tage, um weitere Geschäftstermine wahrzunehmen. Ich fahre mit dem Taxi ins Hotel, um meinen Rollkoffer abzuholen. An der Rezeption steht noch der CEO einer grossen Versicherung. Er gibt mir Tipps für Strände und Nachtclubs in Rio und schreibt mir seine Telefonnummer auf: «If you have any problems, call me.» Auf den Einwand, er fliege jetzt doch zurück in die Schweiz, sagt er: «Yes, but I know a lot of important people in Rio.»

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Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus Spenden der WOZ-Leser:innen.

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