Fussball und andere Randsportarten: Siegen ist unästhetisch

Nr. 17 –

Pedro Lenz übers Hüpfen, Grölen und Schaumweinduschen

Seit ich mich schreibend mit Sport befasse, erhalte ich regelmässig Gelegenheit zu erklären, was Sport und Literatur verbinde. Dazu kann ich höchstens sagen, dass Sport ein Teil des Lebens ist und so wie alle Teile des Lebens auch Gegenstand von Literatur sein kann.

Fast ebenso oft werde ich gefragt, warum ich als Autor eine Vorliebe für Verlierertypen hätte. Dann werde ich ein bisschen verlegen und versuche zu erklären, dass das durchschnittliche Menschenleben vermutlich mehr Niederlagen als Siege bereithält, dass SiegerInnen meist nicht besonders vielschichtig sind oder dass Gewinnen an sich literarisch wenig hergibt.

Gerne will ich zugeben, dass diese Erklärungen unzureichend sind. Das Thema ist zu komplex, als dass es sich mit wenigen Sätzen erklären liesse. Und doch fand ich gerade in den letzten Tagen, in denen im Schweizer Profisport zwei grosse Titel vergeben wurden, mehrfache Bestätigung für meine Thesen.

Sowohl das Playoff-Endspiel in der Eishockeymeisterschaft als auch der Fussballcupfinal vom Ostermontag zeigten deutlich auf, dass Siegen wenig Erzählenswertes beinhaltet. Jedes Mal, wenn wir am Fernsehen oder im Stadion die letzten Minuten eines entscheidenden Finals sehen, wissen wir, was gleich folgen wird: Beim Schlusspfiff fällt sich die eine Hälfte der Beteiligten schreiend in die Arme. Auf übermütiges Ausstossen von einsilbigen Vokabeln wie «Yeeesssss!» oder «Yeeeeaaaah!» folgen unkoordinierte Tänzchen. Hierauf taucht unweigerlich von irgendwoher Schaumwein auf, mit dem sich die SiegerInnen gegenseitig abspritzen können, was sie dann auch umgehend tun. Vom Himmel fallen Papierschnitzel.

Es folgen Kurzinterviews mit Aussagen wie «Riesig!», «So geil!» und «Ich kann es noch gar nicht fassen!», dann erneute Tänzchen, noch mehr geballte Fäuste, Schaumweinduschen, Umarmungen, Papierschnitzel, hoch gestreckte Arme und Freudenschreie. Später kommt das wechselseitige Abfotografieren dazu. Dicke Zigarren und Bierdosen machen die Runde. Und spätabends folgt die Präsentation des Siegerteams auf einem Balkon in der Innenstadt, damit das Fussvolk weiter zusehen kann, wie die Idole hüpfen, grölen, singen, johlen und Arme in die Höhe reissen.

Anderntags sehen wir in Zeitungen und Onlineportalen die zugehörigen Fotos. Bilder solcher Feiern gleichen sich auf der ganzen Welt. Die Choreografie des Triumphs kennt keine Variationen. Sie ist stets derb, laut, plump und undifferenziert. Da ist wenig, was die Fantasie anregen könnte.

Nach der Logik des Sports entspricht die Anzahl derer, die ein Endspiel verlieren, genau derjenigen derer, die es gewonnen haben. Aber VerliererInnen kennen kein einheitliches Verhaltensmuster. Manche stehen einfach mit gesenkten Köpfen da. Andere legen sich auf den Rücken und verdecken mit den Händen das Gesicht. Wieder andere versuchen, sich gegenseitig zu trösten. Die Gesichter der Niederlage sind vielförmiger, die einen weinen, die andern ärgern sich. Daneben gibt es solche, die zu keiner spontanen Gefühlsregung in der Lage sind.

Wir können uns vorstellen, dass Misserfolge einen Menschen – je nach seiner persönlichen Vorgeschichte und seinem Charakter – stärken, antreiben, schwächen oder lähmen können. Niederlagen verändern die Persönlichkeit auf unterschiedlichste Weise. Darüber liesse sich besser und länger erzählen als über das, was Siege auslösen.

Trotzdem bekommen wir als KonsumentInnen der täglichen Sportberichterstattung meist nur die immer gleichen Feierbilder serviert. Das ist nicht bloss bedauerlich, sondern zudem auch ziemlich langweilig. Und vor allem suggerieren diese Bilder, dass Gewinnen die Norm ist, was für die Hälfte der Beteiligten eines Endspiels erwiesenermassen nicht zutrifft.

Pedro Lenz ist Schriftsteller und lebt in Olten. Am Sport interessieren ihn ausser den Resultaten vor allem Fragen der Ästhetik.