Deutschland: 470 000 Unterschriften und 6,5 Millionen Flyer

Nr. 19 –

Es ist noch gar nicht so lange her, dass das Thema Freihandel vor allem Achselzucken hervorrief. Wen kümmerten etwa in den neunziger Jahren die Verhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO)? Das interessierte nur ein paar SpezialistInnen. Doch nun entwickelt sich zumindest in Deutschland eine breite Bewegung gegen das geplante Transatlantische Freihandels- und Investitionsabkommen (TTIP) zwischen den USA und der EU.

Innerhalb von wenigen Wochen sammelte die Kampagnenorganisation Campact 470 000 Unterschriften gegen das Abkommen, das internationalen Grosskonzernen Sonderrechte einräumt; jeden Tag kommen ein paar Tausend Unterschriften dazu. Am Dienstag demonstrierten sechzig Gruppierungen in Berlin dagegen, dass mit dem hinter verschlossenen Türen verhandelten TTIP Umweltbestimmungen ausgehebelt werden können, der Verbraucherschutz gelockert wird und Fracking auf die Tagesordnung kommt. Über drei Wochen hinweg touren Künstlerinnen, Musiker, Schriftstellerinnen und Kabarettisten durch die Republik, weil sie gravierende Änderungen beim Urheberrecht, Einschnitte bei der Kulturförderung und das Ende der in Deutschland geltenden Buchpreisbindung befürchten. Und pünktlich zur Wahl des EU-Parlaments werden 24 000 AktivistInnen rund 6,5 Millionen Denkzettel verteilen, die über das TTIP und die Positionen der Parteien informieren.

Auch die Gewerkschaften haben sich inzwischen der Bewegung angeschlossen – denn es gilt als wahrscheinlich, dass Arbeitsschutz, Tarifverträge und betriebliche Mitbestimmung bedroht sind, wenn es – wie vorgesehen – zu einer Angleichung der Standards beidseits des Atlantiks kommt. Seit dem gescheiterten Anti-Piraterie-Abkommen Acta, das ebenfalls im Geheimen ausgehandelt worden war, hat kein Thema so viele Menschen mobilisiert wie das TTIP.

Am Montag versuchte deshalb Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel, die Wogen zu glätten. Gemeinsam mit dem US-Unterhändler Michael Froman und dem zuständigen EU-Kommissar Karel De Gucht beteuerte der SPD-Vorsitzende, dass die besonders umstrittenen Regeln zum Investitionsschutz (siehe WOZ Nr. 12/2014 ) neu überdacht werden. Diese Regeln erlauben Grossunternehmen, Staaten zu verklagen, wenn sie ihre Profite beeinträchtigt sehen. Allerdings hatte das EU-Parlament bereits kurz vor Ostern – mit Unterstützung der SPD – wesentlichen Teilen einer Investorenschutzregelung zugestimmt; dagegen votierten nur die Linke und die Grünen. Der EU-Wahlkampf wird noch richtig spannend.