Kultour

Nr. 24 –

Film

Gut Guss!

Eigentlich hatte der Filmemacher Iwan Schumacher das Künstlerduo Peter Fischli und David Weiss porträtieren wollen – doch die beiden erteilten ihm eine Abfuhr und schlugen stattdessen vor, er solle einen Film über die Kunstgiesserei St. Gallen drehen. «Was im Moment wie ein Ablenkungsmanöver daherkam», so Schumacher, «erwies sich im Nachhinein als Glücksfall.» In der Folge entstanden zwei Porträts von Künstlern, die dort arbeiteten. Dann beschloss Schumacher, die HandwerkerInnen der Kunstgiesserei ins Zentrum zu stellen.

«Feuer & Flamme» ist das Resultat, uraufgeführt am diesjährigen Festival Visions du Réel in Nyon. Fünf Skulpturen und ihr sehr unterschiedlicher Herstellungsprozess führen durch den Film: Da wird einmal mit Wachs, ein andermal mit Epoxidharz gegossen, Marmorkuchen gefertigt, Chromstahl gehämmert – und natürlich Bronze gegossen. Zum Beispiel von Laila Pauli, die erzählt, wie sie das Metallgiessen nach einem Blick in die flüssige Bronze sofort gepackt habe. Und aus deren Worten Ehrfurcht und Respekt vor dieser jahrtausendealten Kulturtechnik sprechen: «Ich rauche immer eine Zigarette, bevor es losgeht, um meine Nerven zu beruhigen. Man sagt auch ‹Gut Glück!› oder ‹Gut Guss!›, bevor man giesst.»

Die Magie des Feuers, des Schmelzens und Giessens standen am Anfang von «Feuer & Flamme». Visuell eingefangen hat sie Schumacher, der auch für Produktion und Regie verantwortlich zeichnet, zusammen mit dem renommierten Kameramann Pio Corradi.

«Feuer & Flamme» startet am Do, 12. Juni 2014, 
in den Kinos.

Franziska Meister

Oberhausen on Tour

Sie gelten als das älteste Kurzfilmfestival der Welt und bieten dem Kurzfilm eine riesige Plattform: die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen. Das Festival wurde vor sechzig Jahren gegründet – hier wurden Filme von François Truffaut, Alain Resnais und Chantal Akerman aufgeführt, und hier erklärten 1962 Alexander Kluge, Edgar Reitz und Peter Schamoni im «Oberhausener Manifest» den alten Film für tot und verkündeten ihren Anspruch, den neuen deutschen Film zu schaffen.

Der Kurzfilm ist heute lebendiger denn je, und noch immer ist er für viele Filmemachende die ideale Form, Neues auszuprobieren und Unkonventionelles zu schaffen. Einen Einblick in das aktuelle internationale Kurzfilmschaffen gibt das abendfüllende Programm, das die Kurzfilmtage Oberhausen zusammengestellt haben und das nun in der Berner Kinemathek Lichtspiel zu sehen ist: mit Beiträgen aus Indien, Schweden, Deutschland und Polen – Kurzfilme, die in den letzten Jahren im Wettbewerb des Festivals zu sehen waren.

«Oberhausen on Tour» in: Bern Kinemathek Lichtspiel, Mo, 16. Juni 2014, 20 Uhr, Bar ab 19 Uhr. www.lichtspiel.ch

Silvia Süess

Konferenz

Die Stadt erkunden

Welche Choreografien des Alltags produziert eine Stadt? Welche Rolle spielen umgekehrt performative Künste in der Entwicklung einer urbanen Lebensweise? Die Konferenz «PerformaCity» in Basel fragt nach der Wechselwirkung zwischen einer gebauten und gelebten Stadt und einer performativen künstlerischen Praxis. Angesichts der bekannten ReferentInnen darf man auf Entdeckungen gespannt sein. Zu hören ist die Stadtsoziologin Saskia Sassen, die sich mit transnationalen Migrationsbewegungen auseinandersetzt, oder der Psychologe Harald Welzer, der sich mit den sozialen und politischen Folgen des Klimawandels beschäftigt. Zu entdecken ist die Stadt aber auch zu Fuss, in «performativen Walks». Audio-Spaziergänge führen durch das historische Basel. Oder zu einer Stadt, die man im Alltag gerne übersieht.

«PerformaCity» in: Basel Kaserne und Aktienmühle, Do–Sa, 12.–14. Juni 2014. www.performacity.net

Kaspar Surber

Ausstellung

Das Geschlecht ist eine Attrappe

Haben wir uns im Museum geirrt, sind wir versehentlich im Rietberg gelandet? Da posiert eine Frau in goldglänzender Tracht vor irgendeinem tristen Hochmoor, ihr Kleid ist bestickt mit blauweissen Stoffblumen, dazu trägt sie blau schimmernde Knickerbocker mit Maschen dran: die stolze Vertreterin eines obskuren Volksstamms, gekleidet ins traditionelle Festtagsgewand? Aber wir sind hier schon richtig im Zürcher Kunsthaus: Die Frau in ihrer imaginären Volkstracht ist Cindy Sherman in einer ihrer unzähligen Maskeraden. (Die falsche Volkstracht ist übrigens von Chanel.)

Wer aber bei Cindy Sherman nur die rückhaltlose Selbstbespiegelung sieht, ist auf einem Auge blind. Denn ihr künstlerischer Narzissmus – das zeigt diese grosse Retrospektive – ist immer auch ein fortwährendes Versteckspiel vor den Augen der Öffentlichkeit: Mit jeder neuen Inkarnation entgleitet sie uns ein bisschen mehr, diese Frau, die immer eine andere ist. Oder zeitgemäss gekalauert: «Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?» So könnte auch die Schau im Kunsthaus heissen. Die Arbeit am multiplen Selbst, die Cindy Sherman schon früh und durchaus radikal zu ihrem künstlerischen Prinzip erhoben hat, ist ja längst zum populärphilosophischen Klischee geronnen.

«Untitled Horrors» titelt stattdessen das Kunsthaus – bestechend plakativ, aber auch etwas irreführend. Klar, da gibts allerhand versehrte und vernähte Puppen beim kaputten Sex und andere altbekannte Tableaus des Grauens, die wie schaurig-schöne Suchbilder funktionieren: Landschaften des Grotesken, auf denen man alles entdecken kann, was die eigene Fantasie zulässt, nur keine beruhigenden Gewissheiten. Dieser Gesichtsausdruck, erzählt er von Schmerz oder von Ekstase? Dieses Glied in der Finsternis, wo gehört es hin? Und was hängt da für ein Tropfen, und aus welchem Loch? Jedes Geschlecht ist bei Cindy Sherman immer eine Attrappe – aber eine, die reale Effekte zeitigt.

Überraschender ist diese Retrospektive jedoch abseits des Horrors, abseits der schönen Leichen und perversen Clowns – wie in der Serie «Bus Riders», einem selten gezeigten Frühwerk, in der Cindy Sherman die Identitäten gleichsam inventarisiert, noch ganz ohne die barocke Pracht ihrer späteren Inszenierungen.

«Cindy Sherman: Untitled Horrors» in: 
Zürich Kunsthaus, bis So, 14. September 2014.

Florian Keller

Theater

Hora feiert

Julia Häusermann war aufgebracht. Die Schauspielerin mit Downsyndrom schimpfte am Publikumsgespräch nach der Aufführung des neuen Stücks «Mars Attacks!», das das Theater Hora aus Zürich gemeinsam mit der Berliner Gruppe Das Helmi in Bern aufführte. Es sei gar keine Geschichte, was sie da spielten, und sie selber habe gar keine richtige Rolle.

Solch eine Unzufriedenheit wird sie wohl nach «Freie Republik Hora» nicht befallen, denn in diesem Stück machen die Hora-SchauspielerInnen nur das, was ihnen passt. Damit ihnen dabei auch niemand dreinredet, gibt es ein schriftliches «Regelwerk», in dem Punkt für Punkt festgehalten wird, was erlaubt ist. Da steht dann zum Beispiel: «1. ‹Freie Republik Hora› ist eine Produktion ohne Regie und ohne Dramaturgie und ohne Choreographie. 2. Bei ‹Freie Republik Hora› könnt ihr zeigen, was ihr zeigen wollt und wie ihr es zeigen wollt.»

Das Theater Hora aus Zürich ist spätestens seit der Produktion «Disabled Theater», die gemeinsam mit dem französischen Star-Choreografen Jérôme Bel entstand und 2013 zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, auch ausserhalb der Schweiz bekannt. Gegründet wurde es vor zwanzig Jahren von Michael Elber, der es auch massgeblich geprägt hat. Pünktlich zum Jubiläum erscheint nun ein Buch über die unkonventionelle Theatergruppe. Das über 600 Seiten umfassende Werk «Der einzige Unterschied zwischen uns und Salvador Dalí ist, dass wir nicht Dalí sind» vermittelt, wie aus einem Theaterkurs in einem Zürcher Wohnheim für geistig behinderte Frauen ein mittlerweile weltweit tourendes Theaterunternehmen wurde.

«Freie Republik Hora» in: Zürich Mediacampus, 
Do, 12. Juni 2014, 19 Uhr.

«Theater Hora. Der einzige Unterschied zwischen uns und Salvador Dalí ist, dass wir nicht Dalí sind» in: Zürich Kaufleuten, Do, 19. Juni 2014, Buchvernissage. www.hora.ch

Silvia Süess