Geschichte am Kiosk: Verspielt wird vom Töten fantasiert

Nr. 38 –

Geschichtsmagazine boomen. Die meisten huldigen den Mächtigen und dem Krieg, eins sogar der Waffen-SS. Ein Blick in die aktuellsten Hefte.

Ein Kilogramm Geschichte, geerntet in einem der grossen Bahnhofskioske in Zürich. Man findet die glänzenden Geschichtsmagazine irgendwo zwischen den Auto-, den Tattoo- und den Strickheftli. Zehn Magazine für zusammen 150 Franken. Sie heissen «DMZ Zeitgeschichte» oder «P. M. History», «Geo Epoche» oder «Karfunkel», und sie lassen sich klassifizieren wie Pilze: Von «essbar» über «ungeniessbar, aber ungefährlich» bis hin zu «tödlich giftig» gibt es alles.

Bei der aktuellen Ausbeute schafft allerdings nur ein Magazin das Prädikat «essbar»: «P. M. History» – laut Eigendefinition «Europas grösstes Monatsmagazin für Geschichte».

Heldenepos der Sieger

Das aktuelle Heft widmet sich «fünf Katastrophen, die Deutschland veränderten». Man erfährt, wie im 14. Jahrhundert ein gigantisches Hochwasser Frankfurt zerstörte, wie die Pest durch Europa zog oder im 19. Jahrhundert die Cholera wütete. Damals erkannte der Apotheker Max von Pettenkofer, dass die Ausbreitung der Cholera mit der Hygiene zu tun hat. Seine wissenschaftliche Erklärung, wie die Krankheit übertragen wird, war zwar falsch, aber er forderte von der Stadt München, eine zentrale, saubere Trinkwasserversorgung einzurichten. «Mit seiner Idee stösst er zunächst auf Widerstand. Nicht anders als heute schürt die Sanierung von Wohnvierteln Ängste vor der Verdrängung ärmerer Bewohner, denn die Hausbesitzer müssen den Bau der Kanäle finanzieren und legen die Kosten auf die Mieten um», schreibt «P. M.».

Das Trinkwassersystem wird trotzdem eingerichtet, und München bleibt – im Gegensatz zu anderen deutschen Städten – von weiteren Choleraepidemien verschont.

«Spiegel History» gebärdet sich traditioneller und widmet sich Britanniens Krone, 150 Seiten über Blaublütige – nicht giftig, aber auch keine Köstlichkeit. Ähnlich «GEO Epoche» mit dem Schwerpunktthema «Die DDR. Alltag im Arbeiter- und Bauern-Staat 1949–1990». Ein Heft zum Fall der Mauer: ein Wessi-Heft, das die Ossis aus weiter Ferne beschreibt, als ob es sie nicht mehr gäbe, diese Tausenden von Menschen, die in diesem Staat gross geworden sind. Zu Wort kommt höchstens, wer sich als Opfer versteht – all jene, die die DDR und die sogenannte Wiedervereinigung ambivalenter erlebt haben, werden verschwiegen. So passiert das gerne in der klassischen Geschichtsschreibung: Sie erzählt die Geschichte der SiegerInnen; die VerliererInnen treten darin nur als TäterInnen oder Opfer auf, womit die Geschichte zum Heldenepos der Mächtigen verkommt.

Das trifft auf die restlichen, weniger bekannten Historienmagazine noch verschärft zu. Bei ihnen lassen sich zwei Zielgruppen ausmachen: die Mittelalter- und die Militärfans.

Erstere scheinen harmlos. Liest man ihre Hefte, glaubt man, sie würden gerne im Mittelalter leben. «Miroque» etwa ist ein Heft, das Bauanleitungen, Schnittmuster und Rezepte enthält – Mittelalter zum Selbermachen. Redaktionsleiterin Kristina Fark schreibt im Editorial, erst wenn man Wolle selber spinne, merke man, wie «viel Mühe und Arbeit jahrhundertelang in einem simplen Pullover oder Schal steckte». Gleichzeitig könne mit dem Selbermachen auch ein Signal gegen die zunehmende Kommerzialisierung der Mittelalterszene gesetzt werden.

Das klingt vernünftig, wäre da nicht dieser Fantasykitsch, der penetrant mitschwingt und eine archaische heldenhafte Welt heraufbeschwört. Eine Welt, die Jahrhunderte hinter die Aufklärung zurückgeht. Diese Hefte werden nicht von Leuten gelesen, die das Mittelalter verstehen möchten, sondern von Leuten, die glauben, damals sei es irgendwie besser gewesen.

Es finden sich deshalb nicht nur Anleitungen, wie man mittelalterliche Gewänder schneidert. Es werden auch Bücher angepriesen, die lehren, «wie man mit einem Schildwall kämpft, ein Kloster plündert und Mönche verschleppt». Die Grunderzählung des heroischen Kämpfens ist allgegenwärtig – vergnügt und verspielt wird vom Töten fantasiert.

Ähnlich die militärhistorischen Hefte: Sie strotzen vor seltsamer Verliebtheit in Kriegsgeräte. «Clausewitz» etwa liefert alle technischen Daten zu «Landungsschiffen»; man braucht diese, um Truppen auf einem feindlichen Strand abzusetzen. Zudem werden U-Boote verglichen, Schlachten analysiert und die Biografien erfolgreicher Feldherren erzählt. Geschichte auf Krieg reduziert und Krieg zu Kunst umgedeutet. Unappetitlich, aber schon jahrtausendealt.

Hymnen auf die Waffen-SS

Wirklich giftig wird es mit «DMZ Zeitgeschichte». Die Titelgeschichte des Magazins widmet sich der «SS-Division ‹Wiking› in der Panzerschlacht bei Wolomin. Warschau 1944». Das gesamte Blatt ist eine Lobeshymne auf die Waffen-SS – kein Wort über die Ideologie der faschistischen Streitmacht, nichts von ihren Kriegsverbrechen, keine Zeile über den Holocaust.

Die deutsche Bundesregierung rechnet das Blatt dem rechtsextremen Spektrum zu und hat Bibliotheken wie auch die Bundeswehr angewiesen, es nicht zu beziehen. Im Zürcher Bahnhofskiosk steht es unbehelligt im Regal.

Was man aber vergeblich sucht, ist ein Magazin, das die Geschichte konsequent von unten erzählt. Wie haben die Macht- und Rechtlosen gelebt damals im alten Rom, im Mittelalter oder vor hundert Jahren in Europa?